Lautloses Flatulieren als Zivilisationsleistung der Frau

Peter Roos' Männerbriefroman "Du pinkelst ja im Sitzen"

Von Julia KarichRSS-Newsfeed neuer Artikel von Julia Karich

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wann ist der Mann ein Mann? Und was ist ein richtiger Mann? Ein richtiger Mann verrichtet sein "Geschäft" in aufrechter Haltung, soviel ist schon mal klar! Das Entsetzen eines echten Mannes, der einen Anderen beim Pinkeln im Sitzen überrascht, drückt Peter Roos bereits in seinem Titel "Du pinkelst ja im Sitzen" aus. Doch in diesem Männerbriefroman imTagebuchformat geht es um mehr als um testosterongesteuerte Männlichkeitsvergleiche der beiden Hauptfiguren Florian und Paul.

Florian und Paul waren früher Flori und Paule. Ihre Jugend und Freundschaft war geprägt von den wilden 60ern, ihren faschistischen Vätern, der Studentenbewegung und dem Feminismus. Und auch die erste Freundin, der erste Kuss, Fremdgehen und Büstenhalter bestimmten den ganz normalen Wahnsinn des Erwachsenwerdens von Flori und Paule. Am Ende stand der Entschluss: "So wie unsere Väter werden wir nicht!"

Die beiden Freunde sind inzwischen 50. Florian ist nach New York geflüchtet, auch wegen einer gescheiterten Ehe. Paul ist zu Hause geblieben. Er schreibt oft nächtelang Briefe an den alten Freund in New York, dessen Antworten aus kurzen Faxen, Postkarten oder Schweigen bestehen. In seitenlangen Abhandlungen rollt Paul die Jugend noch mal auf: Musik, Autos, Frauen und "Der-liebe-Gott-Themen", die die Männerwelt verbinden. Oder einfach mal den besten Begriff für das beste Stück des Mannes finden. Von Rute, Rüssel, Liebesknochen über Spargel, Palme, Zipfel bis Zuzzel.

Doch für Paul geht es um mehr. Er muss sich über einiges klar werden und so manches aufarbeiten. Wie wurde aus Paule der Paul von heute? Gibt es Hoffnung auf den "neuen" Mann?

In witzig sprachgewandten aber teilweise auch nachdenklichen Monologen, versucht Paul sich selbst und seine Rolle als Mann zu definieren. Peter Roos ist mit "Du pinkelst ja im Sitzen" eine Art Generationsroman mit einer Menge Identifikationspotenzial gelungen. Doch nicht nur die 68er-Generation wird an dieser liebevollen Aufarbeitung ganz alltäglicher Probleme ihre Freude haben. Waren es früher die Beatles, so sind es heute Rap und Techno, die zu generationsbedingten Auseinandersetzungen führen. In einem gewissen Alter wird wohl jeder Verhaltensweisen an sich erkennen, die man als Jugendlicher immer kritisiert hat. Wie gut, wenn man immer mal wieder an seine guten Vorsätze erinnert wird.

Titelbild

Peter Roos: Du pinkelst ja im Sitzen! Ein Männerbriefroman.
Reclam Verlag, Leipzig 2001.
333 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3379007757

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