Die Kreuzzüge wie sie wirklich waren

Hans Wollschlägers "Die bewaffneten Wallfahrten gen Jerusalem" in neuer Auflage

Von Evelyne von BeymeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Evelyne von Beyme

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Kreuzzüge so darzustellen, wie sie mit all ihren Grausamkeiten wirklich waren, das schien sich der damalige Mitzwanziger - der bei den Historikern "die Wahrheit" über das Kreuzzugsgeschehen vermisste - zur Aufgabe gemacht zu haben.

"Über 22 Millionen Tote [...]. Wofür? Nur für die Tätigkeit einer Institution, eines gigantischen Syndikats, das einst die Welt terrorisierte?" Derartig anklagende Worte finden sich in "Die Geschichte der bewaffneten Wallfahrten gen Jerusalem" viele.

Nicht unbekannt dürfte die Monographie so manchen aus der älteren Generation sein. Der erst kürzlich erschienene Text als zweiter Band der "Schriften in Einzelausgaben" erlebte bereits 1970 als "Drittes Buch" in "Kirche und Krieg - der christliche Weg zum Ewigen Leben" sein Debüt.

Die sechs Kapitel des Buches beschäftigen sich mit den zahlreichen Kreuzzügen, die in der Zeit vom 11. bis zum 13. Jahrhundert von den Abendländern - unter Führung der christlichen Kirche - gegen Heiden und selbst Christen unternommen wurden. Unter der Überschrift "Jerusalem, frohlocke!" soll das erste Kapitel den Leser in das Geschehen des ersten Kreuzzugs (1096-1099) einführen. Zwar findet das 1095 von Papst Urban II. abgehaltene Konzil von Piacenza sowie die dort anwesende Gesandtschaft vom byzantinischen Kaiser Alexios Erwähnung. Allerdings interpretiert Wollschläger Alexios Ansuchen in Piacenza nicht als "Hilferuf", sondern als "Aufforderung zu einem Aggressionskrieg". Dass es sich bei Alexios Gesandtschaft jedoch um eine Werbesuchung für westliche Söldner handelte - angesichts der für Byzanz bedrohlich vorrückenden Sunniten, die seit ihrem Einfall in Kleinasien sich der byzantinischen Gebiete bemächtigten - übersieht der Autor.

Weitaus detaillierter schildert er die Folgen des christlichen Vorhabens, das die Teilnehmer viel Geld kostete: Nicht nur die wohlhabenden Leute fühlten sich von der Kreuzzugspredigt angesprochen, die denjenigen, die sich zur Teilnahme an dem großen Unternehmen entschlossen, "komplette Sündenvergebung [...], Schuldenaufschub für die gesamte Dauer des Zuges, und nicht zuletzt reiche Beute versprach". Die Idee ließ sich nicht auf das Rittertum beschränken und ergriff auch die ärmere Bevölkerungsschicht, die von den Vorteilen der Kreuznahme ebenso profitieren wollte. Fatale Folgen für das Judentum hatte die Beteiligung des niederen Volkes am Kreuzzug, die - aus Mangel an Geldern - sich ihren Kreuzzug in so genannten "Raubzügen" gegen die Juden finanzierte. Dies "vielleicht allerentsetzlichste Kapitel" in der Kreuzzugsgeschichte: "die Verfolgung der Juden" ist, wie Wollschläger zu Recht bemerkt, bis jetzt viel zu selten Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung gewesen.

Das Eintreffen der verschiedenen Kreuzfahrerheere seit Winter 1096 und der hierbei von den einzelnen Führern der Kreuzheere abverlangte Lehnseid, klingt in "Die bewaffneten Wallfahrten gen Jerusalem" wie eine Kritik an Kaiser Alexios, der in dem besagten Schwur von den Führern verlangte, dass alle Eroberungen auf ihrer Kreuzfahrt im Morgenland als "Eroberungen für das Reich des Basileus" galten. Dabei unterschlägt Wollschläger, dass sich die Regelung lediglich auf diejenigen eroberten Gebiete bezog, die vor dem Einfall der Seldschuken bereits byzantinisch waren.

Ebenso fehlt in seiner Darstellung das für den weiteren Verlauf des ersten sowie des noch folgenden zweiten Kreuzzugs so wichtige, in den "Gesta dei per Francos" erwähnte Gegenversprechen des Basileus, die Kreuzritter mit Nahrung zu versorgen und sie mit Truppen zu unterstützen.

Völlig außen vor bleiben bei ihm auch die Streitigkeiten zwischen den Kreuzfahrern um den Besitz der Festung Antiochia. Für Wollschläger ging "alles ganz gerecht zu".

In diesem und den fünf folgenden Kapiteln überwiegt die Schilderung von den Kreuzfahrern begangener Greueltaten, unter anderem bei der Einnahme von Jerusalem Mitte Juli 1099, wo sie die Einheimischen "mit den Waffen hin[schlachteten]" oder "mit Steinen" erschlugen und den "toten Sarazenen die Leiber auf[schnitzten]", um "aus ihren Eingeweiden die Goldstücke hervor[zuholen]".

Wichtige Verweise fehlen auch im vierten Kapitel "Die ,Mutter der Welt'", das den vierten Kreuzzug (1198-1204) thematisiert. Nach Wollschlägers Angaben sollte das Angriffsziel dieses letzten Kreuzzugs "diesmal nicht das Heilige [Land] sein, in dem einst die Ankunft des Gottessohns im Fleische von heiligen Propheten geweissagt ward, sondern vielmehr: Ägypten". Unter den Kreuzfahrern galt aber das Heilige Land als das eigentliche Ziel - dass das Angriffsziel Ägypten in einem geheimen Zusatzprotokoll vereinbart worden war und die Kreuzfahrer von den Führern zunächst im Unglauben darüber gelassen wurden, hätte Wollschläger bei seiner Mayer-Lektüre nicht entgehen dürfen.

Seine Kritik an der Kirche bleibt nicht unbegründet: Die Schuld an den zu Raub- und Mordexzessen entarteten Kreuzzügen laste schwer auf der heiligen Institution, die "Mörder, Simonisten und Sodomiter zu einem Aufenthalt in Palästina" verurteilte, das Heilige Land als "Strafkolonie" missbrauchte. So waren denn auch die "Kreuzzugsaufrufe, die das 13. Jahrhundert praktisch pausenlos durchtrommelten [...] nur noch ein Mittel, um Sondersteuern zu erpressen und für die Kurienkriege einzusetzen [...], die praktisch gegen alle Welt gerichtet" waren.

Besonders gut gelungen ist das fünfte Kapitel ("Gesetzt über Völker und Königreiche"), in dem Wollschläger über die jesuanisch lebende, zu jener Zeit "über ganz Europa" verbreiteten Sekte - die Katharer berichtet. Die bereits vor Mitte des 12. Jahrhunderts in Deutschland gesichtete Sekte, deren eigentliche Hochburg Südfrankreich war, unterschied sich von der Kirche vor allem durch die "beachtete sexuelle Enthaltsamkeit" ihrer Anhänger. Die in diesem Zusammenhang von Wollschläger verwendete Bezeichnung "Kreuzzug" scheint für die grauenhafte Ausrottung, die die Kirche aus Konkurrenzangst gegen die Katharer unternahm, durchaus angemessen.

"Die bewaffneten Wallfahrten gen Jerusalem" basieren auf äußerst vielschichtigem Quellenmaterial, teilweise wird sogar auf Deutungsdifferenzen bei einigen Chronisten hingewiesen - beispielsweise beim Tod Barbarossas während eines Bades im Fluss auf dem dritten Kreuzzug (1187-1192), dessen Ursache bei den Chronisten zwischen Ertrinken und Herzschlag durch "plötzliche Abkühlung" schwankt.

Überwiegend kreisen die verwendeten Quellen jedoch um Schlachten und begangene Grausamkeiten, wobei der Kreuzzug an manchen Stellen dermaßen in den Hintergrund gerät, dass der Leser die Übersicht über das Geschehen zu verlieren droht. Nicht wenig tragen dazu die Überschriften bei, die - wie "Das Wahre Jubeljahr" oder "Ein Volk, das den Tod liebt" - keinerlei Hinweis auf den Inhalt des einzelnen Kapitels geben. Weitere Verwirrung stiftet vor allem die schlechte Strukturierung seines Werkes. Formal stören auch Wollschlägers Übertreibungen, wie sein Verweis auf das "Fundament einer riesigen Sekundärliteratur" für die Kreuzzugsgeschichte, das - obwohl es sich bei der Kreuzzugsliteratur zur Entstehungszeit seines Werkes und selbst heute noch um einen relativ kleinen Bestand handelt - so immens wäre, dass das Auflisten der verwendeten Sekundärliteratur "aus Raumgründen unmöglich" sei.

Zu wenig geht der Verfasser auf die Intentionen der einzelnen Kreuzfahrer, die zu dieser Zeit vorherrschenden Wertvorstellung sowie die damaligen Lebensumstände ein, welche vor allem in Frankreich und Deutschland viele Menschen zur Teilnahme an einen Kreuzzug bewogen. Der Glaube und die Kirche, welche sich diesen für ihre eigenen Interessen zu Nutze machten, reflektieren nur einen kleinen Teil der Geschichte der Kreuzzüge, so dass ein Verweis auf die sozialen Umstände als anderen Beweggrund zur Kreuznahme hier nicht ausbleiben dürfte.

Allein schon der Titel "Die bewaffneten Wallfahrten gen Jerusalem" verspricht mehr als er hält. So hätte auf die Verwendung des Begriffs "bewaffnete Wallfahrt" anstelle von "Kreuzzug" zumindest im Vorwort noch einmal eingegangen werden müssen, da dieser Gegenstand einer noch andauernden Debatte um die Definition des Kreuzzugs ist.

Auf 285 Seiten neben einer Kirchenkritik noch circa 300 Jahre Kreuzzüge unterzubringen, ist einfach zu viel Geschichte für so wenig Raum. Wohl sind "Die bewaffneten Wallfahrten gen Jerusalem" sprachlich sehr ansprechend gestaltet und in einem unterhaltenden Ton verfasst, was man von vielen Geschichtsbüchern nicht gerade behaupten kann. Für ein historisches Werk ist das Buch allerdings an manchen Stellen einfach zu unübersichtlich und ungenau.

Titelbild

Hans Wollschläger: Die bewaffneten Wallfahrten gen Jerusalem. Geschichte der Kreuzzüge.
Wallstein Verlag, Göttingen 2003.
288 Seiten, 24,00 EUR.
ISBN-10: 3892446598

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