Das heißt: Wandlung

Klabund bekommt eine achtbändige wohlfeile Werkausgabe

Von Oliver RufRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Ruf

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Er trug eine große Brille, hatte einen kurzgeschorenen Schädel, einen runden Kopf und das Aussehen eines schüchternen Studenten, der mehr wusste, als er von sich gab." So erinnerte sich der Schriftsteller Hans Sahl an einen Dichter, der Schulden wie Heu, Stroh im Kopf und nur ein brennendes Herz besaß, der als schmalbrüstiger, blasser Junge auftrat, kurzsichtig, verträumt und doch sehr eindringlich.

Alfred Henschke muss eine staunenswerte Erscheinung gewesen sein: ein Schriftsteller, der 1890 im brandenburgischen Crossen geboren wegen seiner ungezügelten Gedichte im Kerrschen "Pan" verurteilt wurde ("Es hat ein Gott mich ausgekotzt") und im Deutschland der Zwanziger Jahre Furore machte. Als Pseudonym wählte er eine Zusammenfügung aus Klabautermann und Vagabund und bezeichnete den Namen als "onomatopoetische Umsetzung eines Trompetenstoßes und eines Paukenschlags": Klabund.

Asiatische Dichtungen, Soldatenlieder, expressionistische Lyrik, Brettlkunst, historische Romane oder chinesische Dramen - das Werk ist schillernd wie sein Autor. Doch in den Jahrzehnten seit seinem Tode am 14. August 1928 in Davos war den Versuchen einer Wiederentdeckung kein Erfolg beschieden. Wenn auch Klabund schon immer als begehrter Autor in Antiquariaten galt und das Liebhaberobjekt einer beschaulichen Gemeinde treuer Leser bis heute darstellt, beschränkte sich die Klabund-Rezeption lange Zeit auf Auswahlausgaben, allemal bibliophil gestaltet und längst vergriffen. Allerdings ist jüngst - pünktlich zum 75. Todesjahr - nicht nur ein neues Taschenbuch mit Klabund-Gedichten bei dtv erschienen, das Joseph Kiermeier-Debre unter dem Titel "Das Leben lebt" zusammengestellt hat, sondern außerdem der letzte, achte Band der Klabund Werkausgabe.

Romane der Erfüllung, der Sehnsucht, der Leidenschaft

In Bern hat der Germanist und Herausgeber Christian von Zimmermann diese Ausgabe vor kurzem beendet. Damit kommt zum Abschluss, was er vor fünf Jahren in Zusammenarbeit mit Georg Bogner, Joachim Grage und Julian Paulus am Neckar begann, und im Berner Unitobler fertig stellte: Acht Bände, davon zwei Doppelbände, in tiefschwarzem Leinen mit goldenem Titelzug. Die Ausgabe beginnt mit Texten, mit denen sich Klabund stark identifizierte. Es handelt sich um die umfangreichere Prosa, die Romane der Erfüllung, der Sehnsucht und der Leidenschaft, eine Aufteilung, die noch Klabund selbst getroffen hat. Die Bestseller "Bracke" und "Borgia" sind darunter, ergänzt wurde der Roman "Spuk", der noch in der ersten Gesamtausgabe fehlte, die gleich nach Klabunds Tod im Wiener Phaidon-Verlag herauskam. Schliesslich sah sich Klabund zeitlebens eher als Roman-Autor und weniger als Verfasser von schnellen Versen, Gedichten und Dramen.

Mit dem Ziel, eine Studien- und Leseausgabe auf einer vernünftigen editorischen Grundlage zu schaffen und dabei die publizierten Erstdrucke zu versammeln, ist es nun nicht nur gelungen, die Vielfalt im Schaffen Klabunds wieder zugänglich zu machen, sondern darüber hinaus dem Elfenbein-Verlag einen modernen Klassiker als Hausautor zu bescheren. Umso mehr erbaut das Ergebnis, mittlerweile eine fast vollständige Werkausgabe in den Händen zu halten, die einen für Literaturwissenschaftler brauchbaren Standart bietet und für Liebhaber gleichfalls von Interesse ist. Einen Beitrag dazu liefert die Aufmachung, die in festem Papier gehalten und teilweise manieriert die Schrifttype an Klabund-Originale angleicht.

Zwar bleibt die Hoffnung auf die Fertigstellung einer historisch-kritischen Ausgabe, auf die die Klabund-Forschung bereits lange wartet. Zudem wurde bei den vorliegenden rund 4.300 Seiten auf manch lesenswerte Nachdichtung verzichtet. Doch der Mittelweg, den Christian von Zimmermann gegangen ist, zwischen einer schönen, wohlfeilen Werkausgabe, die gleichzeitig editorischen Ansprüchen genügt, ist für den Moment erfreulich. Dies gilt besonders für den letzten, achten Band, den Zimmermann mit Joachim Grage herausgibt und der eine große Auswahl Klabunds literarischer und journalistischer Produktion in Zeitschriften und Zeitungen nebst politischen Stellungnahmen vereint.

Der Satz als Bildstreifen

Ein nach Möglichkeit repräsentativer Querschnitt dieser Prosabeiträge aus fünfzehn Jahren (1913 bis 1928) wurde editiert. Dazu zählen auch die Erzähltexte aus den Anthologien "Kleines Klabund-Buch" (1921) und "Lesebuch" (1926). Bemerkenswert sind vor allem die Artikel aus schwer greifbaren Zeitschriften wie der "modernen illustrierten Wochenschrift Zeit im Bild", Publikationen in Avantgarde-Blättern wie der Schwabinger "Revolution" und das "Tagebuch im Gefängnis", das Klabund 1919 verfasste, als er seinem Münchner Jugendfreund Erich Mühsam, der in Haft saß, beistehen wollte und dabei selbst verhaftet wurde. Auffallend ist daneben die Arbeit "Wie ich den Sommernachtstraum im Film sehe" anlässlich von Hans Neumanns Shakespeare-Stummfilmversion im Jahre 1925. Klabund vermerkt: "Die Arbeit am Film und im Film, dieser Film und der Film an sich, haben mich derart gefangen genommen, dass ich bestimmt weiß, ich werde jetzt einen Film schreiben, - einen Film in Versen, zu dem Hans Neumann die leuchtende Musik seiner Lichtbilder komponieren möge."

Hier wird ein Charakter im Werk Klabunds deutlich, den er in seinem fiktionalbiographischen, erst posthum veröffentlichten Roman "Rasputin" vollendet: Den Stoff in einer sparsam gesetzten Sprache zu bearbeiten, die wie ein Kinodrehbuch klingt. Der Roman als Film-Manuskript. Der Satz als Bildstreifen. Der Absatz als Szene.

Ist dies nun Expressionismus oder Neuromantik, Impressionismus oder Neue Sachlichkeit, Brettl oder großes Theater? Klabund kann man nicht zu einer bestimmten Epoche ordnen, sein literarisches Opus, das die Tendenz zum Episodischen wie zum Unterhaltenden enthält, ist vielmehr Ausdruck einer ungeheueren Fülle an Form. Er selbst war stolz darauf. Sein Name, so wollte er es verstanden wissen, der bedeute: "Wandlung".

Autor der Jazzzeit

Zweifellos hat Klabund die leichte Muse mehr gemocht als die ernste. Er dichtete auch, um zu gefallen. Seine Verse gehören zum Teil auf die Kabarettbühne, seine Dramen gelten größtenteils als leichte Komödien, einige seiner Erzählungen sogar als schamlose Gelegenheitstexte. Ja seine historischen Romane lassen meist epische Breite und geschichtlichen Ernst vermissen. Literatur und Biographie mischen sich bei Klabund, dessen beide Lungenhälften von Tuberkulose befallen waren und der fortwährend lange Sanatoriumsaufenthalte in der Schweiz in Anspruch nehmen musste.

Seine erste Frau Irene starb gerade zweiundzwanzig Jahre alt, ihr Neugeborenes nur wenige Monate später. Auch an der Seite der begehrten Schauspielerin Carola Neher erlebte er weiterhin Krankheit und Leid. Diese Themen tönen selbstredend in seinem ungeheuren Schaffen. Bei Klabund gibt es nicht nur Werkphasen, sondern parallel geführte Entwicklungen. Der Vorkriegsklabund, der gerne zur expressionistischen Clique dazu gehören möchte ("Morgenrot! Klabund! Die Tage dämmern"), der kriegsschwärmende, patriotische Klabund, der sich für Gaicha-Lieder begeisternde Klabund, der Prosa-Autor großer Volksromane und der Bühnenschriftsteller.

Womöglich war Alfred Henschke das Symbol eines verfemten Zeitalters, das heißt der "unmöglichen Republik von Weimar", wie der Literaturhistoriker Friedrich Sengle einmal meinte, und ein Sinnbild der Zwanziger Jahre, vielleicht auch ein typischer Vertreter der Jetztzeit als Jazzzeit. Letztendlich lässt er sich niemals auf einen Typus festlegen. Dass er so etwas besaß wie ein Sensorium für die modischen Bewegungen der Zeit, in der er lebte, und darüber auch schrieb, das mag ein Grund dafür sein, dass er nach seinem Tod viel zu rasch in Vergessenheit geraten ist. Klabunds Stoffe trafen nicht mehr die Themen der späteren Jahre.

Ob heute mit der vorliegenden Werkausgabe Klabund wiederbelebt werden kann, entscheiden letzten Endes immer noch die Leser. Deren Aufmerksamkeit hat er freilich verdient. Hans Sahl erinnerte sich: "Klabund war ein Tonfall, ein Lautenlied, gesungen in einer sternklaren Nacht von einem Sterbenden, dessen Tage gezählt waren." Und Carl v. Ossietzky nannte ihn den "letzten freien Rhapsoden, den Letzten aus dem alten Geschlecht dichtender Vaganten".

Titelbild

Klabund: Werke in acht Bänden, Band 7. Übersetzungen und Nachdichtungen.
Herausgegeben von Christian von Zimmermann.
Elfenbein Verlag, Heidelberg 2001.
350 Seiten, 40,00 EUR.
ISBN-10: 3932245202

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Titelbild

Klabund: Das Leben lebt. Gedichte.
dtv Verlag, München 2003.
192 Seiten, 7,00 EUR.
ISBN-10: 3423206411

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