Dürftig aktualisiert, doch weiterhin nützlich

Zur zweiten Auflage von Helmut Schanzes "Romantik-Handbuch"

Von Alexandra PontzenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexandra Pontzen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schon längst ist die Flut literaturwissenschaftlicher Sekundärliteratur so angeschwollen, dass es notwendig geworden ist, sie in Einführungen und Handbücher zu kanalisieren. Neben die Sekundärliteratur ist die Tertiärliteratur getreten. Sie wird zur sachlichen und bibliographischen Orientierung immer unentbehrlicher. Der Metzler-Verlag hat sich seit einigen Jahren auf die Herausgabe umfangreicher Handbücher spezialisiert und wird dem Goethe-Handbuch demnächst ein Schiller-Handbuch an die Seite stellen. Früher als Metzler hatte sich der Alfred Kröner Verlag der Handbuch-Produktion verschrieben. Erinnert sei an die Handbücher zu Schiller, Fontane, Kafka oder Thomas Mann.

Bieten die Handbücher zu prominenten Autoren den Verfassern bei der Materialbewältigung bereits Schwierigkeiten genug, so vermehren sich diese Schwierigkeiten noch erheblich, wenn es darum geht, komplexe Epochenbegriffe wie etwa das Fin de siècle, über das bei Kröner demnächst ein Handbuch erscheinen soll, in den Griff zu bekommen. Eine äußerst komplexe Epoche ist auch die Romantik, und deswegen war das 1994 erschienene Romantik-Handbuch eine Leistung, die mit Recht hohe Anerkennung gefunden hat und noch immer findet. Die Wertschätzung äußert sich nicht zuletzt darin, dass das Handbuch - auch in seiner Taschenausgabe von1998 - inzwischen vergriffen ist.

Es ist erfreulich, dass es jetzt wieder erhältlich ist; das Versprechen jedoch, dass es sich um eine durchgesehene und aktualisierte Auflage handle, ist zu vollmundig. Bei näherer Prüfung erweist sich, dass die Durchsicht nicht sorgfältig war und die Aktualisierungen dürftig ausgefallen sind. Auch enthält das knappe Vorwort des Herausgebers entgegen der Ankündigung im Klappentext kein Resumée zum aktuellen Stand der Forschung. Vielmehr bietet es kaum mehr als eine Aufzählung von Desiderata, die schon bei der ersten Auflage zu beklagen, aber leider auch bei der zweiten Auflage nicht zu befriedigen waren. Es fehlen weiterhin Artikel zur Wissenschaftsgeschichte, zur Literaturgeschichtsschreibung, zur Literaturkritik der Romantik und zur romantischen Musik im eigentlichen Sinne (der Beitrag "Musikalische Romantik" befasst sich lediglich mit literarischen Texten über Musik). Auch hat der Herausgeber mit der Bemerkung gewiss Recht, dass das Verhältnis von Klassizismus und Romantizismus neu zu überprüfen sei. Doch das würde in das weite Feld der europäischen Romantik führen und den Rahmen eines Handbuchs sprengen, das sich der deutschen Romantik widmet. Der für einen Nur-Germanisten immer noch befremdliche Umstand, dass unter europäischem Gesichtspunkt Goethe und Schiller der Romantik zuzurechnen sind, bedarf einer langen und stoffreichen Erläuterung.

Das Handbuch bleibe "auch in seiner zweiten Auflage eine fragile Einheit von offenbaren Lücken und Widersprüchen", heißt es am Schluss des Vorworts. Die Captatio benevolentiae geht fast zu weit; denn das weitgespannte und widerspruchsvolle Phänomen "Romantik" wäre kaum in Handbuch-Form zu bewältigen, nähme man solche Mängel nicht notgedrungen in Kauf.

Während also die schwer zu schließenden sachbedingten Lücken entschuldbar sind, verstimmt die Flüchtigkeit, mit der die bibliographischen Angaben revidiert und ergänzt wurden ¾ Letzteres nur sehr partiell. Die Auskunft etwa, dass von der Schiller-Nationalausgabe "bisher 45 Bände" erschienen seien, war bereits 1994 falsch und wird trotzdem wiederholt. In der Bibliographie zu Heine fehlte schon in der ersten Auflage eine so wichtige Ausgabe wie die Düsseldorfer Heine-Ausgabe; sie fehlt noch immer. Selbst die Angaben über die Beiträger sind nur teilweise auf einen neuen Stand gebracht worden. So heißt es z. B. über Stefan Greif, dass er "zur Zeit" über die Geschichte der poetischen Bildbeschreibung forscht, obwohl schon seit 1998 sein Buch vorliegt: "Die Malerei kann sehr beredtes Schweigen haben. Beschreibungskunst und Bildästhetik der Dichter". Die Beispiele dafür, wie wenig aktualisiert worden ist, ließen sich häufen - ein Trost für denjenigen, der die erste Auflage besitzt: Sie wird durch die zweite Auflage, die wenig mehr ist als ein Neudruck der ersten, nicht überholt. Doch ob nun erste oder zweite Auflage: Das Handbuch bleibt ein nützliches Hilfsmittel für jeden, der sich mit der deutschen Romantik vertraut machen will.

Titelbild

Helmut Schanze (Hg.): Romantik Handbuch.
Alfred Kröner Verlag, Stuttgart 2003.
810 Seiten, 29,00 EUR.
ISBN-10: 352036302X

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