Was kostet die Welt?

Arturo Alapes Roman "Das Blut der anderen"

Von Anita LangenhorstRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anita Langenhorst

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ramon ist nicht einmal neun Jahre alt, als er mit seinem drei Jahre älteren Bruder Nelson aus Angst vor Schlägen wegen der schlechten Schulnoten von zu Hause ausreißt. Geprägt von Armut und Gewalt geraten die beiden Brüder auf ihrer Suche nach einer heilen Welt geradewegs in die Hände von Don Luis, der sie mit Reichtum und Gemeinschaft lockt. Der Preis dafür ist jedoch hoch ... die beiden müssen mit ihrem Gewissen zahlen.

Was auf den ersten Blick an eine moderne Variante und Transformation von Goethes "Faust" erinnert, entpuppt sich bei näherer Betrachtung als literarische Verarbeitung der alltäglichen Straßenszenerie kolumbianischer Großstädte. Nach jahrelanger biografischer Recherche zur Guerilla seines Landes, gewährt der kolumbianische Schriftsteller Arturo Alape in seiner ersten deutschen Veröffentlichung nun detaillierte Einblicke in die blutigen Erinnerungen eines jugendlichen 'Berufskillers'.

Treffender, als mit den drei Schlagwörtern "sex, drugs and crime", kann der Inhalt des Romans wohl kaum auf den Punkt gebracht werden. Kaum eine Seite vergeht ohne die Erwähnung oder Darstellung einer dieser drei Komponenten. Trotzdem ist Alapes Werk nicht als oberflächlich abzutun: Vielmehr bewegt sich der kolumbianische Schriftsteller in seinem Roman im Bereich der Tiefenpsychologie. Er erzählt die Geschichte eines Neunzehnjährigen, der sich ihm zum Zweck der mentalen Verarbeitung anvertraut hat, indem er in Alapes Gegenwart noch einmal in seine "schauerliche Vergangenheit" hinabgetaucht ist: "Sie haben meine Erinnerungen aufgestachelt, jetzt müssen Sie meine Erinnerungen auch niederschreiben. Ich hoffe nur, dass Ihr Verstand und Ihr Gewissen dabei nicht irre werden."

Ähnlich wie Goethes "Faust" können auch Ramon und Nelson dem 'teuflischen' Pakt nicht widerstehen. Don Luis nimmt die beiden Halbwüchsigen zu sich auf, überschüttet sie mit Geld und gibt ihnen das Gefühl von Zugehörigkeit. Als Teil seiner Killerbande lernen sie in professionellen Kursen mit Waffen umzugehen und werden dazu ausgebildet "mit zielsicherer Kinderhand das Blut der anderen zu vergießen". Drei Jahre lang morden sie in seinem Namen. Als Ramon schließlich ganz alleine dasteht, kehrt er zurück in seine Heimat ...

Arturo Alape beschreibt Ramons Geschichte mit einer genauen, bitteren und teilweise fast aufdringlich wirkenden Sprache. Der kolumbianische Schriftsteller erzählt die Ereignisse mit der Stimme des Protagonisten, ohne vor Details zurückzuschrecken. Er versetzt den Leser in eine voyeur-ähnliche Position, indem er selbst die abnormalen sexuellen Erlebnisse des Neunjährigen in allen Einzelheiten wiedergibt. Die Verwendung des Straßenjargons unterstützt dabei die authentische Wirkung des Textes. Trotz allem schafft Arturo Alape es dank einer Mischung aus Slang und Jargon ein gewisses Sprachniveau aufrechtzuerhalten.

"Das eigene Blut fließt, pulst unter Schmerzen, DAS BLUT DER ANDEREN stockt und macht den Atem gefrieren." Ein blutiger Roman - für starke Nerven ...

Titelbild

Arturo Alape: Das Blut der Anderen. Roman.
Übersetzt aus dem Kolumbianischen Spanisch von Richard Groß.
Edition Köln, Köln 2003.
138 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3936791023

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