Zwei Väter, zwei Brüder

Winnetous Schwester erinnert sich an ihre Karl-May-Filme

Von Manu SlutzkyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Manu Slutzky

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mitte der sechziger Jahre war Marie Versini die vielleicht beliebteste Schauspielerin in Deutschland, jedenfalls bei der Jugend, die sie in ihrer Rolle der Nscho-tschi, der Schwester Winnetous, gesehen hatte, und bei den diversen Jurys, die sie mit Publikumspreisen wie dem "Goldenen Otto" (verliehen von der "Bravo"-Redaktion) und dem "Bambi"-Film- und Fernsehpreis (verliehen von Burda Verlag) auszeichnete.

"Es war - eine - große Freude", sagt Marie Versini (geboren 1940), wenn sie auf diese Zeit und damit auf den Beginn ihrer Filmkarriere zurückblickt. Kleine Rollen waren es, vergleichsweise, die sie in Horst Wendlandts Produktionen übernahm, und dennoch hat sie ihnen ein unverwechselbares Gesicht gegeben. Aus Paris stammend, praktisch kein Deutsch sprechend, wusste Versini anfangs gar nicht, wer Nscho-tschi überhaupt war. Doch mit "Winnetou I", 1963 unter der Regie von Harald Reinl entstanden, wurde sie die Inkarnation von Winnetous Schwester, und im Rückblick kann gesagt werden, dass die Besetzung der Rollen mit ihr und ihren Filmbrüdern, Pierre Brice und Lex Barker, sicherlich ein Glücksgriff für die Dreharbeiten war.

Zwei Väter, so Versini, hatte ihr Erfolg - Karl May und eben Horst Wendlandt, der Produzent vieler Karl-May-Verfilmungen, den sie bei der Premiere von "Winnetou I" auch persönlich kennenlernte und der seine Darsteller bei Premierenfeiern mit einem Goldstück beschenkte. Versini schätzte an ihm seinen "außergewöhnlichen Instinkt für Filmstoffe" sowie sein diskretes und zugleich generöses Auftreten.

In ihrer Autobiographie wird freilich nie so recht klar, wie intensiv Versinis Verhältnis zu Karl May und zu Nscho-tschi eigentlich war. Sie kannte natürlich ihre Rolle, doch was wusste sie über den Autor, sein Werk und seinen Status beim Leser? Hat sie jemals, von den Drehbüchern abgesehen, Karl May gelesen?

Natürlich wird ausführlich von den Dreharbeiten erzählt, die unter anderem deshalb so anstrengend waren, weil der Part von Lex Barker ausgekoppelt und innerhalb von sechs Wochen abgedreht werden musste und es dadurch notwendig wurde, die Drehorte öfter zu wechseln und wieder aufzusuchen, um die Szenen ohne Barker 'nachzuschießen'. Außerdem war es in Kroatien, dem späteren Kriegsgebiet im Jugoslawien-Konflikt, derart heiß, dass das gesamte Team besonders beansprucht war - neben den Schauspielern übrigens auch die Maskenbildner, die nach jeder abgedrehten Szene wieder gefordert waren.

Hauptperson in Versinis Leben und in ihrer Biographie ist der Schriftsteller und Regisseur Pierre Valet, den die Actrice 1974 geheiratet hat und mit dem sie auf der Insel Ré lebt. Ihre Filmkarriere war zur Zeit der Eheschließung bereits beendet, während ihre Fernsehkarriere noch weiterlief. Fernsehzuschauer in Deutschland konnten sie etwa in der Serie "Sergeant Berry" (1973/74, mit Klausjürgen Wussow), in "Tante Emma" (1980, mit Johanna von Koczian) und in "Die schöne Wilhelmine" (1985, mit Anja Kruse und Rainer Hunold) erleben.

Marie Versinis Memoiren wären vor 30 bis 35 Jahren sicherlich ein großer Verkaufsschlager gewesen. Sie mögen im Genre der Schauspieler-Autobiographien keine besondere Stellung einnehmen, doch ist erfreulich, dass der Bildteil mit den gestochen scharf clichierten Filmfotos in der Qualität weit über dem Durchschnitt solcher Bücher liegen dürfte. Spannend sind darüber hinaus die hier reproduzierten Beispiele der Werbefotografie (Marie Versini warb unter anderem für "Die neue Lux" mit Feuchtigkeitscreme) und der Heimat- oder Groschenromane ("Silvia-Roman", "Erika-Roman", "Romane des Herzens"), die sich in den sechziger und siebziger Jahren nicht ungern mit dem Konterfei der Schauspielerin schmückten. Auf zwei Heften ist Marie Versini sogar mit Prierre Brice bzw. dem früh verstorbenen Lex Barker zu sehen. So durchlebt der Leser mit Nscho-tschi noch einmal die Vergangenheit und lernt dabei, die Grauzone zwischen öffentlichem und privatem Leben bewußt wahrzunehmen und die Grenzen zwischen Film und Realität zu respektieren.

Titelbild

Marie Versini: Ich war Winnetous Schwester. Bilder und Geschichten einer Karriere. Unter Mitarbeit von Pierre Viallet & Michael Petzel.
Herausgegeben von Lothar und Bernhard Schmid.
Übersetzt aus dem Französischen von Christina Böhme.
Karl May Verlag, Bamberg 2003.
318 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-10: 378020164X

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