Charlie Bone und der Windschatten Harry Potters
Jenny Nimmo bedient sich in "Charlie Bone und das Geheimnis der sprechenden Bilder" reichlich bei der berühmten Vorlage
Von Anette Müller
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDass es im Zuge des "Harry Potter"-Erfolges Trittbrettfahrer geben würde, war zu erwarten. Ob solche offensichtlichen Nachempfindungen der Geschichte Harrys gebraucht werden oder nicht - außer um den Verlagen Geld zu bringen -, darüber lässt sich streiten. Doch jene Kinderbücher, die im Windschatten Harrys auf die Bestseller-Listen drängen, sind nun mal da - umso erfreulicher ist es, wenn das Buch trotz der Nähe zur berühmten Vorlage gut ist und ihm zumindest zum Teil eine Daseinsberechtigung gibt.
Jenny Nimmos Roman "Charlie Bone und das Geheimnis der sprechenden Bilder" gehört zu der erfreulichen Kategorie, auch wenn die Nähe zu "Harry Potter" teilweise fast unverschämt ist: Wie Harry Potter ist Charlie Bone bis zu jenem Tag ein ganz normaler Junge, an dem er durch Zufall seine magischen Fähigkeiten entdeckt. Während Harry Potters Eltern durch böse Mächte umgekommen sind und Harry bei der verhassten Verwandtschaft lebt, ist Charlie Bone Halbwaise und lebt mit seiner normal sterblichen Mutter und Großmutter bei den Darkwoods, der Familie seines Vaters, die nicht gerade liebevoll mit seiner Mutter und ihm umgehen. Auch Charlie Bone wird auf eine Zauber-Schule geschickt, die Bloor-Akademie, nachdem die verhasste, zweite Großmutter Bone und die noch unliebsameren Hexen-Großtanten entdecken, dass er wider Erwarten doch magische Fähigkeiten hat. So weit, so bekannt.
Dass man "Charlie Bone und das Geheimnis der sprechenden Bilder" dann doch nicht zur Seite legt, mag zum einen daran liegen, dass Jenny Nimmo den Leser neugierig darauf macht, herauszufinden, was es denn nun mit den sprechenden Fotos auf sich hat; zum anderen liegt es aber auch daran, dass man sich doch immer ein bisschen nach der vertrauten Atmosphäre der "Harry Potter"-Romane sehnt - zumindest, wenn man auch nur ein kleines bisschen Freude an dem kleinen Magier mit dem Z auf der Stirn hat.
Originalität ist das Letzte, was man Jenny Nimmo nachsagen mag, aber sie springt gekonnt auf den Zug auf, dessen Lok immer noch Joanne K. Rowling heißt. Bei ihr hat sich die Autorin das Gerüst ihrer Geschichte geborgt, und dabei ist es ihr zumindest gelungen, es mit einem Abenteuer zu füllen, das weder platt noch vorhersehbar ist - fast schon eine Leistung, wenn man bedenkt, wie viele schlechte Bücher es gibt, die "Harry Potter" als Blaupause nehmen.
Angesichts des immer wieder aufkommenden Geschreis "Kinder lesen nicht!" und des dazu im Gegensatz stehenden Erfolgs der "Harry Potter"-Reihe kann man Jenny Nimmos "Charlie Bone" fast schon als Leseförderung verstehen - zumindest für jene, die den nächsten Teil von "Harry Potter" nicht abwarten und in eine ähnliche Welt abtauchen möchten. Die Geschichte Charlies, der auf der Bloor-Akademie auf ähnliche Freunde und Feinde trifft wie Harry in Hogwarts, ist spannend und flüssig erzählt und zumindest so angelegt, dass Frau Nimmo locker noch zwei, drei Bände hinterher schieben kann, denn Charlie dämmert im Laufe seiner Erkundungen, dass auch der Tod seines Vaters ein Geheimnis in sich birgt. Es gelingt ihm aber in dieser Geschichte nicht, es zu entschlüsseln. Somit können alle nur gewinnen: die Zeit bis zum nächsten Potter-Band ist überbrückt, die Kinder (und auch die Erwachsenen) lesen, der Verlag verdient. Na bitte.