Harry, die Sauhunde und die Gringos

Alex Capus' neuer Roman "Glaubst du, daß es Liebe war"

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Harry Widmer junior heißt der, ja wie soll man da sagen: Protagonist? Das klingt so hölzern und standardisiert ... Held? Ist er ja nicht richtig. Hauptfigur? Hört sich so blutleer und leblos an. Ein Dilemma. Aber ein Dilemma, das gleich anzeigt, wie lebendig und echt dieser Harry Widmer junior beschrieben wird. Von wem und in welchem Buch? Also von vorn: Alex Capus hat einen neuen Roman geschrieben, der den schönen Titel "Glaubst du, daß es Liebe war?" trägt.

Der erste von insgesamt drei Teilen beschreibt die schweizerische Kleinstadt, in der Harry die alteingesessene Fahrradwerkstatt Widmer seines Vaters in HARRY'S CRAZY BIKE-CORNER verwandelt. Wo er lieber - der bekannte und beliebte Schürzenjäger und Maulheld - die attraktiven Damen des Städtchens bedient, als sich an alten rostigen Drahteseln die Finger schmutzig zu machen. Ein Lebemann will er sein und ist es auch, schmeißt locker Lokalrunden und schert sich nicht um seine Kontoauszüge. Harry ist einer, den alle mögen, solange er sich das leisten kann - und dessen jähen Fall dann alle beklatschen oder schon immer vorausgesehen haben wollen. Doch vor dem Fall lernt Harry Widmer junior Nancy kennen, die Alex Capus in unschlagbarer Manier wie folgt beschreibt: "Gerne würde ich an dieser Stelle berichten, daß sie eine aufregend exotische Erscheinung war im biederen Städtchen und daß sich die Leute den Hals verdrehten nach der fremdländischen Schönen. Aber das wäre nicht wahr. Die Wahrheit ist, daß Mädchen wie sie in den achtziger Jahren nachgerade zum Stadtbild gehörten - im Katalog begutachtet, gegen Vorauszahlung angefordert und geheiratet von einheimischen Bürgersöhnen, denen einheimische Bürgerstöchter zu wenig anschmiegsam waren." Diese Nancy, die im Ort die Piano-Bar betreibt, schafft es, dem Hallodri ein wenig von seinem drive und seiner Ziel- und Rastlosigkeit zu nehmen. Doch, o weh, die Ereignisse schlagen wie hohe Wellen über Harry zusammen: Gläubiger drängen ihn, seine offenen Rechnungen zu begleichen und Nancy stürzt nach jedem Frühstück zur Toilette. Die einigermaßen eingerichtete Welt scheint sich gegen ihn verschworen zu haben.

Der zweite Teil führt den Leser nach Mexiko, in ein kleines verschlafenes Nest am Meer, das bis auf ein paar Sommerwochen, in denen die Gringos einfallen und manchmal ihre fahruntauglichen Blechmonster liegenlassen, träge vor sich hin dämmert. Dort richtet Harry Widmer junior sich ein, trinkt Bier, spielt Billard, nimmt gefügige Mädchen mit nach Hause und liest das heimatliche Tagblatt, das er nach ein paar Wochen abonniert hatte. Er lernt Spanisch und fügt sich immer mehr in die Dorfgemeinschaft. Vollends Respekt verschafft er sich, als er HAROLDO'S CRAZY SURF-CORNER eröffnet und mit dem Verleih von Surfbrettern ein erfolgreicher Geschäftsmann wird. Alles wie immer, alles wie zu Hause.

Das eine oder andere Ereignis bringt Harry, der nun schon einige Jahre in Mexiko lebt, ins Grübeln, und als er erfährt, dass die Frau des Billardhallenbesitzers Angelito aus Thailand stammt, fasst er einen Entschluss.

Zurück in der Schweiz bemerkt Harry, dass sich nichts verändert hat, auch wenn die Mächtigen im Ort, "die Sauhunde", wie Alex Capus die Kleinstadtmafia nennt, ihre profitbringenden Bau- und sonstwie-Projekte umgesetzt haben. Die Rückkehr nutzt der Autor, um im Zeitraffer politische und gesellschaftliche Ereignisse dieses Zeitraums aneinanderzureihen. Das ist keine große Leistung, doch genau dafür sind wir Leser Schriftstellern zu Dank verpflichtet: für deren Bereitschaft, unser Gedächtnis und unsere Erinnerung wieder zu beleben, damit wir uns nicht vollständig von der Gegenwart mit ihren belanglosen Pseudoproblemen absorbieren lassen.

Ein wunderbares Buch, ein leichter, manchmal etwas altmodisch anmutender Roman, dessen Verfasser so gleichermaßen professionell wie frisch zu schreiben vermag. Die vielen Personen dieser abenteuerlichen Geschichte, deren Auftritte zum Teil sehr kurz sein können, werden fast ohne Distanz beschrieben, wodurch der Leser sie - oder einen Teil ihres Lebens - schnell kennen lernen und sich ein Bild machen kann. Capus' Einfälle sind weder spektakulär noch effekthascherisch, und die Art wie er sie den Lesern vermittelt ist so beiläufig, dass man gar nicht recht merkt, welches literarische Feuerwerk hier abgebrannt wird. Und noch etwas zur Figurenzeichnung: Wie in seinem voriges Jahr erschienenen Roman "Fast ein bisschen Frühling", der auf Tatsachen basiert, ist der Sog des neuen Buches so stark und sind die Personen und ihre Einbettung in die Handlung so glaubwürdig, dass man es dem Autor abnähme, würde er behaupten, auch diese Geschichte habe sich so oder so ähnlich einmal zugetragen.

Chapeau Capus!

Titelbild

Alex Capus: Glaubst du, daß es Liebe war? Roman.
Residenz Verlag, Salzburg 2003.
189 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3701713359

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch