Mit dem Charme des Sandmännchens

Vormodern und melancholisch: Grimms Märchen in einer DDR-Hörspiel-Fassung neu aufgelegt

Von Hannelore PiehlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hannelore Piehler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Märchen sind die Urform und die Klassiker des Hörbuchs. Entsprechend groß ist das Angebot an gesprochenen Fassungen. "Random House" legt nun eine weitere Version der "beliebtesten Märchen der Brüder Grimm" vor. Allerdings keine neue Bearbeitung, sondern frühere DDR-Hörspiel-Klassiker. Leider weisen nur die CD-Cover mit Bildern aus alten DEFA-Märchenfilmen auf diese Besonderheit hin. Hintergrundinformationen, auch nur eine kleine Erläuterung auf den CDs sucht man leider vergebens.

Für die Reihe "Original Litera Märchen Klassiker" sind drei Teile vorgesehen. Die Auswahl der Märchen für die erste Box, bestehend aus drei CDs, ist recht heterogen: Neben bekannten Märchen wie "Schneewittchen", "Hänsel und Gretel" oder auch "Frau Holle" finden sich auch etwas weniger bedeutende wie das "Hirtenbüblein" oder "Fuchs und Katze". Wer auch "Dornröschen", "Rotkäppchen" oder vielleicht "Rumpelstilzchen" seinen Kindern vorspielen oder selber anhören möchte, muss auf die nächsten beiden CD-Sets warten. Denn die beliebtesten Märchen wurden vorsorglich auf alle drei CD-Box-Sets verteilt - keine ungeschickte Verkaufs-Strategie.

Die Hörspiel-Fassungen selbst wurden damals mit zum Teil sehr bekannten Sprechern produziert. Corinna Harfouch beispielsweise ist in "Schneeweißchen und Rosenrot" zu erleben. Dieses Märchen ist zugleich eine der interessantesten und besten Produktionen der ersten CD-Box. Nicht nur klingt der undankbare Zwerg (gesprochen von Reimar J. Baur) in seiner habgierigen Verteidigung der gestohlenen Schätze ("mein eigen, alles mein eigen", "meins, meins, meins") fast so toll wie Golum in Peter Jacksons "Herr der Ringe". Auch Schneeweißchen (Corinna Harfouch) und Rosenrot (Juliane Koren) wirken überzeugend - und richtig schön lebhaft in ihrem gemeinsamen Spiel. Ansonsten jedoch werden die Märchen der CDs dominiert von einem ruhigen, getragenen, fast schon irritierend melancholischen Ton. Müssen Märchen wirklich so zart-traurig erzählt werden?

Immerhin: Bei der Aufbereitung der Märchen wurde auf Abwechslung gesetzt. Den ausführlichen Hörspiel-Fassungen (z. B. "Frau Holle", "Schneewittchen", "Hans im Glück", "Brüderchen und Schwesterchen") stehen auch kurze, nur von einem Erzähler vorgetragene Geschichten gegenüber ("Sterntaler", "Hirtenbüblein", "Wolf und Mensch", "Fuchs und Katze"). Musik wird gezielt als Stilmittel eingesetzt. Überbordende Fröhlichkeit sucht man vergebens, allenfalls der Gesang der Bremer Stadtmusikanten kann da als kleine Ausnahme gelten: Die Märchen-Versionen sind quasi vormodern erzählt und verströmen den Charme der Sandmännchen-Produktionen. Man sieht gleichsam die alten DEFA-Spielfilme vor dem inneren Auge. Die Kulissen alle etwas sparsam, die planwirtschaftlichen Muster zu grob, die Farben etwas fahl. Als Kind aber war man von der liebenswerten Inszenierung hingerissen.

Die unterschiedlichen Erzähler und Sprecher bringen in die Hörspiele allerdings wenig eigene Klangfarben ein. Vorwiegend die Musikeinspielungen wurden für dramatische Akzente eingesetzt, so beispielsweise, als die böse Stiefmutter Schneewittchen den vergifteten Apfel reicht. Sicher: Vereinzelt brechen Szenen die ernste Eintönigkeit auf. So bittet Schneewittchen den Jäger verzweifelt um ihr Leben, klingen Hänsel und Gretel im Wald durchaus verängstigt oder ist Hans im Glück fast schon heiter-naiv. Und doch wirkt alles stets wie in eine dicke Wattekugel gepackt.

Aber Vorsicht: Das gruselige Märchen "Von einem, der auszog das Fürchten zu lernen" könnte den ganz Kleinen den Schlaf rauben. Das hätte man sich vielleicht lieber ganz gespart.

Kein Bild

Jacob Grimm / Wilhelm Grimm: Grimms Märchen. Vol. 1. 3 CD.
Random House Audio, Köln 2003.
15,00 EUR.
ISBN-10: 3898305155

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