Mehr Frau, als Mann sich wünschen kann

WissenschaftlerInnen untersuchen Chancen und Grenzen des Dialogs zwischen den Geschlechtern

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Dass die Geschlechter einander nicht verstehen, scheint ein alter Hut zu sein. Doch bekanntlich lassen sich an so manch vermeintlichem alten Hut neue Seiten entdecken. Das gelang am 14.11.2001 auch einigen der ReferentInnen auf dem 2. Tag der Frauen- und Geschlechterforschung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, auf der Möglichkeiten erörtert wurden, wie das Verhältnis der Geschlechter mithilfe der Kommunikation verbessert werden könnte. Aus pädagogischer, medien- und kommunikationswissenschaftlicher, sprach- und literaturwissenschaftlicher sowie aus theologischer Sicht wurden darüber hinaus mögliche und tatsächliche "Hindernisse auf dem Weg zu einer gelungenen Verständigung" thematisiert, die bis zum "Zusammenbruch des Dialogs in extremen Situationen" führen können. Die Vorträge recht unterschiedlicher Qualität sind nun in einem von Eva Boesenberg herausgegebenen Sammelband nachzulesen.

Wenn etwa Alexander Brock in seiner Erörterung der "Asymmetrien und Dominanzen in der zwischengeschlechtlichen Kommunikation" das "doing gender-Konzept" zum "mechanistische[n] Modell" erklärt, das die "biologische Frau" "verschwinde[n]" lasse, dann ist das wenig überzeugend. Die linguistische Geschlechterforschung, so sein Vorschlag, solle sich an folgende "Arbeitsschritte" halten: "a) die wertneutrale Erfassung erkennbarer Symmetrien und Asymmetrien, b) die Bestimmung interaktiver Dominanzen unter Verwendung ethnomethodologischer Methoden und c) der Versuch, in den erfassten Dominanzen Geschlechtsspezifisches nachzuweisen", wofür ein ethnomethodologische Ansatz allerdings nicht mehr ausreiche. Hier sei auch aus "ethnographischen, funktionalpragmatischen und anderen Perspektiven" zu fragen.

Während Brocks Aufmerksamkeit der linguistischen Theorie zwischengeschlechtlicher Kommunikation gilt, gehen Annedore Prengel und Garnet Meiß anhand empirischer Befunde den Geschlechterkonflikten und -dialogen in der Grundschule nach. Eine Befragung von GrundschülerInnen ergab, dass 80 % der von Jungen berichteten Konflikte zwischen ihren Geschlechtsgenossen ausgetragen werden und nur 20 % zwischen Jungen und Mädchen. Den Berichten der Mädchen zufolge treten 52 % der von Mädchen ausgetragenen Konflikte mit anderen Mädchen auf und 48 % mit Jungen. In diesen unterschiedlichen Prozentsätzen der zwischengeschlechtlichen Konflikte glauben die Autorinnen einen Widerspruch zu sehen, den sie mit Eberhard Welz und Ulla Dussa durch eine vermutete "unterschiedliche Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler" erklären. Mädchen, so vermuten sie, fühlen sich möglicherweise durch "Interaktionen" angegriffen, "die Jungen als 'normal' ansehen". Tatsächlich muss allerdings gar kein Widerspruch vorliegen. Der wäre nur dann gegeben, wenn unterstellt würde, dass Mädchen und Jungen insgesamt gleich viele Konflikte austragen. Die vielleicht nicht ganz abwegige, von den Autorinnen aber nicht ins Auge gefasste Annahme hingegen, dass Jungen insgesamt mehr Konflikte austragen, lässt den vermeintlichen Widerspruch verschwinden.

Nicht den Geschlechterkonflikten zwischen Kindern, sondern denjenigen zwischen Erwachsenen gilt das Interesse von Susanne Hübner und Anne Bartsch. Negative Geschlechterrollen wie der "gefühlskalte Machos" und der "streitsüchtige Ehefrau", so ihr Fazit, seien keine bloßen Klischees sondern insofern real, als sie die "gegenseitige Wahrnehmung der Geschlechter in bestimmten Kommunikationssituationen" wiedergeben.

Mehrere Beiträge widmen sich Literarisierung von Geschlechterdialogen. So untersucht die Herausgeberin den Dialog zwischen den Geschlechtern in Hilda Doolittles "HERmione" als "Glücksspiel" und Katharina Bunzmann durchmisst die "Dialoge im Spannungsfeld von Klasse und Geschlecht" in Dorothy Wests "The Living Is Easy". Ebenso wie die englischsprachige wird auch die deutschsprachige Literatur mit zwei Beiträgen gewürdigt. Zum einen untersucht Heidi Ritter die Dialoge zwischen Minna von Barnhelm und Major von Tellheim in Lessings Lustspiel. Da sich die Titelheldin in ihren Auseinandersetzungen mit Tellheim als "gleichrangig" erweise, habe Lessing mit ihr einen "ganz neue[n] Mädchen- und Frauentyp" auf die deutsche Bühne gehoben. Dadurch, dass er die bis dato "übliche" Geschlechterhierarchisierung negiere und es Minna gestatte, "einen Freiheitsraum für sich zu beanspruchen", sei Lessing nicht nur weit über andere Lustspieldichter seiner Zeit hinausgegangen, sondern auch über die gesellschaftliche Wirklichkeit des 18. Jahrhunderts. Konventionell bleibe er allerdings darin, dass er Tellheim das "Argument der Vernunft und Notwendigkeit" beigesellt habe und Minna von Barnhelm das "Argument der Liebe".

Der zweite, einem Werk der deutschen Literaturgeschichte gewidmete Beitrag ist von Katja Kauer verfasst und gilt einem "feministische[n] Klassiker": Ingeborg Bachmanns "Liebesroman" "Malina". Nach einer kurzen Zusammenfassung des "eher dünnen Plot[s]", an der befremdet, dass Kauer unter stillschweigender Missachtung diverser Interpretationen nicht nur der jüngeren Bachmannforschung die namenlose Ich-Figur mit ihrem "männlichen Partner" Malina zusammenleben lässt, und nach einer - vielleicht aus Platzgründen - recht oberflächlichen Relektüre einiger bestehender Interpretationen legt die Autorin eine "eigene radikale Interpretation" vor, "die aber die Erkenntnisse anderen Interpretationen nicht negier[en], sondern neu akzentuier[en]" will, indem sie sowohl diejenigen feministischer als auch "chauvinistischer" Provenienz ernst nimmt, und gelangt schließlich zu der These, dass es sich bei dem namenlosen Ich des Romans um eine "hyberbolische Performanz von 'Weiblichkeit'" handelt. Die Figur versuche, gemäß einem "fiktiven Ideal" weiblich zu sein. Unabhängig von Bachmanns eigener Intention insistiert Kauer darauf, dass es sich bei dem Roman um eine Parodie handelt, der Weiblichkeit "übertrieben realisiert" und die weibliche Rolle so inszeniert, "wie es das Geschlechterrollendiktat idealtypisch verlangt". Dies bedeute, dass die Ich-Figur "mehr Frau" sei "als sich jemand wünschen konnte". Kauers interessante Interpretation, die auf der Annahme gründet, dass es "unangebracht" sei, die Gender-Stereotype als "fixierte, feststehende stringente Normen" aufzufassen, denen "in absoluter Weise" nachzukommen sei, belastet die Autorin unnötigerweise mit dem "zurecht kaum gebilligten Ansatz" eines "biographischen Deutungsversuch[s]", der die "bekennende Frauenfigur" des Romans mit Bachmann selbst identifiziert.

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Eva Rosenberg (Hg.): Chancen und Grenzen des Dialogs zwischen den Geschlechtern. Beiträge zum 2. Tag Frauen- und Geschlechterforschung an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Peter Lang Verlag, Frankfurt a. M. 2003.
242 Seiten, 35,30 EUR.
ISBN-10: 3631505256

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