Alte und Neue Kriege

Eine Einführung zu einem aktuellen Thema

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Krieg steht auf der Tagesordnung. Mit den Angriffen auf Jugoslawien und den Irak ist der Versuch gescheitert, die Anwendung von Gewalt in internationalen Beziehungen auf eine rechtliche Grundlage zu stellen. Träumereien von einem Zeitalter der Zivilisierung, wie sie um 1990 kurzfristig Konjunktur hatten, sind widerlegt.

Wo es nicht mehr um das Ob, sondern um das Wie geht, drängt sich die Frage nach der Epochenspezifik des heutigen Krieges auf. Die rasche Entwicklung der Waffentechnologie in den fortgeschrittenen Industrieländern - namentlich den USA - auf der einen Seite, die Entstaatlichung des Krieges in der Peripherie auf der anderen Seite, werden seit Jahren ausführlich diskutiert. Allerdings gibt es bisher keine Einigkeit, in welchem Maße diese Neuerungen die Kriegführung verändern und ob ein Zusammenhang zwischen den scheinbar so gegenläufigen Tendenzen besteht.

Hier kann eine kompakte Einführung in Geschichte und Gegenwart des Krieges, wie Andreas Herberg-Rothe sie versucht, ihren Wert haben. Sein Buch hat eine erste Orientierung zum Ziel; eine umfassende Analyse des Themenbereichs kann und will Herberg-Rothe nicht leisten. Kaleidoskopartig stellt er statt dessen in sechs Kapiteln verschiedene Aspekte vor. Er handelt das Verhältnis von Krieg und Staatlichkeit sowie das von Krieg und Moderne ab, listet eine Typologie historischer Ausprägungen von Waffenträgern auf, fragt nach den Ursachen von Kriegen, nach dem Verhältnis von Tötungshemmung und Töten im Krieg und zuletzt nach den Entwicklungen, die den Krieg im 21. Jahrhundert mutmaßlich prägen werden.

Man kann die Kapitel einzeln lesen. Insgesamt ergeben sich nicht nur Redundanzen, sondern auch Widersprüche; nicht immer vermeidet Herberg-Rothe den Eindruck, er lasse sich vom jeweiligen Zusammenhang zu seiner Meinung inspirieren. So referiert er im Abschnitt zu Kriegsursachen ausführlich die notwendigen Eskalationsschritte, bevor es zur organisierten Gewaltanwendung kommen kann. Im Kapitel zum "Töten im Krieg" aber lässt er sich dann zu der Behauptung hinreißen, in Jugoslawien und Ruanda habe man beobachten können, wie Nachbarn "wie wilde Tiere übereinander herfielen und sich gegenseitig zerfleischten" - wobei in beiden Ländern ausführliche Planungen dem Morden vorangingen und keine genauen Untersuchungen vorliegen, wer und welcher Anteil der Bevölkerung sich in welchen Phasen der Konflikte an Tötungshandlungen freiwillig oder unter Androhung von Repressionen beteiligte. Insgesamt argumentiert Herberg-Rothe dort überzeugend, wo er sich gegen gegenwärtige Tendenzen zur Anthropologisierung von Gewalt ausspricht und die materiellen Interessen von Konfliktbeteiligten hervorhebt.

Vieles weitere ist einzuwenden. Da sind allzu blauäugig gesehene Details - wenn die Bundeswehr vor ihrem Umbau in eine Interventionsarmee ganz im Licht ihres Leitsterns vom "Bürger in Uniform" strahlt und der Behauptung gefolgt wird, sie zeichne sich durch einen deutlichen Bruch mit der Tradition vor 1945 aus; man könnte dagegen fragen, zu welchem Zweck so viele Kasernen nach Offizieren von Wehrmacht und Waffen-SS benannt wurden. Vielfach sind die Darlegungen sprachlich nicht klar, und es bleibt undeutlich, wo Herberg-Rothe fremde Positionen referiert und wo er eigene vertritt. Das betrifft insbesondere das Kapitel zu Krieg und Moderne, das eine zentrale Frage behandelt: in welchem Maße eine europäische Moderne, die in ihrem Verlauf zunächst innereuropäische Kriege einem einhegenden Regelsystem unterworfen hatte, durch eine Kombination aus technologischer Entwicklung und neuartiger Konzentration auf eine Entscheidungsschlacht Gewaltanwendung im Krieg dann wieder entgrenzte. Die Unzahl verschiedenster kulturhistorischer Theorien, die Herberg-Rothe in diesem kurzen Kapitel auf engstem Raum aufbietet, verwirrt eher, als dass sie alternative Antworten auf die Frage klar zu trennen erlaubte.

