Film und Gedächtnis

Waltraud Wende über mediale Inszenierungen des Holocaust

Von Jens RomahnRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jens Romahn

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Symposium zur Konstruktion von Geschichtsbildern im Umgang mit dem Holocaust im internationalen Film gab den Anlass für den vorliegenden Sammelband und den darin versammelten Beiträgen der Referenten. Die Verbrechen des Holocaust sind immer wieder insbesondere von philosophischer Seite her thematisiert worden (Adorno, Ahrendt, Lanzmann, Lyotard, Stiegler, Kramer, Tholen). Auschwitz hatte eine epochale Wunde zurückgelassen, das Geschichtskontinuum mit einer unrettbaren Zäsur versehen. Und der philosophische Widerstreit wurde zum Beleg dafür, dass es keine erzählbare Konstruktion für das Sagen der Ereignisse um die Shoah geben könne. Trotz der behaupteten ästhetischen Aporie, die jeder Versuch der Darstellung des eigentlich Undarstellbaren in sich berge, gingen sowohl der Film als auch die Literatur zahlreiche Wege, um die Verbrechen des Holocausts dennoch zu "übertragen".

Der Lyriker Paul Celan ,umging' diese Referenzlosigkeit der radikalen Negativität des Undarstellbaren und wählte für die Markierung des Leides der jüdischen Opfer eine Figur des Umweges, den Meridian, als Form literarischen ,Eingedenkens', die einen imaginären Verbindungsring zwischen den vielen Opfern schuf und damit eine ganz eigene Möglichkeit zur Vergewisserung des unendlichen Leides des jüdischen Volkes und letztlich auch des eigenen Selbst bot. Welche Mittel der Übertragungen der unvorstellbaren Greuel hat der Film? Claude Lanzmann, Regisseur des neuneinhalbstündigen "Shoah-Projektes" entwickelte eine filmische Spurensuche im Dialog mit Überlebenden des Holocausts, die ganz ohne den Rückgriff auf die Bilder des Grauens auskam. Trotz des Verdiktes vom Bilderverbot, dessen prominenter Fürsprecher Lanzmann war, kam es zu filmischen Bearbeitungen, die ebenso entschieden auf eine Abbildung der Ikonographie des Grauens setzten. Manchmal mit der Konsequenz, das gerade jene Filmbilder zum Stolperstein für die kollektive Auseinandersetzung wurden, nicht selten mit der Folge der Wucht der unterbliebenen Bearbeitung. Welche Wege gingen die Authentisierungsstrategien filmischer Repräsentationen des Holocaust noch, welche wirkten sich wie auf die kulturelle Erinnerung aus, welche konkurrierten miteinander und welche anderen mussten sich dem Verdacht aussetzen, stärker als andere Genres die Holocaust-Darstellung zu behindern? Diese verschiedenen Wege der Filmindustrie nachzuzeichnen könnte man als wesentlichen Impuls des vorliegenden Buchbandes wiedererkennen: Esther Dischereit, jüdische Autorin der zweiten Generation, weiß um die Schwierigkeit in der Erinnerungspraxis und kennzeichnet die bundesdeutsche Realität in dem Kontakt zum Jüdischen so "als sei dem Deutschen ein kollektiver Patient zugewachsen, dessen Krankheit noch gesucht - zögernd ertastet werde". Der Filmwissenschaftler Thomas Elsässer sprach an anderer Stelle im Hinblick auf die Filme Alexander Kluges von einer "Präsenz der Absenz", einer verborgenen aber wirksamen Gegenwart der Judenvernichtung in der westdeutschen Gesellschaft.

Der anzuzeigende Sammelband erinnert an "Nuit et Brouillard" von Charles Resnais, der neben "Shoah" Maßstäbe setzte für die Selbstreflexion und die Selbstbeschränkung filmischer Annäherungen an die Shoah. Ein Film, der ein großes Aktivierungspotenzial für die damalige "kollektive Stimmungslage" mit sich führte. Es wurden Aufnahmen gezeigt, die zunächst nur der historischen Registrierung dienen sollten (Planierraupen beim Transport von Leichenbergen), der Zuschauer blieb minutenlang den Wirkungen der Bilder überlassen, für die kontrapunktische Komposition der Filmmusik setzte Hanns Eisler Strophen des Deutschlandliedes verfremdend ein. Unter den sich anschließenden Spielfilmproduktionen, als Vorläufer ist an "Holocaust" zu erinnern und jüngst an "Schindlers Liste" veränderte sich die Auseinandersetzung mit der Shoah gänzlich: Auschwitz trat in diesen als "docu-dramen" inszenierten filmischen Bearbeitungen des Holocaust als Synonym für die "vollendete Sinnlosigkeit" zunehmend zurück. Ebenso die bis dato sehr anspruchsvolle und notwendige Diskussion über filmische Holocaust-Repräsentationen, sie schien zuweilen umgestoßen, auf jeden Fall war sie aber in eine neue Phase gekommen. Das Verschwinden von Auschwitz (Clausen) wurde befürchtet, wann immer man von der "Illusion allseitiger Kommunizierbarkeit" ausging. "Schindlers Liste" von 1993 hatte einen ersten Anteil daran: Die Identifikation mit der Figur Oskar Schindlers in Deutschland war so groß, dass die Diskussion um "Angemessenheit" und um Darstellbarkeit der Geschichte kaum noch einen Niederschlag in der bundesdeutschen Gesellschaft hatte. Ein weiteres Zeichen dafür, dass die bemühten Versuche einer öffentlich ritualisierten Erinnerung des Holocausts in Deutschland immer wieder in Fehlleistungen umschlug. Anders bei den frühen Nachkriegsproduktionen wie die Fernsehproduktion "Ein Tag. Bericht aus einem deutschen Konzentrationslager" von Egon Monk, die 1978 ausgestrahlte US-amerikanische Spielfilmproduktion "Holocaust" und der 1984 gesendete Dokumentarfilm "Der Prozess" von Eberhard Fechner: Diese Filmproduktionen waren noch enger an den Kontext des Themenbereiches Holocaust gebunden und einer "Ethik der Genauigkeit" verpflichtet. So war es auch mit einer Produktion Artur Brauners, der Film "Zeugin aus der Hölle", der noch vor dem Frankfurter Auschwitz-Prozess abgedreht wurde, schien bereits vieles aus dem Prozessgeschehen vorwegzunehmen. "Schindlers Liste" und "Aimee und Jaguar" schufen filmische Identifikationsangebote ganz anderer Art (Waltraud Wende), in ihnen wurde der Holocaust zunehmend für eine spannende Kinogeschichte melodramatisch instrumentalisiert, aus individuell-privaten Geschichten sollte kollektive Geschichte produziert werden. Wieder wird die Frage virulent, ob der Holocaust mit den Erzählmustern des Unterhaltungskinos überhaupt adäquat darstellbar ist oder ob es andere Formen filmischer Repräsentationen des Unvorstellbaren gibt oder gar geben müsse. Das Drama um die Familie Weiss in "Holocaust" inszenierte wie in der antiken Tragödie das Einander-Verfehlen und unternahm den Spagat zwischen Familiengeschichte und dem Holocaust im Ganzen. Georg Michael Schulz, der die Gefahr einer "Sakralisierung von Auschwitz" durch ein zu starkes Bilderverbot bzw. Schweigegebot sieht, geht der Frage nach, inwieweit solche Spielfilmstrategien sich in das kollektive Gedächtnis einschreiben können in dem Bemühen, das kollektive Bildreservoir verantwortungsbewusst fortzuschreiben. Viele Nachgeborene leben seither unter den "Bedingungen des Sekundären, so Schulz. Die filmischen Bearbeitungen der 90er Jahre gingen soweit, das sie typischen Requisiten bis hin zur Animation von Schlüsselbildern wie etwa in "Chicken Run" verfremdeten, der das etablierte Zeichensystem der KZ-Darstellung für einen Trickfilm überschrieb. Roberto Benigni verarbeitete in "Das Leben ist schön" den Holocaust in einem bis dato tabuierten Genre für die Holocaust-Bearbeitung, der Filmkomödie. Der Film inszenierte die Tradition des jüdischen Witzes auf, Slapstickeinlagen, Verwechslungs- und Verfolgungsjagden erinnern an den Stil der Komödien Ernst Lubitschs, auch an das Motiv der die Schrecken erleichternden Lügen wie man es aus "Jakob der Lügner" kennt. Das Zuschauererleben sollte sich im eigenen Wissen um den weiteren Verlauf der Geschichte intensivieren. Joan Kristin Bleicher und Anthonya Visser bewerten die Funktion der Genereübertretungen in ihren Beiträgen nochmals vor dem Hintergrund, dass die Inhalte und die Last des kollektiven Gedächtnisses im Wissen um den Holocaust für die kommenden Generationen zunehmend "schwierig nacherlebbar" sind. Vor dem Hintergrund, das der "Pakt des Schweigens" noch heute Täter und Opfer ungewollt eint, da viele Überlebende noch heute mit der Last eines "Holocaust-Lebensgeheimnisses" leben, thematisieren beide Autorinnen die Gefahr des gefährlichen Sonderwegs von der "Entsorgung der Geschichte der Lager". Als die dritte Holocaust-Komödie mit der Bearbeitung von "Jakob der Lügner" nach dem Drehbuch von Peter Kassovitz Ende der 90er Jahre in die Kinos kam wollte man in gewisser Weise nicht mehr hinter die Leitfigur eines Oskar Schindler zurückfallen, zumal die Geschichte "bearbeitet" schien. Während "Schindlers Liste" weite Teile des Publikums begeisterte, verstieß die filmische Adaption des gleichnamigen Romans von Jurek Becker weite Teile seines Publikums, auch Organe der Filmkritik reagierten im Sinne einer Nationalisierung des deutschen Films. Inwieweit konnten sich mit dieser Verfilmung alte Traumata, unverarbeitete Schuld und Kränkung erneut in die bundesdeutsche Gesellschaft einschreiben und inwieweit provozierte "Schindlers Liste" möglicherweise eine "illegitime Einschreibung" ins kulturelle Gedächtnis? Franziska Meyer geht diesen Fragen nach und verdeutlicht, wie wichtig es sein kann in der Konkurrenz um die Erinnerung auch von einer nationalen Perspektive auf den Holocaust zu sprechen. Diese Nationalisierung des deutschen Films fällt fast unbemerkt mit der Abwehr einer "allzu" faschistischen Vergangenheit zusammen. Ewout von Knaap schaut in seinem Beitrag nochmals auf die tiefen Spuren, die "Nuit et Brouillard" von Resnais in der deutschen Nachkriegsgesellschaft noch vor "Holocaust" hinterlassen hat. Zeitgenössische Farbaufnahmen der Orte, an denen früher Lager waren, zeigen das Überwuchern der Orte des Grauens durch die Natur und werden zum Symbol des Ausradierens. Der Film endet mit einer Massenbestattung, aus dem Off die Stimme Paul Celans, der die unvorstellbare leidvolle Dimension gemahnte ("Wird das Leben, wird der Alltag, die Gefangenen wiedererkennen"?). Der Kommentar gegen Ende spricht von der industriellen Verwertung der Leichen, die Stimme aus dem Offschweigt 90 Sekunden lang angesichts einiger Bilder, die bis an die Grenze des Zumutbaren gingen, noch einmal der Kommentar: "es werde unaufhörlich geschrien, doch niemand höre hin". Karl Prümm interpretiert den "programmatischen Detailrealismus" in "Ein Tag. Bericht aus einem Konzentrationslager 1939" von Egon Monk aus dem Jahre 1965 als den Versuch der Aporie des Undarstellbaren "durch ein unsichtbares Verfahren der Zuspitzung" eine Art "aktualisierte Erinnerung" entgegenzuhalten: "gerade durch die kluge Beschränkung auf die kleine Form wird das KZ als System der Ausgrenzung und Vernichtung der Gegner sichtbar gemacht". Ein Film, der zeigt, wie das "Unvorstellbare funktionierte" und für damalige Fernsehspiele eher untypisch eine "Strategie der Nähe" für die Kameraeinstellung wählte. Für die Konstruktion von Erinnerung war dies ein maßgeblicher Eingriff und ein Schritt über die reine "memoria-Funktion" hinaus hin zu einer "entdeckenden Erinnerung", historische Bilddokumente und Zeugnisse des Schreckens (Berge von Brillen, Kleidern und Koffern der Opfer) sollten nicht lediglich zu Metonymien verselbständigten. Knut Hickethier belebt die Erinnerung an einen Film, der die direkte Auseinandersetzung mit der Vergangenheit des Holocaust wählte: "Der Prozess" von Eberhard Fechner, der 1984 vom NDR ausgestrahlt wurde und der den von 1975 bis 1981 in Düsseldorf geführten Majdanek-Prozess gegen 15 Angeklagte mit 370 Zeugen begleitete. Eine Interviewfilm, der nicht im Gerichtssaal stattfand und weder reine Dokumentation war noch fiktionalen Charakter besaß. Fechner befragte bis zu drei Stunden an bis zu fünf Tagen, bei den Angeklagten bis zu zehn Tagen und sah von einem Kommentar ab, so bestand diese Produktion nahezu ausschließlich aus Figurenrede, viele Themen wurden so von mehreren Stimmen dargestellt, der Zuschauer bemerkte kaum Brüche zwischen den Sprechenden. Hickethier: "Es ist immer wieder erstaunlich, wie wortreich und beredt die Angeklagten über ihre Tätigkeiten im Lager berichten. [...] Bei den Tätern besteht offenbar eine Art Sprechzwang, ein Rechtfertigungsbedürfnis, gerade auch deshalb, weil die Angeklagten keine eigene Schuld eingestehen wollen". In weiteren Beiträgen geht Frank von Free der Erinnerungskultur im polnischen Film zwischen 1945 und 1963 nach, Lars Koch erinnert an das Fernsehbild der Wehrmacht gegen Ende der 50er Jahre, das entfernt von einer Schuldtopologie lediglich die "individuelle Fähigkeit zum entsetzten Blick" belebte, Hanno Loewy erörtert den Kinostart von "Anne Frank", lange bevor Auschwitz zum Synonym der Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes werden konnte. Manuel Köppen schließt den Band mit einem instruktiven Aufsatz über die Konkurrenz der Medien um die Erinnerung ab mit der Beobachtung, dass die persönliche Erinnerung allmählich durch kulturelle Formen der Erinnerung ihre Ablösung herhält. Köppen spricht von der "Erinnerungspolitik" der 90er Jahre (Mahnmal, Goldhagen-Debatte, Verbrechen der Wehrmacht, Friedenspreisrede Martin Walsers) und führt dem Leser vor, dass sich inzwischen regelrecht verschiedene Praxen der Diskurse um die Erinnerung nationalsozialistischer Verbrechen ausgebildet haben.

Titelbild

Waltraud 'Wara' Wende (Hg.): Geschichte im Film. Mediale Inszenierungen des Holocaust und kulturelles Gedächtnis.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2002.
331 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-10: 3476453081

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