100 Jahre Träume

Brigitte Boothe über den Traum 100 Jahre nach Freud

Von Irmgard Johanna SchäferRSS-Newsfeed neuer Artikel von Irmgard Johanna Schäfer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man wird in jeder Buchhandlung fündig, denn mit dem Traum und dem Geheimnis um die eigenen Träume ist ein gutes Geschäft zu machen. "Lexikon der Traumdeutung und Traumsymbole" oder "Der Traum und seine Deutung. Mit 500 Traumsymbolen" lauten Titel, mit denen man glaubt, schnell und zuverlässig in die Tiefen der eigenen Psyche eindringen zu können. Auch das Internet bringt dem Suchenden schnelle Antwort, Traumdeutung per e-mail oder schnelles Nachschlagen von Traumsymbolen, wobei man dann weiss: Habe ich von einem Aquarium geträumt, geht es um das "getrennt sein vom Leben" oder träumte man unangenehmerweise von "Durchfall, ist dies ein Zeichen dafür, dass eine Reinigung anliegt" und auch auf die Angst verweißt verlassen zu werden (www.traumonline.de). Doch so leicht ist dem Traum bisher noch keiner beigekommen, zu vielschichtig zeigt sich die Traumwelt und zu weit ist das Feld der Forschungsgebiete um mit schlafwandlerischer Sicherheit behaupten zu können, der Traum sei erforscht.

100 Jahre nach dem Erscheinen der "Traumdeutung" Sigmund Freuds beschäftigte sich die ETH Zürich in Zusammenarbeit mit der Universität Zürich im Rahmen einer Ringvorlesung im Wintersemester 1999/2000 mit dem Thema: 'Der Traum - hundert Jahre nach Freuds Traumdeutung'. In universitären Kreisen, und den geisteswissenschaftlichen Seminaren ist die "Traumdeutung" in aller Munde, und ein Verweis auf Freud wird ebenso leicht und häufig beigefügt wie auf Kant oder Adorno. Geschichtlich, literarisch und medizinisch wird der Traum betrachtet und deckt damit einen großen Teil der aktuellen Traumforschung ab.

Die Zeit Freuds ist geprägt von Antikereminiszensen, so finden sich auch in der "Traumdeutung" zahlreiche Verweise auf antike Forschung. Der Traum als Sprachrohr Gottes oder als Medium von Schicksalssprüchen zeigt den praktischen Umgang mit ihm. Dennoch geht es Freud nicht darum, die Erfahrungen der Alten Welt auszuwerten oder an sie anzuknüpfen, wie etwa an Artemidor - sondern er sucht nach neuen Perspektiven innerhalb des Phänomen "Traum".

Kulturwissenschaftlich träumen wir individuell, indem wir im Traum unser eigenes Leben mehrmals in verschieden Verknüpfungen durchleben, oder auch historisch, wo sich im Traum ein kulturhistorisches Menschheitsgedächtnis zeigt.

Wir träumen auf verschiedenen Ebenen, zumeist Träume aus realistischen Erlebnissen, die Variationen der Wirklichkeit darstellen. Es sind Erfahrungselemente, die sich in unerwarteter Weise fügen, aber trotzdem sinnvolle Erfahrungen aufzeigen und der Traum, in dem Gedächtnismaterial auf phantastisch bizarre Weise umgestaltet wird.

In der Literatur ist die Schwelle vom Wachen zum Schlafen äquivalent mit der Grenze von Leben zum Tod, der Traum wird hierbei zur Korrespondenz mit dem Reich der Toten bzw. mit der Vergangenheit. Anhand von Texten Heinrich Heines werden in einem Beitrag Spuren eines individuellen und kulturellen Gedächtnisses entwickelt.

Die Psychoanalyse als Weg zur Entschlüsselung des Unterbewusstseins dient nicht nur der Interpretation, sondern auch dem Aufzeigen einer Folge oder einer Codierung des Traums, mit dessen Hilfe die Informationsverarbeitung im Gehirn nachvollziehbar werden soll. "Die interaktive Tätigkeit des Deutens, einer Forschungsmethode des "Erratens", ringt unverändert und stets unvollkommen darum, dem "manifesten Menschen" Teile seiner eigenen "Latenz" offen zu legen." (Bertold Rothschild)

Die elf Beiträge der Sammlung fügen sich in die beachtenswerte Reihe der von Freud neu angestoßenen wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Traum entstandenen Veröffentlichungen ein. Wenn auch in jedes der Teilgebiete nur knapp eingeführt werden kann, so bietet das Buch doch eine Zusammenfassung mit hochinformativem Charakter, die Dank der fundierten Literaturangaben und Anmerkungen als Einstieg und Grundlage dienen kann.

Titelbild

Brigitte Boothe (Hg.): Der Traum - 100 Jahre nach Freuds Traumdeutung.
vdf Hochschulverlag, Zürich 2000.
280 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3728126942

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