Kruckurckurickiruckuruckruck oder wie?

Daniil Charms führt die Ratlosigkeit als Tugend vor

Von Wilfried von BredowRSS-Newsfeed neuer Artikel von Wilfried von Bredow

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hellwache Dreijährige werden ihren Großvater zu verzweifeltem Entzücken bringen, weil sie diese Geschichten immer wieder hören, diese Bilder immer wieder neu durchforsten wollen. Die blasierten Vierzehnjährigen werden kichern. Und ist es zu optimistisch, sich ganze Schulklassen der Sekundarstufe II vorzustellen, nicht allzu weit vom Abitur entfernt, die mit ihren Kunst- und Literaturlehrern begeistert Charms-Geschichten erfinden und Grauert-Bilder dazu malen? Soviel zu den potentiellen Adressaten dieser überraschenden kleinen Bücher.

Überraschend auch, weil der russische Dichter Daniil Charms bis vor wenigen Jahren so gut wie unbekannt war, nicht nur bei uns, auch in seinem Heimatland. Er ist 1942, nachdem er als Spion verhaftet worden war, in einem Leningrader Gefängnis verhungert. Natürlich war er kein Spion, vielmehr ein zarter Mensch und Bohémien auf der Grenzlinie zwischen verrücktem Leben und einer Sprach-Kunst, die das verrückte Leben noch überbieten will, um es dadurch gewissermaßen zu korrigieren. Damit kam man in der stalinistischen UdSSR nicht weit.

Wenn Charms ins Theater ging, klebte er sich einen Schnurrbart an. Denn, sagte er, man kann doch ohne Schnurrbart nicht ins Theater gehen. Diese Episode aus seiner Biographie klingt schon wie eine seiner Mini- und Kürzestgeschichten, von denen es eine beträchtliche Anzahl gibt, manche für Kinder, manche für Erwachsene. Diese Unterscheidung, vermute ich, war ihm zweitrangig.

Einige Sammlungen seiner Texte sind in den letzten Jahren auf Deutsch erschienen, z. B. "Die Kunst ist ein Schrank" bei der Friedenauer Presse in Berlin. Dann hat ein anderer Berliner Kleinverleger den ungewöhnlichen Einfall gehabt, gleich fünf kleine Texte von Charms jeweils als eigenen, handlichen (nämlich CD-formatigen) Band zu publizieren. Die Texte sind kurz bis sehr kurz. Einer lautet z. B.: "Eines Tages ging ein Mann zur Arbeit, und unterwegs begegnete er einem anderen Mann, der ein polnisches Weißbrot gekauft hatte und auf dem Heimweg war. Das ist eigentlich alles." Christiane Grauert hat die Buchstaben und Wörter dieser beiden Sätze in zehn ganzseitige Buntstift-Zeichnungen eingebunden, die aus dieser Geschichte ein riesiges Abenteuer werden lassen.

Das ist ihr auch in den vier anderen Bänden gelungen, wo es manchmal ganz schön morbide zugeht und wo von den Defiziten des Lebens und des Todes gehandelt wird. Seinerzeit erhellten sie die mürbe, gefahrenreiche Atmosphäre des stalinistischen Alltags mit lakonischer Unverdrossenheit. Aber ihrer Katastrophen-Komik kann sich auch heute niemand entziehen. Da fallen alte Damen gleich reihenweise aus dem Fenster, jemand hat den Namen eines bestimmten Vogels vergessen, was zu einem Zungen-Slapstick führt. Und wie war noch gleich die Reihenfolge der Zahlen sieben und acht? Alle sind ratlos, aber damit kommen sie eigentlich besser zurecht als mit Ratschlägen, die doch nichts taugen.

Text und Bild (hier weitaus mehr als nur Illustration) sind kongenial. Christine Grauert hat ungezählte Details in ihren Bilder versteckt, die so das Erzählte weiterspinnen und unsere Einbildungskraft auf Trab bringen. In Charms und Grauerts Welt kann die Phantasie schweben und Grazie üben, gerade weil es oft eine betrübte Grazie ist, die dazu auffordert. Aber sie macht den Geist aufnahmefähiger, erquickt, falls vorhanden, die Seele und ist ein hervorragendes Gegenmittel gegen die allgegenwärtige Verführung zum Abstumpfen und Vergröbern.

Titelbild

Daniil Charms: Die herausfallenden alten Frauen und andere Fälle. 5 Bände.
Illustriert von Christiane Grauert.
Übersetzt aus dem Russischen von Ilse Tschörtner.
Verlag Gerhard Wolf Janus press, Berlin 1997.
je 8, 14,00 EUR.
ISBN-10: 3928942484

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