Zwischen Einwanderungsstadt und neuer (Un-) Sicherheit

Das "Jahrbuch StadtRegion" wirft einen neuen Blick auf die Ballungsräume der Republik

Von Rolf JordanRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Jordan

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Bild von der Kompaktheit und Zentrumsorientierung der vornehmlich ,Europäischen Stadt', das so lange unsere Vorstellung des Städtischen bestimmte, hat mit der unaufhaltsamen Auflösung der Stadt in ihre Region in den letzten Jahren viel von seiner Prägnanz verloren. An seine Stelle ist ein Stadtbild getreten, das sich unter anderem mit dem Begriff der Stadtregion greifen lässt. Die Stadt selber wird zur Region und ihre Komplexität lässt sich dabei längst nicht mehr auf die einfachen Formeln des ,Innen = Zentrum' und ,Außen = Peripherie' reduzieren. Das vielschichtige Phänomen der Stadtregion steht daher auch im Mittelpunkt eines neuen Jahrbuchs, das sich stadt- und regionalspezifischen Themen widmet. Bereits in der zweiten Ausgabe vorliegend, greift das "Jahrbuch Stadtregion" aktuelle Fragestellungen aus den Bereichen Stadtsoziologie, Stadtplanung und lokale Politik auf. Ziel der Herausgeber ist es, Diskussionen über stadt- und regionalspezifische Themen anzuregen und auch anzustoßen und einen stärkeren Austausch zwischen Wissenschaft auf der einen und politisch-planerischer Praxis auf der anderen Seite zu befördern. Neben einem "Schwerpunkt" bietet das Jahrbuch eine Rubrik mit Analysen zu stadtpolitischen Themen, "Kommentare" und politische Stellungnahmen, "Rezensionen" aktueller Veröffentlichungen aus den Bereichen Forschung und Politik sowie mit der Rubrik "Dokumentation und Statistik" einen kommentierten Überblick über Daten und Informationen zum jeweiligen Schwerpunktthema sowie zur Stadt- und Regionalentwicklung allgemein.

Die erste Ausgabe des Jahrbuchs widmet sich der Stadt als Einwanderungsstadt und greift damit ein ebenso wichtiges wie aktuelles Thema auf. Lange Zeit hat der Zusammenhang zwischen Zuwanderung und Stadtentwicklung in den deutschen Sozialwissenschaften - anders als etwa in den USA - eher wenig Aufmerksamkeit erfahren. Erst in den letzten Jahren ist es zu einem deutlichen Wandel gekommen, der sich in einer ganzen Reihe von Publikation zum Thema niedergeschlagen hat. Nicht zuletzt im Zusammenhang mit der relativ spät einsetzenden Einwanderungsdebatte ist auch hier der Bedarf an gesichertem Wissen über die Bedingungen und Folgen von Zuwanderung in unsere Städte gestiegen. Hier setzt auch das "Jahrbuch StadtRegion 2001" an, indem es sich aus unterschiedlicher Perspektive der Thematik nähert. Im Zentrum stehen dabei sowohl Fragen nach den Handlungsmöglichkeiten kommunaler Politik gegenüber den Anforderungen der Zuwanderung (R. Sackmann), als auch solche nach der Bedeutung sogenannter ethnischer Ökonomien für die Integration von Zuwanderern (F. Hillmann). Dass Zuwanderung in deutschen Städten nicht zuletzt auch zur Herausbildung segregierter Wohngebiete geführt hat, findet dabei ebenso seine kritische Würdigung (A. Pott) wie die Frage, welche Anforderungen diese Entwicklung an Schulen in solchen Stadtteilen stellt (G. Auernheimer). Wie Kommunalpolitik auf diese und andere Herausforderungen reagieren kann, wird unter anderen durch Best practice-Beispiele aus Nordrhein-Westfalen (V. Waltz) aufgezeigt.

Auch die zweite Ausgabe des Jahrbuchs greift mit seinem Schwerpunkt eine aktuelle Debatte auf, die zugleich eng mit jener über Zuwanderung verbunden zu sein scheint. In dem Maße, in dem sich die Stadt als eine der Fremden darstellt, ist sie auch eine der Ambivalenzen und der Unsicherheit. In den belleristischen wie wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit der Stadt hat das Bild der unsicheren Stadt eine lange Tradition. In letzten Jahren, so scheint es, hat der Diskurs über neue Sicherheitskonzepte in den Zentren der Großstädte wieder an Aktualität gewonnen. Dem trägt das "Jahrbuch StadtRegion 2002" mit seiner kritischen Bestandsaufnahme der bisher diskutierten Inhalte und Konzepte Rechnung. Deuten diese Debatten auch hier auf eine zunehmende Abkehr vom Konzept einer integrativen Stadt (J. Wehrheim)? Und welchen sozialen Konstruktionen geschlechtsspezifischer Konstruktion von (Un-)Sicherheiten unterliegt dieser Diskurs (R. Ruhne)? Das sind nur zwei der Fragen, die im Zentrum dieses Schwerpunktes stehen. Kritisch hinterfragt werden dabei unter anderem Projekte der Videoüberwachung von Innenstädten (D. Nogala; K. Veil) ebenso wie der sich auch in Europa herausbildende Trend zu bewachten Wohnkomplexen (G. Glasze) - zwei Entwicklungen, die insgesamt zu einer weiteren Trennung von öffentlicher und privater Sphäre in unseren Städten beigetragen haben und mit einer sozialen Spaltung in der Gesellschaft korrespondieren.

Als eine informative und in ihrer kritischen Ausrichtung sehr nützliche Ergänzung zu den Beiträgen der jeweiligen Schwerpunkte erweist sich die Rubrik ,Dokumentation und Statistik'. Dies wird besonders deutlich an der ,Polizeilichen Kriminalitätsstatistik' (PKS), die wie keine andere amtliche Statistik so oft im Zentrum öffentlicher Debatten steht. Ihre Ergebnisse dienen dabei den unterschiedlichsten Interessengruppen dazu, die jeweiligen Standpunkte im Diskurs über die Sicherheit bzw. Unsicherheit deutscher Städte zu be- oder widerlegen. Doch schon die oftmals beliebige Interpretierbarkeit der Daten deutet darauf hin, dass diese Statistik sicherlich eins nicht ist, nämlich ein zweifelsfreies Abbild der Kriminalitätssituation. Das Jahrbuch leistet hier eine wichtige und notwendige Kritik an der statistischen Basis (bzw. ihren Unzulänglichkeiten). Dies gilt zumindest ebenso für die vorliegenden Daten der amtlichen Statistiken Zuwanderung und ausländischer Wohnbevölkerung in den Städten.

Mit den von ihnen selbst formulierten Zielen verfolgen die Herausgeber ein ambitioniertes Projekt. Bereits die beiden ersten Ausgaben des Jahrbuchs liefern hinsichtlich ihrer Schwerpunktsetzung sehr interessante Beiträge über eine große inhaltliche Spannbreite hinweg, ohne dass dabei der Eindruck entstehen würde, es handele sich hier um eher disparate Teile einer breiten, aber wenig aufeinander bezogenen Debatte. Ob der angestrebte interdisziplinäre Diskurs zwischen den beteiligten wissenschaftlichen Disziplinen, vor allem aber zwischen Wissenschaft, Planung und Politik letztlich zustande kommt, ist aus den vorliegenden beiden Jahrbüchern nicht abzusehen. Die gelungene Umsetzung rechtfertigt aber allemal die hohe Anspruchshaltung der Herausgeber.

Titelbild

Norbert Gestring / Herbert Glasauer / Christine Hannemann / Werner Petrowsky / Jörg Pohlan (Hg.): Jahrbuch StadtRegion 2001. Schwerpunkt: Einwanderungsstadt.
VS Verlag für Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage, Leverkusen 2001.
264 Seiten, 25,50 EUR.
ISBN-10: 3810032077

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Titelbild

Norbert Gestring / Herbert Glasauer / Christine Hannemann / Werner Petrowsky / Jörg Pohlan (Hg.): Jahrbuch StadtRegion 2002. Schwerpunkt: Die sichere Stadt.
VS Verlag für Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage, Leverkusen 2002.
221 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-10: 3810035394

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