Frauen zwischen Freundschaft und begehrender Liebe

Charlotte Wolffs Roman "Späte Liebe"

Von Mechthilde VahsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mechthilde Vahsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Caroline und Emma sind fasziniert voneinander, und Caroline, aus einer Quäkerfamilie stammend, sieht hier für sich eine weitere Möglichkeit, im religiösen Sinn Gutes zu tun.

Die Autorin Charlotte Wolff schildert in ihrem zu großen Teilen unverschlüsselt autobiografischen Roman die Freundschaft einer in London lebenden Psychotherapeutin zu den beiden Frauen Caroline und Christabel. Seit 45 Jahren leben diese zusammen, und obwohl ihre Beziehung erotische Züge trägt, äußern beide homophobe Ansichten. Die Erzählfigur, die sich in ihrer therapeutischen Praxis auf das Handlesen und die Physiognomie spezialisiert hat, schildert die Ereignisse aus der Rolle des Gastes, der Freundin auf Distanz. In die ritualisierte und konfliktbehaftete Situation dringt eine weitere Frau ein, Emma, wie die Erzählfigur eine exilierte Jüdin, ebenfalls um die 65 Jahre alt. Caroline kümmert sich aufopferungsvoll um Emma und deren Vetter Friedrich David. Christabel hingegen leidet zunehmend unter der Situation. Sie stirbt schließlich, mit über 75 Jahren, nicht ohne vorher die Lebensgefährtin gebeten zu haben, sich von Emma zu lösen. Doch vergebens - Caroline und Emma ziehen gemeinsam in ein Haus und die Konflikte aufgrund der ungleichen Gefühle füreinander - Emma liebt Caroline und begehrt sie nicht nur als Freundin, sondern als Geliebte, Caroline hingegen steckt in ihren Konventionen fest - , führen zu psychosomatischen Krankheiten und Streit. Schließlich fährt Emma heimlich mit ihrem Ex-Ehemann zurück in die USA, Caroline widmet sich nunmehr ausschließlich ihren caritativen Arbeiten, die Freundschaft zwischen ihr und der Erzählfigur, ebenfalls nicht frei von erotischem Begehren, zerbricht.

Das Bemerkenswerte an diesem Roman ist die Darstellung älterer bzw. alter Frauen zwischen 65 und über 75 Jahren, die unfähig sind, sich über Konventionen hinwegzusetzen und ihre lesbische Liebe zu leben. Dabei wird durch die Erzählfigur sehr viel psychologisiert. Hier fließen viele berufliche Kenntnisse der Autorin ein, die sich - als Jüdin im Exil in Frankreich, später in England - nach einem Medizinstudium, das ihr erst 1951 anerkannt wurde, in die Kunst des Handlesens einarbeitete und damit ihren Lebensunterhalt verdiente.

Der Roman liest sich wie eine Dokumentation, der Stil ist berichtend, nüchtern, es fehlen poetische Bilder, Verfremdungen, das Autobiografische steht im Vordergrund. Die Darstellung konzentriert sich auf die miteinander verflochtenen Beziehungen zwischen den Frauen, es tauchen nur wenige Randfiguren auf, in der Regel Hausmädchen aus einer psychiatrischen Klinik. Im Zentrum steht dabei die Freundschaft zwischen Caroline und der Erzählfigur, die schließlich auseinander geht. Es ist ein Erstlings- und Alterswerk, die psychologische Beschreibung einer Frauenfreundschaft aus der Sicht einer zweidimensional bleibenden Perspektive, auf das Notwendige an Information konzentriert. So bleibt beispielsweise der Alltag der praktizierenden Therapeutin völlig außen vor.

1976 erschien der Roman in London, zu diesem Zeitpunkt hatte Charlotte Wolff bereits einige Sachbücher - zum Teil mit großem Erfolg - verfasst. Einige Jahre später erschien ihre Autobiografie "Augenblicke verändern uns mehr als die Zeit".

Titelbild

Charlotte Wolff: Späte Liebe. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Gerlinde Kowitzke.
Frauenoffensive Verlag, München 2003.
224 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-10: 3881043578

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