Beinah ein "Heiligenroman"

Heinrich Bölls erster Roman "Kreuz ohne Liebe" scheitert zum Wohle seines Autors

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Juli 1948 schrieb Heinrich Böll seinem Freund Ernst-Adolf Kunz: "Ich werde mir über viele meiner Fehler klar: ich arbeite zu schnell, zu ungeduldig, irgendwie verschwenderisch, ich nehme alles zu persönlich zu 'ernst', habe keinen Abstand, und das verdirbt jene ruhige Gelassenheit, die man von einem Erzähler erwartet." Anlass für diese selbstkritische Einschätzung waren die Ungewissheiten, was wohl aus den Texten werden würde, die Böll in jenen Monaten zuhauf an Zeitschriften und Verlage schickte. Darunter war auch der Roman "Kreuz ohne Liebe", den Böll unter großen Anstrengungen und Entbehrungen 1947 fertiggestellt hatte und mit dem er an einem Preisausschreiben der christlichen Zeitung "Das Abendland" teilnehmen wollte. Der Roman wurde abgelehnt und blieb auch in den nachfolgenden Jahren unveröffentlicht. Erst jetzt liegt er im Rahmen der bei Kiepenheuer & Witsch erscheinenden Werkausgabe auch als Taschenbuchausgabe wieder vor.

Bölls "Erstling" ist ein Roman, der noch ganz unter dem Eindruck des eben zu Ende gegangenen Krieges steht. Ein der unmittelbaren Betroffenheit geschuldeter Roman, dessen Substanz entscheidend von der eigenen Militär- und sechsjährigen Kriegserfahrung als Soldat gespeist wird. Ein emotionaler und engagierter Roman, der freilich eben deshalb mit jenen Fehlern ausgestattet ist, die Böll selbstkritisch vermerkte.

Zuviel will der Roman. Am Beispiel des ungleichen Brüderpaars Christoph und Hans Bachem will Böll den Charakter der totalitären nationalsozialistischen Vereinnahmung aufzeichnen. Hans, der jüngere Bruder, hat sich 'der 'Bewegung' verschrieben und ist ein überzeugter Nationalsozialist; Christoph dagegen entwickelt aus einem intensiven christlichen Empfinden heraus, Widerwillen gegen das Regime, kann sich ihm aber auch nicht mehr entziehen, als er zum Militär eingezogen wird: "Eingesperrt in dieses Gefängnis der klotzigsten Idiotie Preußens, ein grauenhaftes Gemisch aus Hygiene, Ziegelsteinen, Geistlosigkeit und Stumpfsinn, eingeklemmt in die trostlose Form des modernen Baustils". Der entwürdigende Drill der seelenlosen Kriegserziehung droht den empfindsamen jungen Mann zu zerstören. Erst eine Liebesgeschichte, die in ihrer Entstehung ein wenig konstruiert wirkt, bietet Halt und Hoffnung bis der Krieg ausbricht. Christoph erlebt den Krieg - wie auch Böll - von Beginn an bis zum Ende. Die Schilderung des Kriegsalltags, sei es in der zerstörten Heimatstadt Köln, wo der an die Ostfront verlegte Soldat während eines kurzen Halts seine Mutter wiedersieht, oder im düsteren Frontalltag in Russland, gelingt Böll sehr intensiv. Es sind bedrückende Bilder, die er mit erstaunlicher Sicherheit entstehen lässt. In die Schwere dieser Düsternis mischt sich dabei immer wieder ein poetischer Ton, der die Würde der Ruinen erahnbar werden lässt, von der Böll später einmal beim Anblick der zerstörten Stadt Köln sprach. Während der Bruder dem Kriegshandwerk ausgeliefert ist, ist Hans dem System willig. Nicht frei von Gewissensbissen, vor allem im Angesicht seiner wortlos anklagenden Mutter, erfüllt er doch die von ihm geforderten Schergendienste. Böll formt diesen Typus nur beiläufig. Seine wachsenden inneren Konflikte wirken aufgesetzt. Sie ergeben sich weniger aus der Figur, vielmehr erklären sie das Anliegen des Autors. Als einmal Hans in das Haus der Partei gerufen wird, fallen ihm die dort angestellten Frauen auf und er registriert: "daß er immer, wenn er in diesem Hause mit Frauen in Berührung kam, entweder einer ordnungslosen Begierde oder einer ebenso krankhaften kalten Kameraderei begegnete". Böll deutet hier einen Wesenszug der faschistischen Macht an, in deren Bann auch die Sexualität einer kalten Funktionalität ausgeliefert ist, die die Menschen verdinglicht. Ein für das Romangeschehen folgenloser Gedankensplitter, der aber Indiz für die Motivfülle ist, von der der junge Autor noch zuweilen überwältigt zu werden droht. Als schließlich seine Zweifel größer werden, lässt Hans sich als Offizier an die Ostfront versetzen. Hier vollendet sich seine 'Erlösung', als er seinen wegen Unterstützung russischer Zivilisten inhaftierten Bruder vor einer Verurteilung rettet. Endgültig löst er sich von seinen Dämonen. Die Erlösung schildert Böll im Bild des Mannes, der endlich wieder weinen kann - "als sei er niedergekniet, um in alle, alle Ewigkeit auf dieser dunklen Erde zu weinen...".

An solche Stellen scheint der Autor oft überwältigt von seinen eigenen Emotionen. Wiederholungen intensivieren die Empfindungen, Auslassungspunkte verweisen immer wieder auf das nicht mehr zu Sagende. Eine transzendente religiös-christliche Erlösungshaltung durchzieht solche Passagen: "Aber da brannte Gott ihm eines Tages sein Mal ins Herz, neu und plötzlich, und es war ihm, als stehe er von einer Krankheit auf", schreibt Böll über ein 'Offenbarungserlebnis' Christophs in der verhassten Kaserne. Gerade solche Passagen, in denen Böll seinen oft betend dargestellten Figuren erschütternde und grundsätzliche Erfahrungen zuschreiben möchte, geraten ihm zu "ernst". Man spürt eine geradezu dostojewskische Inbrunst, als wolle er einen ebensolchen "Heiligenroman" schaffen, wie er ihn einmal in Dostojewskis "Idiot" erkannt hatte. Während er in solchen Passagen bei der Darstellung des Religiösen an einem Zuviel an Ernsthaftigkeit scheitert, findet er an anderen Stellen einen einfachen und direkten Ton, so etwa wenn er die von ihm hochgeschätzten romanischen Kirchenräume beschreibt: "Sie betraten den leeren, großen, stillen Raum von romanischer Sanftmut und Innigkeit." Wenn es freilich einige Seiten später heisst, "innig und schön war die romanische Sanftmut und der trauliche Dämmer des Raumes", so verweist diese Wiederholung auf den noch unfertigen Autor.

"Ich denke nicht ohne Gewissensbisse an ihn", schrieb Böll 1948 seinem Freund Kunz, "doch auch mit Freude. Ohne diese Plackerei wäre ich wahrscheinlich nie zur Arbeit gekommen, hätte nie den Mut gefunden und nie entdeckt, daß ich etwas auf die Beine bekommen könnte." So markiert Bölls Erstling ein Scheitern, aus dem der Autor seine Lehren zog. Es galt nun, aus der Fülle der ihn bedrängenden Motive, die in diesem Roman alle anklingen, mit ruhiger Gelassenheit eine Auswahl zu finden, die das unvergleichliche Werk des frühen Bölls ermöglichen konnte. Deshalb ist dieser Roman, trotz seiner Unvollkommenheit, heute wieder lesenswert: als das intensive Dokument eines schriftstellerischen Aufbruchs.

Titelbild

Heinrich Böll: Kreuz ohne Liebe. Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2003.
303 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3462033255

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