Stratege im Hintergrund
Ernst Jüngers Briefwechsel mit Gerhard Nebel
Von Gunther Nickel
Besprochene Bücher / Literaturhinweise"Ich hörte die Namen Ernst und Friedrich Georg Jünger", erinnerte sich Heinrich Böll 1975, "zum ersten Mal von Gerhard Nebel, der einmal vertretungsweise für einige Wochen unser Deutsch- und Boxlehrer war." Nebel sei, fügte er hinzu, "schwer zu plazieren". "Diese Mischung aus höchster Sensibilität mit einer gewissen Rauhbeinigkeit, etwas Poltrig-Liebenswürdig-Bärenhaftes, dazu war er 'strafversetzt'; es wurde geflüstert, er sei Kommunist - zumindest gewesen." Nebel hatte in der Weimarer Republik zunächst mit der SPD, dann mit der radikaleren Sozialistischen Arbeiterpartei sympathisiert; Kommunist war er nie. Aber ansonsten charakterisierte Böll den studierten Altphilologen und zeitweiligen Deutschen Meister im Hochschul-Boxen genau so, wie er in der jetzt veröffentlichten Korrespondenz mit Ernst Jünger Kontur gewinnt: immer gerade heraus, dabei meist etwas zu impulsiv und doch eine empfindsame Seele.
Prätentiös wirken dagegen Ernst Jüngers Briefe. Während sich seine Paladine für ihn einsetzten, zog er sich lieber in seine "inneren Gemächer" zurück. Freilich nicht ohne ihnen zuvor ein paar zustimmende, meist aber wenig konkrete, zuweilen gar recht orakelhafte Worte mit auf den Weg zu geben. Jünger übte sich gern in Erhabenheit und ließ derweil andere seinen Ruhm vermehren. Viele seiner Äußerungen wirken, als seien sie bereits auf die Nachwelt, auf ihre Edierbarkeit hin berechnet. Nur sehr Weniges wirkt spontan. Aber, so muss man zugeben, im Vergleich zu Nebel war er nicht nur der kühlere, sondern auch der klügere, weil strategischer denkende Kopf.
Eine historische Quelle ersten Ranges ist der Briefwechsel zwischen dem in Dessau geborenen Nebel und seinem hannoveranisch kühlen Idol vor allem aus einem Grund: Er lässt deutlich werden, dass eine Kultur- und Zivilisationskritik hier nicht, wie das in anderen Fällen gern behauptet wird, eine Attitüde konservativer NS-Mitläufer im Rahmen einer relativierenden Verharmlosung des Nationalsozialismus darstellt. Die Briefe aus den Jahren bis 1945 beweisen sowohl Nebels als auch Jüngers Widerborstigkeit gegenüber dem NS-Staat, und sie zeigen auch, dass man Nebel seine Erklärung im Entnazifizierungsverfahren abnehmen muss, er sei der NSDAP nur beigetreten, um sich auf diese Weise zu schützen.
So wie Jünger und Nebel NS-Ideologemen in einer Zeit nicht beigepflichtet haben, in der das riskant war, so sehr lehnten sie auch eine allzu schmiegsame Anpassung an die neuen Leitbilder der Nachkriegszeit ab: "Nicht für richtig", schreibt Jünger, "kann ich es halten, dass Schlumberger mich als Philosemiten anpreist. Ich habe in der Tat einigen Juden aus der Klemme geholfen, die sich auch als dankbar erwiesen, doch sah ich sie dabei nicht als Partner, sondern als Klienten an."
So aufschlussreich wie diese zwischen Sturheit und Selbstbewusstsein changierende Haltung Jüngers ist Nebels scharfe Kritik am zögerlichen Widerstand der Generalität im NS-Staat: "Ich habe den Eindruck", schreibt er, "als ob diese Gestalten sich von Hitler nicht abgesetzt haben, weil er Unrecht tat, sondern weil und erst als sie merkten, dass er verspielen würde." Solche Kommentare, die man eher von einem Anhänger der politischen Linken erwarten würde, wiegen um so schwerer, als Nebel keineswegs auf selbstkritische Urteile verzichtete: "Die Distinktion von Hoch- und Landesverrat hat mich, als ich in Italien tätig war, verhindert, überzugehen. Ich hätte mehrmals die günstigsten Gelegenheiten gehabt, und ich hätte den Alliierten auch allerlei mitbringen können. Heute bedauere ich allerdings, dass ich damals dieser Distinktion unterworfen war. Es ist dies einer der schwersten Vorwürfe, die ich mir überhaupt zu machen habe."
Neben einem plastischen Bild der Stimmungslage eigensinniger Konservativer während der Zeit der deutschen Besatzung liefert diese Korrespondenz auch manche Spitze gegen Mitstreiter im intellektuellen Umfeld. So erinnert sich Nebel einmal an seinen "seltsamen Mitschüler" Joseph Breitbach, der sich für seinen Geschmack nach dem Ersten Weltkrieg immer etwas zu geschmeidig durch das interalliiert kontrollierte Koblenz bewegt habe. Und so sehr er auch die Intelligenz des umstrittenen Staatsrechtlers Carl Schmitt bewunderte, so wenig kann Nebel sich anfänglich für ihn persönlich erwärmen: "Er ist allzusehr Hure der jeweiligen politischen Macht, und zwar ohne jedes schlechte Gewissen, ohne Skrupel." Später hat sich seine Aversion allerdings in emphatische Bewunderung gewandelt.
Einige der kulturkritischen Beobachtungen sind nicht nur historisch bemerkenswert, denn man kann ihnen unverminderte Aktualität kaum absprechen. Das gilt etwa für die zahlreichen Anmerkungen zum Verfall des deutschen Bildungswesens. Nebel spricht einmal, natürlich ohne jeden Gedanken an eine politische Korrektheit verlangende Nachwelt, vom "allmählichen Herabsinken auf die Intelligenz- und Bildungsverhältnisse eines Sudannegerstammes" in den deutschen Schulen. Jünger, der ihm beipflichtet, interpretiert diesen Prozess als unvermeidliche Begleiterscheinung einer fortschreitenden Technisierung, die "eine Art von technischem Analphabetentum mit Auto, Kino und Radio" mit sich bringe. Falsch hat er damit wahrlich nicht gelegen. Am Ende der Lektüre halten sich daher Zustimmung, neugierig-unparteiische Aufmerksamkeit und Befremden ziemlich die Waage.
Nach den Korrespondenzen mit dem Maler Rudolf Schlichter und Carl Schmitt ist dies die dritte große Edition eines Briefwechsels mit Ernst Jünger. Von diesen dreien ist sie nicht nur die umfangreichste, sondern auch die reichhaltigste. Das verdankt sich vor allem der mustergültigen, ja maßstabsetzenden Kommentierung von Ulrich Fröschle und Michael Neumann, die - ohne jemals geschwätzig zu werden - mit 480 Seiten etwa genauso umfangreich ist wie der Briefwechsel selbst und eine Fülle von äußerst interessanten Informationen liefert.
Die beiden Herausgeber zeigen etwa, wie stark die Präsenz Jüngers im Nachkriegsdeutschland war, obwohl er bis 1949 nicht publizieren durfte. Ganz offenkundig gab es nicht nur einen "Fall Thomas Mann", auf den die Perspektive bislang immer verengt war, sondern auch einen die Öffentlichkeit nicht minder bewegenden "Fall Jünger". Um Jünger bemühe sich, klagte Alfred Döblin, "eine ganze Clique, Professoren und Literaten", darunter auch ein namentlich nicht genannter Staatsrat. Die Döblin-Forschung hat sich vergeblich darum bemüht, dessen Namen ausfindig zu machen. Fröschle und Neumann teilen ihn fast beiläufig mit: Es handelte sich um keinen geringeren als den sozialdemokratischen Politiker Carlo Schmid.
Solche Trouvaillen finden sich in diesem sorgsam formulierten Kommentar in Hülle und Fülle. In ihrem Nachwort analysieren die Editoren brillant Jüngers verdeckte Rezeptionssteuerung bis 1949, durch die er sogar auf Lexikon-Artikel über sich Einfluss zu nehmen vermochte. Der Gestus dieses Zugriffs ist dabei weder denunziatorisch noch hagiographisch, sondern vollkommen sachlich, was sich in der Jünger-Forschung bislang leider noch nicht immer von selbst versteht.
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