Die immerselbe grenzenlose Ohnmacht

Tim Staffels neuer Roman "Rauhfaser" malt Teufelsbilder an die Wand

Von Ulrich RüdenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulrich Rüdenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Tim Staffels Sätze sind kurz. Gehetzt. Drücken aufs Tempo. Der Text hat keine Geduld, weil auch die aus den Fugen geratene Welt, die in diesen Text eindringt, keine Geduld mit den Menschen hat. Mit seinen Figuren meint der Autor es gut, aber das hilft ihnen nicht; ihre verzweifelte und hoffnungslose Suche nach Glück steht ihnen in die fiktiven Gesichter geschrieben. David, Sonja und Paul heißen die Protagonisten, die sich nicht so recht in der Welt heimisch fühlen und schon gar nicht in ihrer Haut. Der Ich-Erzähler Paul verliebt sich in David, der ihm kurzzeitig einen kleinen Schleichweg aus der eigenen Zermürbtheit nach draußen zu öffnen scheint. David verliebt sich in die Karrierefrau Sonja, die ihm einen Weg nach oben weist. Und Sonja verliebt sich in David, weil sie eigentlich gar nicht so stark ist, einen Halt braucht und obendrein guten Sex schätzt. Das sind drei aus einem sehr zeitgenössischen Verzweiflungs-Gefühl gestanzte Schablonen, die sich im Laufe des Buches kaum einen Zentimeter von ihrer Ausgangsbefindlichkeit wegbewegen dürfen. Hier ist vieles schon verloren, noch ehe es begonnen hat.

Paul lebt als Privatier vom Erbe seiner tödlich verunglückten Eltern in den Tag hinein. Der Müßiggang macht ihn interessant: In seinem Bekanntenkreis gilt er als Schriftsteller, aber wie so vieles in diesem Buch, ist das ein schöner Schein, hinter dem Einsamkeit und Leere lauern. Eines Tages erblickt er David als adonishafte Erscheinung am Fenster eines Nachbarhauses. Schon ist es um Paul geschehen, und der Blues könnte kurzzeitig zum Liebeslied werden. So einfach macht es den Figuren das Leben allerdings nicht. David ist 19, 14 Jahre jünger als Paul, er betreibt Kampfsport, versucht sich als Sensationsreporter, umgibt sich mit kampflustigen Männern und liebäugelt mit rechten Ideen. Sonja lernen wir als erfolgreiche Werberin kennen. Auf gewisse Weise verfällt auch sie David, die beiden bekommen ein Kind und fliehen an den Stadtrand von Berlin, weg aus einer zerfallenden, kaputten Stadt. David kümmert sich um seine kleine Tochter, Sonja macht weiter Karriere, und Paul weiß nicht, wohin mit seinem Leben und seiner Liebe zu David. Er wird Fallschirmspringer, weil sich im freien Fall die Probleme auf der Erde relativieren. Nach zwei Jahren besucht Paul die Kleinfamilie in ihrer Alt-Tegel-Idylle: Sonja, David, Marie. Beinahe lässt er sich auf ein Arrangement ein: Sonja will nach London, und Paul soll die vakante Mutterposition einnehmen.

"Rauhfaser" ist nach dem Apokalypse-Schocker "Terrordrom" und der Roadnovel "Heimweh" der dritte Roman des 37-jährigen Berliners. Das Buch heißt "Rauhfaser", weil sich Paul mit einem Videobeamer die Nachrichten aus der Welt auf die Tapete projiziert. Das sind zumeist Katastrophenmeldungen, Horrorberichte aus einer anderen Wirklichkeit, die plötzlich in die vier Wände dringen. "Am elften September wurden Flugzeuge in die Türme auf meiner Rauhfaser geflogen und steckten sie in Flammen." Im Hintergrund läuft immer die große Geschichte wie ein Spielfilm ab. Aber ganz äußerlich, weil Paul zu sehr mit seinem undurchdringlichen Innern beschäftigt bleibt: "Ich bemühte mich, ein Teil der Bilder auf der Rauhfaser zu werden, projizierte die Nachrichtensendungen auf meinen entblößten Körper, doch die Türen blieben geschlossen." Nichts dringt hier in tiefere Schichten vor, nichts drängt zum Handeln. Was auch geschieht, es prallt ab an einer Coolness, die genauso viel mit Kälte wie mit schützender Abwehr zu tun hat.

Zugleich, so lässt sich der Titel auch verstehen, ist das Leben Pauls bis in die letzte Faser freigelegt und aufgeraut. Das macht ihn verletzlich. Umso deutlicher tritt der Unterschied zum Tatmenschen David zutage. Hier der haltlose Sensible, dort der vitale Kämpfer; hier der vom Körper entfremdete Décadent, dort der vor Körperlichkeit schier platzende Rassist. Und mittendrin die klischeehafte Erfolgsfrau. Verloren aber sind sie alle drei, weil sie nichts anderes mehr vor Augen haben als nur den nächsten Karriereschritt, den nächsten Abflug, den nächsten Rausch oder ein zum Scheitern verurteiltes Kleinbürgerglück. Nichts soll in diesem Buch versöhnt werden: Weder werden die Liebessehnsüchte eingelöst noch gehen Lebenspläne auf. Die präapokalyptischen Teufelsbilder, die an Pauls Wand gemalt werden, spiegeln sich in den maroden Beziehungen. Das alles wird schnell klar, zu schnell. Und hat man es längst kapiert, wird es noch einmal rekapituliert: "Ich fühlte mich von nichts betroffen, nur der immerselben grenzenlosen Ohnmacht ausgesetzt, die mich im Wortgewäsch einer blindverzerrten Welt, an die man glauben sollte, aufrieb. Aber auch ich wollte mich retten." Was im Staccato der Sätze gefährlich beginnt, wird damit furchtbar langatmig. Staffel schreibt weiter am Selbstmitleid einer ziellosen, amoralischen, urbanen und traurigen Generation entlang. Aber damit auch haarscharf vorbei an einer fesselnden oder wenigstens überraschenden Literatur.

Titelbild

Tim Staffel: Rauhfaser. Roman.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
180 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-10: 3596156572

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch