Wenn Schriftsteller zu sehr lieben

Yael Hedayas zweite Liebesgeschichte "Zusammenstöße"

Von Christian SchneiderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christian Schneider

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zwei Singles Mitte Vierzig in einer Großstadt. Nichts Ungewöhnliches, möchte man meinen. Tatsächlich begegnet uns in Jonathan ein nicht ungewöhnlicher allein erziehender Vater, der den tragischen Verkehrsunfall seiner Frau nicht verwinden kann. Und in Schira erleben wir eine introvertierte Großstädterin, die ihre Beziehungsängste aus ihrer eigenen Unzulänglichkeit begründet. Die Stadt, in der sich die beiden begegnen, ist Tel Aviv. Eine lebendige Großstadt, in der kleine Verschrobenheiten nicht weiter auffallen und ein jeder versucht, sich in seine Lebensnischen einzunisten.

Der Zusammenstoß der beiden findet bei einer gemeinsamen Freundin statt, nicht ganz absichtslos von ihr inszeniert. Weiß sie doch um die beiden nicht zuträgliche Einsamkeit und ihre einer gemeinsamen Zukunft nicht abträgliche Gemeinsamkeit. Denn beide sind durchaus erfolgreiche Schriftsteller. Jonathan hat zwei viel beachtete Romane veröffentlicht, und Schiras Erstling hat soeben ein breites positives Echo gefunden. Doch der Erfolg macht beide nicht glücklich. Zu sehr nagen der Schmerz des Verlustes und der Einsamkeit und die Angst vor neuer Nähe. Dieser Schmerz hindert gleichzeitig daran, am ersten Erfolg anzuknüpfen. Die Angst vor dem Schreiben ist beinahe so groß wie die Angst vor einem glücklichen Leben.

In Yael Hedayas erster Erzählung "Liebe pur", mit der sie auch hierzulande für viel Aufsehen gesorgt hat, ist es ein Hund, ein kleiner Straßenköter, der den beiden Liebenden als Mittler und zugleich als Barometer ihrer Liebe dient. Der Hund leidet, wenn die Liebe leidet und ist glücklich, da wo die Liebenden glücklich sind. Der lakonische, oftmals leichte und witzige Tonfall der Erzählung findet sich in weiten Strecken in Yael Hedayas neuem Roman wieder. Doch diesmal sind es sehr viel mehr und sehr viel unterschiedlichere Gestalten, in welchen sich die aufkeimende Beziehung der beiden liebenden Schriftsteller spiegeln und an denen sie sich beweisen müssen.

Da ist auf der einen Seite Dana, Jonathans zehnjährige Tochter, die sich für ihren Vater eine neue Liebe wünscht und gleichzeitig selbst nach einem Platz in der Welt als Mädchen ohne Mutter sucht. Und auf der anderen Seite Schiras Vater, der in seinem Alter immer gebrechlicher wird und die Metamorphose einer Vaterfigur hin zum hilflosen und bedürftigen Greis bis zu seinem Tod durchwandert. Und natürlich noch die vielen anderen Menschen, die lebenden und die toten, die immer wieder mit den beiden zusammenstoßen und damit eine mehr oder weniger große Rolle in der Liebesgeschichte der beiden einnehmen. Die so vor uns ausgebreitete Liebesgeschichte versucht, das Panoptikum des Lebens in seinen Facetten einzufangen und gerät dadurch leider über weite Strecken aus den Fugen. Ein Mann, eine Frau, ein Hund. Das sind die Protagonisten, die für eine nachdenklich erzählte Liebesgeschichte taugen. Für die ganze Welt auf 750 Seiten braucht es einen anderen Ton.

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Yael Hedaya: Zusammenstöße. Eine Liebesgeschichte.
Übersetzt aus dem Hebräischen von Ruth Melcer.
Diogenes Verlag, Zürich 2003.
751 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3257860927

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