Eine einzigartige Verbindung

Bertha Pappenheims Gebete nach 50 Jahren erneut aufgelegt

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mag sein, dass sich Anna O. heute keines besonders hohen Bekanntheitsgrades mehr erfreuen kann, und wer ihren Namen überhaupt schon einmal gehört hat, der kennt sie vermutlich als Hysterikerin und Patientin Josef Breuers, deren Fall dem befreundeten Sigmund Freud dazu verhalf, die Psychoanalyse zu entwickeln. Das wäre ungerecht, denn wie Inge Stephan vor einigen Jahren bemerkte - und Marianne Brenzel jüngst noch mal ausführlicher zeigte -, war Anna O. nicht nur Objekt ärztlicher Kunst und medizinischen Unvermögens, sie übte selbst einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Entwicklung der Psychoanalyse aus.

Der zum "inner circle" der Psychoanalyse zählende Freud-Biograph Ernest Jones sprach gar davon, Bertha Pappenheim sei "die eigentliche Entdeckerin der kathartischen Methode" gewesen. Nun, wie unbekannt Anna O. und ihr Beitrag zur Entwicklung der Psychoanalyse auch sein mögen, sicher dürfte sein, dass der Aliasname noch weithin geläufiger ist als der Name Bertha Pappenheim. Und dies nicht nur, weil - wie Ernest Jones verriet - Anna O. das Breuer'sche Pseudonym Bertha Pappenheim in seinen Publikationen ist, sondern weil sie im Laufe ihres Lebens weit mehr leistete als ihren von den Vätern der Psychoanalyse so peinlich verschwiegenen Beitrag zur Entwicklung der neuen therapeutischen Methode. So übersetzte sie 1899 etwa Mary Wollstonecrafts "Verteidigung der Rechte der Frauen" (1792) und veröffentlichte im gleichen Jahr das von ihr selbst verfasste Schauspiel "Frauenrechte". Darüber hinaus schrieb sie zahlreiche Aufsätze zur "Judenfrage" und zum Mädchenhandel. Neben ihrer schriftstellerischen und agitatorischen Tätigkeit war die, wie Inge Stephan schreibt, "einsame, asketische und depressive Frau" über Jahre hinweg zudem Vorstandsmitglied des "Bundes Deutscher Frauenvereine" und des "Bundes zur Bekämpfung des Mädchenhandels", wofür sie 1954 von der Deutschen Bundespost mit einer Sondermarke der Reihe "Helfer der Menschheit" geehrt wurde.

Im gleichen Jahr wurde ein achtzehn Jahre zuvor, also unmittelbar nach Pappenheims Tod, erstmals erschienenes schmales Bändchen mit Gebeten der feministischen Jüdin neu aufgelegt. Es handelte sich um eine Auswahl von mehr als 2.000 Gebeten und sogenannten "Denkzetteln", die Pappenheim ihrer Mitarbeiterin und Freundin Hannah Karminski im Laufe von anderthalb Jahrzehnten geschenkt hatte. Nun, nahezu ein halbes Jahrhundert später, haben Elisa Klapheck und Lara Dämmig die Gebete neu herausgegeben und mit einem Vorwort versehen. Zwar könnten die Gebete, so schreiben die Herausgeberinnen, "beim ersten Lesen etwas antiquiert, frömmelnd vielleicht sogar harmlos anmuten", doch spiegele sich in ihnen eine für das Judentum "revolutionäre Weltanschauung". Denn Pappenheim zwinge Gott, der in den Gebeten nicht immer gut wegkomme, "zu sich hernieder" um sich "zu ihm zu erheben".

Pappenheims "einzigartige Verbindung" von Feminismus, Sozialarbeit und jüdischer Religion wird gerade auch in den Gebeten deutlich. Um sie aufrechterhalten zu können, benötigte sie die Kraft, von der in ihren Gebeten zwar immer wieder die Rede ist, ohne dass sie allerdings einfach erbeten würde. Pappenheims "ganzes Leben" habe sich in einem Gebet gesammelt, schrieb ihre Freundin Margarete Susman im Nachwort zur Erstausgabe: "Kraft, Kraft, verlaß mich nicht, Recht und Unrecht haarscharf zu unterscheiden."

Titelbild

Berta Pappenheim: Gebete/Prayers. Zweisprachige Ausgabe, ausführlich erläutert und erklärt.
Herausgegeben von Elisa Klapheck und Lara Dämmig.
Hentrich & Hentrich Verlag, Teetz 2003.
70 Seiten, 14,00 EUR.
ISBN-10: 3933471419

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