Docere, delectare et movere

Klaus Kanzogs Übertragung der 'klassischen' Rhetorik auf den Film

Von Julia SchmitzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia Schmitz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gerade die neueste Forschung versteht den Film häufig als Sprache, in dem Sinne, dass auch der Film wie die Sprache ein Zeichensystem ist, in dem zwischen dem Signifikat und Signifikanten unterschieden werden muss. Diese Prämisse eröffnete einen neuen Blickwinkel auf den Film. Linguistische Modelle wurden auf ihn übertragen und mit ihrer Hilfe eine Analyse versucht.

Klaus Kanzog geht in "Grundkurs Filmrhetorik" ebenfalls von dieser Prämisse aus, betont allerdings, dass eine Kamera nicht erzählt, sondern zeigt. Dieses wiederum verweist aber auf etwas, das nicht zu sehen ist. Analysiert wird deshalb wie etwas im Film dargestellt und welche Einstellung verwendet wird. Ausgangspunkt ist also die filmische Deixis, dieser der Sprachwissenschaft entlehnte Terminus bedeutet 'Zeigeakt'. Laut Kanzog verfolgt der Film wie eine Rede, mehr oder weniger bewusst, eine bestimmte Strategie, um den Zuschauer zu überzeugen und um seine wie auch immer geartete Intention zu erfüllen. Dabei bediene er sich bestimmter rhetorischer Mittel, die sich im Film nicht auf die gesprochene Sprache beschränken, sondern auch in den Bildausschnitten und der Verknüpfung von Einzelszenen, der Montage äußern.

Um die spezifisch filmischen Ausdrucksmittel in eine neue Filmrhetorik einzuordnen, bedarf es der Kenntnis der lateinischen Terminologie der 'klassischen' Rhetorik, da Kanzog auf ihr aufbaut und nicht ein völlig neues begriffliches System schafft. Der Rückgriff auf die antike Rhetoriklehre erscheint aber durchaus plausibel und die lateinische Terminologie wird in Form von Ausgangsdefinitionen erklärt und aufgefrischt.

Generell zeichnet sich Kanzogs Einführung durch eine stringent durchgehaltene übersichtliche Strukturierung aus. Jedes Kapitel beginnt mit wichtigen Leitsätzen, die von eben den genannten Ausgangsdefinitionen gefolgt, durch anschauliche Filmbeispiele ergänzt und eine Zusammenfassung komplettiert werden. Die zahlreichen Filmbeispiele, die von Klassikern wie "Nosferatu" und "Panzerkreuzer Potemkim" bis zu neueren Filmproduktionen wie "Lola rennt" oder "Saving Private Ryan" reichen und aus denen Bildeinstellungen abgebildet werden, die nachvollziehbar analysiert werden, veranschaulichen die Anwendbarkeit dieses Theoriemodells.

Filmische Zeichen werden in Kategorien wie Figurenzeichen, Raumzeichen, Objektzeichen etc. aufgeteilt. Davon abstrahierend fällt auf, dass es analog zur Sprache bestimmte visuelle rhetorische Topoi gibt, denen auch ein eigenes Kapitel gewidmet wird. Beispielsweise ist die 'Treppe' ein sogenanntes topisches Raumzeichen, wobei sie verschiedene Bedeutungen haben kann. Wenn sie in Ernst Lubitschs "The Love Parade" von 1929 ein Denkschema des Erotischen liefert, so visualisiert sie in F. W. Murnaus "Phantom" von 1922 im Topos der Wendeltreppe ein psychisches Trauma.

Einen großen Verdienst stellt auch das Kapitel "Affektstützung und Affektsteuerung" dar, in dem erhellende Erkenntnisse zu den Emotionalisierungsstrategien des Films geliefert werden. Auch hier stützt sich Kanzog auf die Aristotelische Lehre, die, um den Erfolg einer Rede zu sichern, die Einflussnahme auf den Urteilenden, also den Adressaten und seine Verfassung empfiehlt. So versucht auch der Film "die affektive Wahrscheinlichkeit und Glaubwürdigkeit des Dargestellten zu sichern", indem er bestimmte Mittel wählt, um diesen Zweck zu erreichen. Bezüglich der Verfilmung literarischer Werke sei es nach Kanzog gerade die Einhaltung jener Affektvorgaben, die relevant für eine gute Literaturverfilmung seien und genau beachtet werden müssten.

Dieser Forschungsbeitrag eröffnet eine neue Perspektive, den Film zu analysieren. Die Filmrhetorik dient als Erkenntnismittel, mit dessen Hilfe filmische Eindrücke in einen Prozess der Bedeutungsfindung und des Verstehens überführt werden können.

Titelbild

Klaus Kanzog: Grundkurs Filmrhetorik.
Diskurs Film Verlag Schaudig & Ledig, München 2001.
225 Seiten, 23,50 EUR.
ISBN-10: 3926372095

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch