Abgesang auf das Abendland

Barbara Beßlich zeichnet Thomas Manns Spengler-Rezeption nach

Von Axel SchmittRSS-Newsfeed neuer Artikel von Axel Schmitt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Theodor W. Adorno hat nicht ohne Bewunderung von seinem "spähenden Jägerblick, der erbarmungslos die Städte der Menschheit durchstreift, als wären sie die Wildnis, die sie sind", gesprochen. Walter Benjamin nannte ihn - einige Grade profaner - einen "trivialen Sauhund". Oswald Spengler, von dem hier die Rede ist, verkündete den Deutschen 1918 den bereits vor dem Ersten Weltkrieg konzipierten "Untergang des Abendlandes", eine kulturgeschichtliche Apokalyptik, die in der zeitgenössischen Rezeption eine ungeheure, bis heute jedoch kaum erforschte Wirkung zeitigte. Die Freiburger Germanistin Barbara Beßlich, aus deren Feder bereits eine glänzende Analyse der Zivilisationskritik in Deutschland der Jahre 1890-1914 ("Wege in den Kulturkrieg", 2000) stammt, rekonstruiert in ihrer Untersuchung die Spengler-Rezeption Thomas Manns. Anhand bisher unveröffentlichter Quellen aus dem Züricher Thomas-Mann-Archiv zeichnet sie nach, wie Mann Spengler verstanden hat, mit wem er in München 1919/20 über den "Untergang des Abendlandes" diskutierte und, nicht zuletzt, wie Spenglers Ideen Eingang in die Texte Thomas Manns fanden. Natürlich ist Manns Spengler-Lektüre in der Forschung bereits an verschiedenen Stellen thematisiert worden, aber doch weitgehend ohne dessen Gespräche über Oswald Spengler und die entsprechenden Positionen seiner Diskurspartner zu berücksichtigen. Zudem wird die Darstellung der Spengler-Rezeption Thomas Mann in der Forschung gewöhnlich durch die Hinweise auf die "Joseph"-Tetralogie als Gegenentwurf zum "Untergang des Abendlandes" (so Helmut Koopmann) und auf die u. a. an Spengler orientierte Figur des Dr. Chaim Breisacher zentriert, der im "Doktor Faustus" deutlich negativ konnotiert wird als Polyhistor, der "über alles und jedes zu reden wußte, ein Kulturphilosoph, dessen Gesinnung aber insofern gegen die Kultur gerichtet war, als er in ihrer ganzen Geschichte nichts als einen Verfallsprozess zu sehen vorgab" (so Stefan Breuer). Unberücksichtigt geblieben ist jedoch der Umstand, dass Mann Spengler keineswegs von Anfang an skeptisch gegenüber stand. In die Zeit konservativ-revolutionärer Sympathien Manns - zwischen den Eckpunkten der "Betrachtungen eines Unpolitischen" (1918) und der "Rede von deutscher Republik" (1922) - fällt die begeisterte Spengler-Lektüre Thomas Manns, die sich vor allem in die Tagebücher eingeschrieben hat.

Von diesem wunderlichen Konservativen, den er einst bewundert hatte, nahm Thomas Mann bekanntlich in seiner Republik-Rede endgültig Abschied und damit nolens volens auch von einer politischen Konzeption, die als "konservative Revolution" ins Bewusstsein eingegangen ist. Zutiefst anstößig ist ihm der Gedanke, dass "Geschichte [...] nichts als der restlos außermenschlich vorbestimmte, nach ehernen Gesetzen sich vollziehende Lebensablauf biologischer Einheiten sein sollte, den man Kultur nennt". Biologistische Ideologien gehen in aller Regel mit Menschenverachtung einher. Thomas Mann nennt es eine "Selbstgefälligkeit, welche [...] für die Natur gegen den Geist und den Menschen überheblich Partei nimmt, [...] und sich wunder wie ehern und vornehm dabei dünkt". Diese "Überläuferei zur Natur", so findet er, "kann vornehmsten Snobismus" bedeuten, womit er bei Spengler angelangt ist. "Wir wollen unsere Meinung über Spenglers Werk hier einschalten." Sie hat allerdings eine Vorgeschichte, die nun durch Barbara Beßlichs kenntnisreiche Arbeit wesentlich deutlicher erscheint als zuvor. In ihr geht es daher auch folgerichtig weniger um die späte Abrechnung Thomas Manns mit Spengler, als vielmehr um dessen frühe Hinwendung zu Spenglers kulturapokalyptischem Denken. Dieser Ansatz trägt damit vor allem dem Umstand Rechnung, dass Spenglers Werk von erheblicher Bedeutung für den "Zauberberg" ist, sodass sich der Rekonstruktion von Manns Spengler-Lektüre, seiner Gespräche und Korrespondenz über den "Untergang des Abendlandes" eine Interpretation seiner essayistischen Auseinandersetzung mit Spengler und schließlich eine intertextuelle Analyse von Spenglers Buch und Manns "Zauberberg" anschließt. Für Barbara Beßlich wird der "Untergang des Abendlandes "zum Prätext für den Zauberberg. Sowohl der Untergang des Abendlandes als auch der Zauberberg sind situiert in einem kulturpessimistischen Diskurs, der sich in Deutschland nach der Kriegsniederlage festigt, und aus dem heraus die Konservative Revolution entsteht." Neben der Zeitphilosophie geht es dabei vor allem um das "Taufschalen"-Kapitel, um die Definition des Russischen als Gegensphäre zum Abendländischen und um die Orientierung der Peeperkorn-Figur an Spenglers Cäsaren-Typus. Das Leben auf dem "Zauberberg" zeichne, so Beßlich weiter, "den Wechsel vom faustisch, aktiv, emporstrebenden zum russisch, passiv, in die Weite blickenden Leben nach. Der Untergang des Abendlandes bedeutet eben auch den Aufstieg einer neuen Kultur, und die ist nach Spengler im Osten beheimatet." Russland steht bei Spengler, nach den treffenden Überlegungen Ernst Blochs, "als einzige Zukunft einem, man könnte sagen: verfaulenden Europa gegenüber. Als einziger Gegenstand des Optimismus; und die vollkommene, die bis zum Blödsinn getriebene Mythisierung Rußlands verringerte den Optimismus nicht". Vor allem die spezifische Definition des Russischen als etwas Nicht-Abendländischem und Außereuropäischem im "Zauberberg", das zur Formlosigkeit tendiert, führt Beßlich anschaulich auf Spengler zurück; sie ließe sich jedoch auch im Kontext der begeisterten Tolstoi-Lektüre und der Stilisierung Tolstois zum 'Propheten des Unmodernen' (etwa in Manns Essay "Goethe und Tolstoi") verorten. Im Hinblick auf mögliche intertextuelle Verknüpfungen der beiden Texte rückt insbesondere die Figur Leo Naphtas in den Mittelpunkt der Betrachtung, in dessen Gestaltung Barbara Beßlich Züge Spenglerscher Geschichtstheorie eingeflossen sieht: "Naphtas weltanschaulicher Rigorismus und seine rhetorisch gepflegte Grausamkeit, seine fatalistische Apokalyptik, seine Gotik-Auffassung, sein Begriff des Preußischen und dessen gemutmaßte Verwandtschaft zum Spanischen, sein Verständnis von Sozialismus und seine Tendenz zum paradoxalen Denken weisen Naphta als Geistesverwandten Spenglers aus." Gleichwohl könne man den "Zauberberg" zwar als "einen Abgesang auf das Abendland" lesen, jedoch nicht "mit triumphalischer Geste à la Spengler, sondern mit der 'melancholischen Ironie', die Thomas Mann bei Spengler zu finden gehofft und dann aber schmerzlich vermißt hatte".

Der erste Band von Spenglers "Untergang des Abendlandes" erschien 1918 in Wien. Der reißerisch-zeitgerechte Titel - Thomas Mann nannte ihn "kraß-katastrophal" - wirkte wie ein Fanal. "Vielleicht niemals vorher hatte ein philosophisches Buch einen so sensationellen Erfolg", schreibt Ernst Cassirer in seinem Buch "Der Mythus des Staates". "Es wurde fast in alle Sprachen übersetzt und von allen Arten von Lesern gelesen - von Philosophen und Gelehrten, Historikern und Politikern, Studenten und Forschern, Kaufleuten und dem Mann auf der Straße." Cassirer meint, dass der Grund für diesen beispiellosen Massenerfolg vornehmlich im Titel und weniger im Inhalt zu suchen sei: "Der Titel 'Der Untergang des Abendlandes' war ein elektrischer Funke, der die Einbildungskraft von Spenglers Lesern entzündete. Das Buch wurde im Juli 1918, am Ende des Ersten Weltkriegs, veröffentlicht. Um diese Zeit hatten viele, hatten die meisten unter uns erkannt, daß etwas faul war im Staate unserer hochgepriesenen westlichen Zivilisation. Spenglers Buch drückte dieses allgemeine Unbehagen scharf und durchdringend aus."

Thomas Mann hatte sich den ersten Band im Mai 1919 in der Münchener Buchhandlung Jaffe besorgt und begann im Juni mit der Lektüre. "Nach Tische in Spenglers 'Untergang des Abendlandes' geblättert und gelesen, daß das offenbar etwas für mich ist." Noch am selben Tag sind die ersten Leseeindrücke festgehalten: "Sehr gut, Gedanken und Brust weitend." Er ist weiterhin "höchst gefesselt"; namentlich die "große Einleitung mit der Bestimmung von Kultur und Civilisation verrät deutlich seine Tendenz, - die derjenigen der 'Betrachtungen' durchaus verwandt ist." Nach der Beendigung der "Großen Einleitung" drängt sich ihm das Gefühl auf, "hier einen großen Fund gethan zu haben, der vielleicht in meinem Leben Epoche machen wird". "Sympathetische" Nähe zum "Zauberberg" wird konstatiert, Spenglers Buch ein sehr hoher Rang zugewiesen. "Ich weise die Möglichkeit immer weniger ab, daß Spenglers Buch in meinem Leben Epoche machen könnte auf ähnliche Weise wie vor zwanzig Jahren die 'W.a.W.u.V.' [scil. Schopenhauers 'Die Welt als Wille und Vorstellung']." Nicht immer kann er dem "intellektualen Roman ersten Ranges" mühelos folgen, was ihn aber nicht "hinderte, die a priori vertraute Essenz des Buches begierig aufzunehmen". Allerdings, ein erster Vorbehalt schleicht sich doch ein: "Aber er schreibt nietz(sch)isch, indem er geringschätzig von Nietzsche spricht (allerdings unter einer höchst großartigen Optik). Ohne die dionysische Überwindung des Pessimismus wäre sein Buch nicht möglich gewesen, und die Art seines Über-Historismus ist selbst 'Untergang des Abendlandes', dessen Rest von Naivität, Egocentricität, mythischer Gegenwärtigkeit und Ahistorismus er aufzulösen und unmöglich zu machen sucht. In diesem Sinne ist sein Werk Décadence-Aufklärung."

Das Unbehagen wächst jedoch: "Aber auf Schritt und Tritt macht sich mir das widersprechende Verhältnis zu Nietzsche auffällig. Auch täuscht er sich über seine kolossal-wissenschaftliche Objektivität." Schon Ende Juli 1919 beendet Thomas Mann die Lektüre des ersten Bandes - eine systematische Lektüre, wie immer "mit dem Bleistift": sein erhaltenes Exemplar weist, wie Barbara Beßlich anschaulich zeigt, zahlreiche Anstreichungen und Marginalien auf - und fällt ein geradezu enthusiastisches Urteil: "Beendete gestern den ersten Band von Spenglers Werk, mit höchster Teilnahme. Das wichtigste Buch." Als er Spenglers Schrift "Preußentum und Sozialismus" im gleichen Jahr liest, stellt er angelegentlich fest: "Meine Sympathie mit dem rein Gesinnungsmäßigen (das ich aus dem Hauptwerk schon herausfühlte), geht oft bis zur Begeisterung." Es gibt für ihn dann auch kein "Zögern und Schwanken", als er um seine Empfehlung für den Nietzsche-Preis 1919 gebeten wird: "Seit ich den ersten Band [von Spenglers 'Untergang des Abendlandes'] las, bin ich ganz erfüllt davon und kann den zweiten, noch ungeschriebenen, kaum erwarten. Es ist ebensosehr das Buch des Augenblicks wie das Buch der Epoche, ein Buch voller Schicksalsliebe und Tapferkeit der Erkenntnis, worin man die großen Gesichtspunkte findet, die man heute gerade als deutscher Mensch braucht, ein Buch aus dem Geiste Nietzsches, bei aller gelegentlichen Kritik, die es an Nietzsche übt - ein dionysisches Buch."

Thomas Mann hatte Spenglers Buch unter den Vorzeichen der "Dekadenz-Philosophie" gelesen und auch bei ihm Sympathien mit dem Vergangenen herauszuspüren gemeint: "Spengler wird im allgemeinen als Prophet der 'Civilisation' verstanden, während sich doch diese ganze Anordnung der Dinge nur in einem konservativen Kopfe herstellt und seine ganze Kulturdiagnose [...] nichts als Melancholie, Resignation und unterirdische Polemik bedeutet." Genau mit dieser Einschätzung hat Thomas Mann sich jedoch geirrt. Spengler "protestierte heftig, als seine Philosophie eine Philosophie des Pessimismus genannt wurde. Er erklärte, er sei kein Pessimist. Es ist wahr, daß unsere westliche Kultur ein für allemal verdammt ist. Aber es hat keinen Zweck, über diese offenkundige und unvermeidliche Tatsache zu klagen. Wenn auch unsere Kultur verloren ist, so bleiben doch der gegenwärtigen Generation noch viele andere und vielleicht bessere Dinge", resümierte Ernst Cassirer Spenglers Position. Die am Ende des ersten Dezenniums ansichtig werdende gepanzerte Kunst- und Geistfeindlichkeit bestimmte auch Spenglers Affinität zum Nationalsozialismus; Cassirer nannte den "Untergang des Abendlandes" folgerichtig "eines der Pionierwerke des Nationalsozialismus".

In der Rede "Von deutscher Republik" korrigierte Thomas Mann seinen Irrtum, der darin bestand, dass er Spenglers Buch unter kultur-konservativen Vorzeichen gelesen und interpretiert hatte. Merkwürdigerweise war es kein anderer als Erika Manns Religionslehrer, Pfarrer Georg Merz, der ihn von dieser 'Fehl-Lektüre' abbrachte: "Hatte längeres Gespräch mit Pfarrer Merz, namentlich über Spengler, dem es mit seiner Theorie sehr ernst sein soll (obgleich sie meiner oft ausgesprochenen Überzeugung nach melancholische Ironie ist), und der wünsche, die Jugend vor Illusionen zu bewahren und sie von der zukunftslosen Kunst weg zur Technik und ähnlichem zu weisen", notierte Mann im Februar 1920 im Tagebuch. Barbara Beßlich bewertet diese Umorientierung Manns sehr treffend: "Thomas Mann, der zeitlebens ein Meister in der intellektuellen Anverwandlung fremder Konzepte war, erweist sich auch in seiner Spengler-Rezeption nicht nur als bereit, sondern als geradezu erpicht darauf, sich in seiner Meinung beeinflussen zu lassen."

Erst in der nicht ganz unproblematischen Republik-Rede lehnt Thomas Mann Spenglers Haltung als "falsch, anmaßend und bequem (das meint opportunistisch zu den Zeittendenzen) bis zur äußersten Inhumanität" ab. "Es läge anders", fährt Thomas Mann fort, "wenn diese Haltung Ironie bärge, wie wir anfänglich glaubten, wenn seine Prophezeiung polemisches Mittel der Abwehr bedeutete. Wirklich kann man eine Sache wie die 'Zivilisation', nach Spengler der biologisch-unvermeidliche Endzustand jeder Kultur und nun auch der 'abendländischen', ja prophezeien - nicht damit sie kommt, sondern damit sie nicht kommt, vorbeugenderweise also, im Sinne geistiger Beschwörung; und so, dachte ich, verhalte es sich hier. Als ich aber erfuhr, daß dieser Mann seine Verkalkungs-Prophetie stockernst und positiv genommen haben wolle und die Jugend in ihrem Sinn unterweise, das heißt sie anhalte, an Dinge der Kultur, der Kunst, der Dichtung und Bildung nur ja nicht ihr Herz und ihre Leidenschaft zu verschwenden, sondern sich an das zu halten, was einzig Zukunft sei und was man wollen müsse, um überhaupt noch irgend etwas wollen zu können, nämlich an den Mechanismus, die Technik, die Wirtschaft oder allenfalls noch die Politik; als ich gewahr wurde, daß er tatsächlich dem Willen und der Sehnsucht des Menschen die kalte 'naturgesetzliche' Teufelsfaust entgegenballt, da wandte ich mich ab von so viel Feindlichkeit und habe sein Buch mir aus den Augen getan, um das Schädliche, Tödliche nicht bewundern zu müssen". Spengler sei verhunzter Nietzsche; dessen "klugen Affen" nennt er ihn in einem Brief 1922 an Ida Boy-Ed.

Noch einmal, im Frühjahr 1924, äußert sich Thomas Mann öffentlich und zugleich unmissverständlich zu Spengler. "Über die Lehre Spenglers" ist ein Aufsatz überschrieben, der am 9. März des Jahres in der "Münchner Allgemeinen Zeitung" erscheint. Spenglers sensationelle Wirkung bringt er in Zusammenhang mit jener "Welle von historischem Pessimismus", die Benedetto Croce zufolge nach dem Ersten Weltkrieg über Deutschland hinwegging. Innerlich verwandt sei dieser "intellektuale Roman", dem er "große Eigenschaften" nicht abstreitet, mit dem "Reisetagebuch eines Philosophen" von Hermann Graf Keyserling, Bertrams "Nietzsche" und Gundolfs monumentalem Goethe-Buch - alles Texte, die keine Romane im eigentlichen Sinn waren, aber mit fiktionalen Versatzstücken und literarischen Tendenzen biographische und kulturgeschichtliche Themen ästhetisierten. Mann kontextualisiert diese neue Gattung in einem "Prozeß, der die Grenzen von Wissenschaft und Kunst verwischt, den Gedanken erlebnishaft durchblutet, die Gestalt vergeistigt und einen Buchtypus zeitigt, der heute bei uns, wenn ich nicht irre, der herrschende ist, und den man den 'intellektuellen Roman' nennen könnte". Eine poetische Traditionslinie dieser Gattung zieht Mann von der Romantik über Nietzsche in die Gegenwart, und es dürfte nicht allzu vermessen erscheinen, auch den "Zauberberg" - angesichts der bei ihm zu konstatierenden enormen Disputationsfülle bei gleichzeitiger Handlungskargheit - hierunter zu subsumieren.

Die Verwandtschaft mit den "Betrachtungen eines Unpolitischen" vermeidet Thomas Mann hingegen geflissentlich zu erwähnen. Stattdessen zeigt er sich bestrebt, mit dieser Form von Konservativismus nichts mehr zu tun zu haben. Es ist Spenglers eherner Fatalismus, den er ihm vorwirft, "ein froschkalt-,wissenschaftliches' Verfügen über die Entwicklung und eine feindselige Nichtachtung solcher Imponderabilien, wie des Menschen Geist und Wille sie darstellen, indem sie der Entwicklung denn doch vielleicht ein der berechnenden Wissenschaft unzugängliches Element von Irrationalität beimischen. Solche Anmaßung aber und solche Nichtachtung des Menschlichen sind Spenglers Teil. Wäre er zynisch wie der Teufel! Aber er ist nur - fatal. Und er tut nicht wohl daran, Goethe, Schopenhauer und Nietzsche zu Vorläufern seines hyänenhaften Prophetentums zu ernennen. Das waren Menschen. Er jedoch ist nur ein Defaitist der Humanität."

Thomas Mann stößt mit intuitiver Sicherheit ins Zentrum von Spenglers düsteren Prophetien vor. "Die persönliche Gewalt, der große Einzelne herrscht über entnervte Fellachenmassen, die er als Schlachtvieh traktiert." Spengler habe "Cäsarismus" genannt, was sich nur wenig später ohne jegliche Beimischung antiker Größe als brutale Barbarei entpuppen würde und von dem Spengler sehr zutreffend behauptete: "Das Zeitalter des Cäsarismus bedarf keiner Kunst und Philosophie." Gleichermaßen menschen- und geistfeindlich sei dieser "Versuch einer Morphologie der Weltgeschichte" - so der Untertitel des Buches von Spengler. Die Schärfe dieser Formulierungen überdeckt aber leicht, dass Thomas Mann Spenglers "Untergang des Abendlandes" weiterhin als großes und bedeutendes Werk schätzte. Mann stritt Spengler - ähnlich wie Bertram und Gundolf - nie den literarischen Rang ab, nur die Richtigkeit seiner Prognosen. Der "intellektuale Roman" Spenglers hatte sich wissenschaftlich und politisch, somit "intellektual", diskreditiert; seine literarischen Anteile - der "Roman" - behielten für Mann an Wert. Gleichwohl erwies sich Spengler unter dem Strich als aggressiver Betreiber des Untergangs des Abendlandes und damit auch als intellektueller Wegbereiter des Nationalsozialismus. Treffend titulierte Karl Kraus 1933 in der "Dritten Walpurgisnacht" die Nationalsozialisten als "Untergangster des Abendlandes", die ihr ideologisches Futteral mit Gedanken Oswald Spenglers füllten. Dem ist kaum etwas hinzuzufügen.

Titelbild

Barbara Beßlich: Faszination des Verfalls. Thomas Mann und Oswald Spengler.
Akademie Verlag, Berlin 2002.
170 Seiten, 39,80 EUR.
ISBN-10: 3050037733

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