Streifzug durch das nächtliche Berlin

Vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis zum Aufkommen der Farbfotografie

Von Michael GriskoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Michael Grisko

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Aus der Trias Stadt - Nacht - Licht lassen sich viele reizvolle Assoziationen ableiten: Reklame, Nachtleben, Vergnügungen ... Ausnahmslos Insignien, die sich geradezu symbolträchtig für die im 19. Jahrhundert beginnende Industrialisierung und die sich daran anschließende Modernisierung westlicher Gesellschaften - und deren 'Schattenseiten' - begreifen lassen. Denn mit dem Strom und der vor allem in den Großstädten einsetzenden Elektrifizierung wurde der Tag künstlich verlängert und die gerade zu diesem Zeitpunkt sich abzeichnende Freizeitgesellschaft fand ihre Unterhaltungsstätten wohl nicht zufällig in den vor allem ab den zwanziger Jahren neonröhrenreklame-durchstrahlten Straßen, Kinos und Tanzbars.

Selbstbewusst und als Instrument des modernen Städtemarketings veranstaltete Berlin ganz im Trend der Zeit im Jahr 1928 die Aktionswoche "Berlin im Licht". Ganze Stadtteile werden lichtinszenatorisch aufbereitet, Brunnen kunstvoll angeleuchtet, und auch die sonst nur dem schnöden Mammon verpflichteten Leuchtreklamen bekommen in diesem Zusammenhang einen dem Sightseeing würdigen Attraktionswert.

Diesen Show- und Ausstellungscharakter konnte die längst den Kinderschuhen entwachsene Fotografie auf unnachahmliche Weise dokumentieren. Und so steht sie zurecht im Mittelpunkt dieser ansonsten etwas unmotiviert anmutenden Spurensuche in Berlin. Denn ansonsten fehlt dem Band jede konzeptionelle Idee und innere Ordnung. Zwar bildet die Aktionswoche den Nukleus für die Bildauswahl, eine zusammenhängende und aussagekräftige Präsentation findet sich jedoch nicht. Zudem setzen die beiden Herausgeber gänzlich auf die Kraft des Bildes und verzichten auf weitere Kommentare und Erläuterungen. Texte, die zusätzlich zu den Bildern eine weitere Dimension eröffnen könnten, fehlen also. Dies gilt ebenso für eine wie auch immer gedachte, thematische Ordnung der Fotografien. Weder chronologisch noch topografisch, auch nicht thematisch sind die durchgängig schwarz-weiß gehaltenen und in Duotone abgedruckten Fotografien mal unbekannter und mal bekannter Fotografen zusammengestellt.

So finden sich letztlich einige mehr oder weniger interessante Aufnahmen von verschiedenen Plätzen, Orten und Gebäuden in Berlin, die - zu unterschiedlichen Zeiten aufgenommen - nur selten über sich hinausweisen und die Faszination und Eigenart der Großstadt bei Nacht nicht vermitteln. Was bleibt: ein thematisch vielversprechender, aber letztlich enttäuschender Streifzug durch das nächtliche Berlin vom Anfang des 20. Jahrhunderts bis zum Aufkommen der Farbfotografie.

Titelbild

Janos Frecot / Klaus-Jürgen Sembach: Berlin im Licht. Bilder der nächtlichen Stadt. Photographien 1900-1990.
Nicolai Verlag, Berlin 2002.
167 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3875845625

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