Ein junger Pole erlebt den goldenen Westen

Radek Knapps Schelmenroman führt nach Wien

Von Sigrid BornRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sigrid Born

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Waldemar, ein naiver junger Pole, Ich-Erzähler und Held der Geschichte, reist in den "goldenen Westen" nach Österreich - auf die Empfehlungen seines undurchsichtigen Nachbarn Kuka, der sich dort angeblich so gut auskennt wie sonst niemand. Das Ziel der Reise ist Wien: "Dort leben nämlich zwei Millionen Museumswärter auf engstem Raum und reden dauernd über den Tod." Mit dem zwielichtigen Reiseunternehmen Dream Travel und einer großen Gruppe polnischer Männer, die nicht wie Touristen aussehen (es sind Schmuggler und Schwarzarbeiter) landet der Held der Erzählung in Österreichs Hauptstadt. Dort kann er sich eine Weile über Wasser halten, schläft in einem Park und ernährt sich von mitgebrachten Thunfischkonserven. Dann erst beginnt eine wahrhaft abenteuerliche Arbeitssuche. Manch ausweglose Situation muss Waldemar meistern, doch schließlich findet er Arbeit als Spielzeugverkäufer - und ein Zimmer in einer Männer-WG.

Was erwartet der Leser von einem polnischen Schelmenroman? Klischees natürlich, und sie werden reich belohnt: sie klauen also doch, die Polen - natürlich nicht Waldemar - sie schmuggeln, trinken Wodka, hauen andere übers Ohr - und wenn es kritisch wird, verstehen sie keine Sprache der Welt. Was dieses Buch so lesenwert macht, sind natürlich nicht die Klischees an sich. Vielmehr sind es die Augen Waldemars, durch die der Blick des Lesers auf Polen und Österreicher mit all ihren Stärken und Schwächen gelenkt wird. Dem Helden dieses Romans ist sehr daran gelegen, dass der Leser das Wesen der Polen versteht: "Als mein Großvater im Sterben lag, wollte er unbedingt eine Grabplatte aus Marmor haben. Es ist immer das Gleiche. Sobald bei uns jemand über dem Grab steht, will er Marmor haben. Dabei kosten zwei Meter Marmor ungefähr soviel wie ein Mittelklassewagen. Als mein Großvater starb, hatten sie die Wahl, seinen Wunsch nicht zu erfüllen oder die nächsten drei Jahre Müsli zu essen. Mein Großvater bekam eine Betonplatte. Wie alle in unserer Familie."

Auch die Westler erleben wir mit den unbefangenen Augen des jungen Polen: "Die Wiener sind [...] die höflichsten Menschen in Europa. Überall wird zuerst Gott gegrüßt, und erst dann wird geschaut, wen man da eigentlich gegrüßt hat."

Die Personen, mit denen Waldemar zusammentrifft, werden witzig-pointiert beschrieben, die Sprache ist eher einfach, präzise und voller Humor, Situationen werden zu Anekdoten aufpoliert. Nach leider nur 250 Seiten ist Waldemars Urlaub vorbei, und nicht nur er, auch der Leser ist traurig, dass eine schöne Zeit zu Ende geht. Etwas Erstaunliches ist jedoch geschehen: In dem Maße, wie der Romanheld den Westen und seine Menschen zu lieben beginnt, in dem Maße wird uns der junge Pole sympathischer, und nicht nur das. Über alle Klischees hinweg wächst auch unser Verständnis für die Ostler, die "sogar auf einer Müllhalde Juwelen finden" würden.

Titelbild

Radek Knapp: Herrn Kukas Empfehlungen. Roman.
Piper Verlag, München 1999.
251 Seiten, 19,40 EUR.
ISBN-10: 3492041469

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