Immerhin zeigt sich hier, wie auch in den meisten anderen Kapiteln, der größte Vorzug des Buchs: eine entschiedene Historisierung. Es gibt nicht den Krieg, den Soldaten etc., sondern es gilt, völlig unterschiedliche Erscheinungen zu erfassen. Dabei übertreibt andererseits Herberg-Rothe auch nicht die Brüche. So bleibt er bezogen auf Gegenwart und absehbare Zukunft zu Recht skeptisch gegenüber der Rede von der Entstaatlichung des Krieges. Tatsächlich lassen sich die Staaten, die im Verlauf von Bürgerkriegen faktisch aufgehört haben zu existieren, an den Fingern einer Hand abzählen. Überall geht es darum, die staatliche Zentralmacht mit ihren Ressourcen zu erringen, einen eigenen Staat abzuspalten oder zumindest in einem umgrenzten Territorium staatenähnliche Gewalt auszuüben. Ob dies schon "Staatenzerfall" ist, wie ihn Herberg-Rothe für einen Teil der sog. Dritten Welt konzediert? Jedenfalls überzeugt seine Position, dass die bestehenden Großmächte bis auf weiteres als Staaten agieren werden und dass im Gefolge der Anschläge vom 11. September die Sicherheitsfunktionen von Staatlichkeit sogar noch gestärkt wurden.

An diesem Punkt ließen sich weitere Fragen zum Verhältnis von fortbestehender Staatlichkeit in den Zentren, Staatenzerfall in der Peripherie anschließen. Die leichten Siege des einzigen derzeit militärisch völlig souveränen Staats, der USA, in Afghanistan und im Irak wären zu diskutieren. In beiden Fällen konnte ein feindlicher Staatsapparat zerschlagen werden, doch sind die positiven Ergebnisse gering. Die Regierung Karsai kontrolliert gerade mal Kabul, solange es jedenfalls hell ist; das Besatzungsregime im Irak bringt selbst die Opfer Saddam Husseins gegen sich auf und scheint weiter entfernt von einer Restitution irakischer Staatlichkeit als zum Zeitpunkt des militärischen Sieges. In dieser Sicht mag sich der Staatenzerfall in zumindest manchen Fällen als von mächtigeren Staaten gewollt darstellen; jedenfalls dort, wo er die weitere Stationierung von Truppen in geostrategisch bedeutsamen Regionen legitimiert. Herberg-Rothes Skepsis gegen die verbreitete Theorie, eine Welt von Demokratien sei zugleich eine friedlichere Welt, überzeugt deshalb. Demokratien haben oft gegen nicht-demokratische Gemeinwesen Krieg geführt, der Imperialismus des späten 19. Jahrhunderts ging von den seinerzeit demokratischsten Staaten aus. Was die bisher seltenen Konflikte zwischen Demokratien angeht, verweist Herberg-Rothe darauf, dass Demokratien bislang nur vereinzelt bestanden und die empirische Basis für Verallgemeinerungen darum unzureichend ist.

Auch beim demokratischen Interventionismus nach Interessen zu fragen wäre deshalb produktiver als Herberg-Rothes Lavieren in den letzten Abschnitten seines Buchs, wo es um die Legitimität von Interventionen geht. Zu Recht warnt er vor einer rein moralischen Begründung, die sogar zu einer Entgrenzung von Gewalt führen kann - der moralisch Böse, anders als der Vertreter gegnerischer Interessen, fällt als Verhandlungspartner aus. Problematisch ist freilich Herberg-Rothes Versuch einer Grenzziehung, welcher Krieg legitim sei: der nämlich, der zu einer "deutlichen Begrenzung oder sogar Verringerung massenhafter Gewalt" führe. Diesen Effekt aber behaupten alle Interventionisten, und haben sie Unrecht, kann man die Intervention schlecht rückgängig machen; der gerechte Krieg, sofern nicht offensichtliche Verteidigung gegen einen Angriff von Außen, wäre also an einem Verfahren zu messen und nicht an einer behaupteten Wirkung. Die UNO aber ist faktisch entmachtet und die Kritiker der US-Politik im Falle Irak sind zum großen Teil die Aggressoren im Falle Jugoslawien, also nicht an einer Rechtsordnung, sondern am eigenen Handlungsspielraum orientiert. Friedenspolitik heute also hätte nicht zu fragen: Wann kann eine Intervention gerechtfertigt werden? sondern: Warum ist die nächste Intervention zu kritisieren - unabhängig von den Interessen des je eigenen Staats, möge er gerade einmal für oder gegen den Krieg sein.

Es gilt, den Gegenstand Krieg mit sachlichem Blick zu erkennen, um ihn beseitigen zu können. Beseitigt aber wird er nicht eher als die Interessen, die hinter ihm stehen. In den besten Passagen seines Buchs bietet Herberg-Rothe für ein solches Unternehmen Material; auf eine im Ganzen konzisere Einführung bleibt freilich zu hoffen.

Titelbild

Andreas Herberg-Rothe: Der Krieg. Geschichte und Gegenwart.
Campus Verlag, Frankfurt a. M. 2003.
154 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3593372363

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