Sein Chlebnikov
Über Oskar Pastiors klangvolle Interpretationen eines Gründers der Moderne
Von Ute Eisinger
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseÜberaus dankenswert ist die Neigung der Ein-Mann-Institution Urs Engeler, Editor, in seiner Buchreihe zur Zeitschrift 'Zwischen den Zeilen' Nachdichtungen zu bringen - und unter diesen vermehrt Neu-Übersetzungen von Dichtern, deren Œuvre, ist es einmal ins Deutsche transponiert, allzu schnell ein gültiges Gesicht erhält. Wie Musik und Theaterstücke leben auch Gedichte in jedem neuen Durchgang neu auf, sie von einer Sprache in eine weitere zu übersetzen belebt sie umso mehr. Geschieht dies in mehreren Stimmen, kann im Leser ein Eindruck davon entstehen, wie groß die Spielräume der Übersetzer und wie freisinnig das Original sein mag.
Im Falle von Velimir Chlebnikov war das in dem Sinne Beste schon 1972, zu seinem 50. Todestag, geschehen: Bei Rowohlt erschien die Gesamtausgabe, worin Peter Urban die fähigsten Dichter und Philologen seiner Generation den Wegbereiter der russischen Avantgarde ins Deutsche bringen lässt, darunter auch Pastior. So erhielt - und das ist ein seltener Glücksfall in der Praxis des Übersetzens - jeder Chlebnikov-Text mehrere Interpretationen, von streng interlinearen, kommentierten Versionen seiner um die Semantik der Wortwurzel spielenden Sprach-Auslotungen bis hin zu deutschen Entsprechungen dieses Verfahrens, die mit dem im Russischen entstehenden Sinn nichts mehr gemein haben.
Pastior gehörte freilich zu jenen Extremisten, auf die letztgenannte Charakterisierung zutrifft: Als 'Oulipote' macht er sich die Spielregel zu eigen, um in seiner Sprache selber zu spielen. Die Auseinandersetzung mit den Verfahren Chlebnikovs ist allerdings ernsthaft, so ernsthaft, dass Chlebnikov in Pastiors Poetik-Vorlesungen regelmäßig den Ehrenplatz erhält. Als ehemaliger Zwangsarbeiter in der Sowjetunion ist der deutschsprachige Siebenbürger ja im Russischen unfreiwilligerweise bewandert - anders als im Italienischen, mit dem er aus Petrarca pastiarke Bastarde fabrizierte. Das macht aus Seinem Chlebnikov Unseren Chlebnikov - einen Besessenen, der, wäre seine Sprache deutsch gewesen, geschrieben hätte wie Pastior ihn schreibt.
Die neue Ausgabe würdigt Pastiors Chlebnikov-Leidenschaft, in dem hier sämtliche ,Übersetzungen' und andere Arbeiten zu Chlebnikov versammelt, vom Autor kommentiert und mit einer CD versehen sind, worauf Pastior seinen Chlebnikov liest. Die russischen Originaltexte, die in Urbans Ausgabe bei Rowohlt leider fehlten, enthält der Band auch. Der Essay von Felix Philipp Ingold wertet das private Verhältnis Pastiors zu Chlebnikov auf recht verständliche Weise noch auf.
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