London im Jahre 1021

Christian Brückner liest Noah Gordons erfolgreichen Roman "Der Medicus"

Von Petra PortoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Petra Porto

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

London, 1021. Dreck und Elend. Der junge Rob J. Cole ist zur Waise geworden. Da niemand für ihn sorgen kann oder will, wird er zu einem Bader in die Leere gegeben, der durch England reist, für sein Universalspezificum (das zu einem großen Teil aus Alkohol besteht) wirbt und das Publikum mit Jonglage und Zauberkunststücken zum Kauf animiert. Als der Junge allerdings langsam bemerkt, dass die Art der Heilkunst, in der ihn sein Lehrmeister unterweist, seine Grenzen hat, dass es viel mehr zu lernen gibt, als der Bader ihm beibringen kann, verlässt Rob England, um in den Orient zu ziehen.

Nach einer langen Reise gelangt er schließlich nach Isfahan, der Perle des Morgenlandes. Rob muss sich als Jude ausgeben, um an der dortigen Universität studieren zu können - eine Todsünde für jeden Christen. Der junge Bader jedoch will den berühmtesten aller Ärzte treffen und von ihm lernen: Abu Ali al-Hussain ibn Abdulah ibn Sina.

Christian Brückners raue, aber gleichzeitig sanfte Stimme kennt man. Er synchronisiert sowohl Alain Delon als auch Marlon Brando, Harvey Keitel und Robert de Niro. Kein Wunder, dass man sich schnell in ihrem Klang verliert und die Orte, an die uns Noah Gordons "Medicus" mitnimmt, vor sich zu sehen glaubt. "Der Medicus" ist ein ansprechendes Hörbuch, eine Art "Erzähl mir was" für Erwachsene. Es macht Spaß, sich vom Sprecher durch die Londoner Docks, die Basare von Isfahan und die Innenhöfe des Königspalastes führen lassen, ihn erzählen zu hören von gerissenen Badern, gütigen Ärzten, launenhaften Schahs und Schafzüchterinnen aus den schottischen Highlands. Brückner beherrscht es meisterhaft, sich stimmlich auf die Emotionen des Protagonisten einzustellen. Ist Rob müde, wirkt auch Brückner erschöpft, ist er erfreut oder erregt, sind auch diese Gefühle in Timbre des Sprechers hörbar.

Frauenstimmen dagegen gelingen dem Sprecher weniger gut. Robs Frau Mary klingt so immer ein bisschen hysterisch, was bei der eigentlich sehr pragmatischen Dame etwas befremdet. Darüber hinaus sind anscheinend leider (besonders gegen Ende) längere Passagen des Romans gekürzt worden. Die Probleme, die Rob damit hat, sich in seinem neuen "jüdischen" Leben zurecht zu finden, seine tastende Suche nach einer neuen Identität und seine Erfahrungen mit Ausgegrenztheit und Isolation werden so vielleicht nicht immer deutlich genug.

Wer den Roman kennt, wird vielleicht einige Stellen vermissen, an deren Eindringlichkeit er sich gut erinnern kann. Wer jedoch vollständig unbefangen an das Hörbuch herangeht, erlebt einen der Bestseller der achtziger Jahre in einer gestrafften und fesselnden Version.

Titelbild

Noah Gordon: Der Medicus. 8 CD.
Random House Audio, Köln 2003.
39,50 EUR.
ISBN-10: 3898303446

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