Zwei Zukunftsvorstellungen, ein Feind
Die Korrespondenz Paul Ernst - Will Vesper
Von Kai Köhler
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseZwei Schriftsteller der politischen Rechten in der Weimarer Republik: Zum einen Paul Ernst, Jahrgang 1866, nach naturalistischen Anfängen und Erfahrungen im Umkreis der Sozialdemokratie bald ein neoklassizistischer Dramatiker und Novellist, dann als scharfer Gegner von Republik und Demokratie Verfasser eines Versepos mit dem Titel "Das Kaiserbuch" von über 90.000 Versen. Zum anderen Will Vesper, Jahrgang 1882, heute weniger durch seine Romane und popularisierenden Nacherzählungen bekannt als durch seine publizistischen Aktivitäten im Umkreis der NSDAP, besonders als Herausgeber der Zeitschrift "Die schöne Literatur", später: "Die Neue Literatur". Der von Alexander Reck edierte Briefwechsel der beiden, 47 im Deutschen Literaturarchiv Marbach erhaltene Stücke, beleuchtet ihr Verhältnis.
Der Ton der Briefe ist freundlich, meist sachlich, und nur wenige Bemerkungen über Dritte lassen auf ein vertrauliches Verhältnis schließen. Man erwägt sich zu treffen, bedauert verpasste Gelegenheiten, ohne dabei das Formelhafte zu überschreiten. Ernst und Vesper waren füreinander nützlich, viel mehr wohl nicht. Ernst hatte nur mit Teilen seines erzählerischen Werks breiteren Publikumserfolg, weniger mit seinen Essays und seiner Lyrik, von den kaum je aufgeführten Dramen zu schweigen. Um leben zu können war er auf Publikationen in Zeitschriften angewiesen, die ihm Vesper ermöglichen sollte. Ein erster Block des Briefwechsels zeigt 1919/20 Vesper als Feuilletonleiter der Deutschen Allgemeinen Zeitung, der Texte Ernsts annimmt oder ablehnt. Der weitaus umfangreichere Teil der Korrespondenz stammt aus den Jahren 1929 bis 1933, Ernsts Todesjahr. Auch hier, in den Jahren der Weltwirtschaftskrise, wird die ökonomische Bedeutung Vespers für Ernst deutlich, um so mehr, als Vesper in die "schöne" bzw. "Neue Literatur" nicht nur Werke Ernsts aufnimmt, sondern zudem in vielen Beiträgen auf dessen Werk und vor allem dessen neueste Publikationen hinweist.
Dies lenkt den Blick auf das Interesse Vespers, der seine Zeitschrift immer konsequenter auf nationalsozialistische Linie brachte und nach 1933 einer der bösartigsten Vertreter der NS-Literatur werden sollte; sein Sohn Bernward Vesper hat in seinem autobiographischen Romanessay "Die Reise" Jahrzehnte später gezeigt, wie fanatisch der Vater bei seiner Ideologie blieb. Paul Ernst zu propagieren bedeutete um 1930 für Will Vesper, kulturelles Kapital für die NSDAP zu sichern. Obschon nicht populär, galt Ernst besonders in den von der Rechten dominierten Geisteswissenschaften als wegweisender Autor; Initiativen etwa, ihm den Literaturnobelpreis zu besorgen, fanden breite Unterstützung. Neben Ernsts wirtschaftlichem Problem, seine Werke überhaupt erst zu publizieren und dann davon zu leben, sind deshalb politische Debatten Thema in den interessantesten Passagen des Briefwechsels.
Wobei "Debatte" zu hoch greift; denn man spricht Differenzen an, unternimmt wohl auch zaghaft einen Überzeugungsversuch, doch geht man darin nicht konsequent bis zum Ende. Wo man sich nicht würde einigen können, war wohl den beiden Beteiligten im Bewusstsein ihres gegenseitigen Gebrauchswerts klar; die Kontroverse auszutragen lag deshalb nicht in ihrem Interesse, zumal wennschon kein gemeinsames Ziel, so doch die Linke als gemeinsamer Feind eine stabilisierende Wirkung hatte.
Welche Positionen vertraten Vesper und Ernst? Was den ersteren angeht, ist die Antwort klar und weicht nicht vom etablierten Bild ab, doch bemerkenswerter Weise ergibt sie sich kaum aus den Briefen, sondern aus den Materialien im Anmerkungsteil: Vesper kannte keinen Zweifel an Hitler und seiner Partei, aber es war aus seiner Sicht gar nicht notwendig, Ernst zu überzeugen. Wichtig war dessen Name, war die Wirkung, die durch den Publikationsort Ernst als NS-konform erschien.
Das nun gerade war der Nationalkonservative Ernst nicht. Zu Beginn des Jahres 1931 engagierte er sich kurzfristig für die Volkskonservative Partei, eine gemäßigte Abspaltung der immer offener mit den Nazis kooperierenden DNVP. Für die Präsidialkabinette unter Hindenburg, für dessen Wiederwahl er 1932 eintrat, äußerte er stets Sympathie: zurückhaltend noch über Brüning, sehr erfreut dann über die Berufung Papens, von dem er "einen sich neu bildenden parteifreien Staat", eine autoritäre Diktatur also, erhoffte. Die Einschätzung Hitlers dagegen schwankte: Im April 1932 galt Hitler für Ernst noch als "nur ein gutgläubiger Demagoge, der die entgegengesetztesten Dinge verspricht und sich an Worten berauscht" und dem nur zugute zu halten sei, dass er "die Macht der Sozis gebrochen hat". Vier Monate später las Ernst "Mein Kampf" und war nun "tief bewegt durch das reine Wollen des klugen und begabten Mannes. Ich habe ihm früher in Gedanken Unrecht gethan." Doch da die NSDAP "wahrscheinlich doch größtenteils aus andersartigen Männern" bestehe, war Ernst immer noch froh, dass Hitler nicht zur Herrschaft gekommen war: "So, wie es nun ist: daß die Nat. Soc. eine treibende Kraft sind und die Regierung aus praktischen Männern besteht, scheint es mir am Glücklichsten zu sein."
Die gar nicht seltene konservative Illusion, man könne die Nazis für die Drecksarbeit auf der Straße benutzen und selbst die Macht behalten, war spätestens 1934 zerstört, als Hitler im Gefolge des angeblichen Röhm-Putschs auch die nationalkonservative Opposition angriff. Das hat Ernst nicht mehr erlebt; er starb im Mai 1933, wenige Monate nach der Machtübergabe an Hitler. Von 1933 ist nur eine einzige Postkarte Ernsts überliefert, ohne Bezug auf Politisches; wie er die neuesten Entwicklungen beurteilte, ist also aus diesem Briefwechsel nicht erkennbar.
Immerhin wird deutlich, dass viel an Distanz zum Regime von Ernst wohl nicht zu erwarten gewesen wäre. Die keineswegs schönfärberische Einführung Alexander Recks wäre vielleicht noch schärfer zu fassen gewesen. Reck belegt zwar mit Briefen aus anderen Korrespondenzen, dass Ernst kein Antisemit war und jegliche Rassenkonstruktion für unsinnig hielt. Andererseits waren diese Punkte für Ernst wohl kaum wichtig; die Antisemitismen in Vespers Zeitschrift hielten ihn ebensowenig von einer Mitarbeit ab wie die abstoßende Hetze Hitlers gegen Juden in "Mein Kampf" den Eindruck eines "reinen Wollens" trüben konnte.
Der Briefwechsel erlaubt einen informativen Einblick in das literarische Leben auf der Rechten in der Schlussphase der Weimarer Republik, ohne grundlegend neue Erkenntnisse zu bringen. Die Kommentierung durch Reck ist überwiegend erhellend, regt aber an einigen Stellen zu Widerspruch an. So wird ein weiteres Mal die Einschätzung verbreitet, "Mein Kampf" sei in Deutschland "sowohl vor als auch nach 1933 in Deutschland kaum gelesen" worden - Resultat der interessegeleiteten Großelternerzählung, man habe ja gar nichts gewusst. Anhand von Briefwechsel wie dem vorliegenden könnte man die Behauptung einmal empirisch überprüfen. - Ob jener Marx, dem Ernst im Gegensatz zu Hitler bescheinigte, "wenigstens ein consequenter Denker" gewesen zu sein, wirklich der Zentrums-Kanzler Wilhelm Marx war, erscheint zweifelhaft. Immerhin denkbar ist, dass Ernst an die ihm aus seinen sozialdemokratischen Anfängen bekannten Schriften Karl Marx' dachte, zumal die Passage im Zusammenhang mit "socialdemokratischen Phrasen" steht.