Präzision und Nonchalance

Klaus Weimars "Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft" neu aufgelegt

Von Florian GelzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Florian Gelzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die "Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft bis zum Ende des 19. Jahrhunderts" des an der Universität Zürich lehrenden Germanisten Klaus Weimar, 1989 zum ersten Mal erschienen, ist in einer broschierten, unveränderten Ausgabe neu aufgelegt worden. Das Buch kann hier kaum angemessen vorgestellt werden: Zum einen verbieten sein Umfang und seine Informationsdichte eine allzu verknappte Darstellung; zudem ist es schon seit langem zu einem - wenn nicht dem - Standardwerk zur Geschichte der Germanistik vor 1900 geworden, das durch später erschienene Arbeiten (etwa von Christoph König, Eberhard Lämmert, Rainer Rosenberg, Jürgen Fohrmann oder Wilhelm Voßkamp) wohl ergänzt, aber keinesfalls abgelöst worden ist. Im Folgenden sollen daher anlässlich der Neuausgabe der "Geschichte" lediglich einige Randbemerkungen zu deren Methode angebracht werden, die zu weiteren grundsätzlichen Überlegungen anregen mögen.

Weimars Fachgeschichte verfolgt einen sehr eigenwilligen Ansatz. Dies wird besonders deutlich, wenn man sie mit früheren Versuchen, die Geschichte der Germanistik zurückzuverfolgen, vergleicht, etwa mit dem rund zwei Jahrzehnte zuvor aus dem berühmten Münchner Germanistentag von 1966 hervorgegangenen Sammelband "Germanistik - eine deutsche Wissenschaft" (1967). Die dort versammelten Aufsätze von Eberhart Lämmert, Walther Killy und anderen standen, wie auch weitere Publikationen zur Geschichte des Faches aus den sechziger Jahren, ganz im Zeichen politischer Fragestellungen. Geschichte der Germanistik bedeutete in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts in erster Linie die Aufarbeitung der von der Germanistik seit dem 19. Jahrhundert hervorgebrachten Ideologie sowie die Untersuchung der historischen Ursachen für die Ideologie-Anfälligkeit des Faches, welche die Verbindung von Germanistik und Nationalsozialismus möglich machte (diese "Selbstbesichtigungen" der Germanistik sind in jüngster Zeit ihrerseits bereits wieder Gegenstand der Forschung geworden). Mit diesen früheren Arbeiten und ihrem kritisch-politischen Impetus hat die Studie Weimars ebenso wenig gemein wie mit den später erschienenen Überblicksdarstellungen wie etwa Jost Hermands bekannter "Geschichte der Germanistik" (1994) - und dies nicht nur, weil der von ihm untersuchte Zeitraum nur bis etwa 1900 reicht. Weimar verzichtet vollständig auf eine Auseinandersetzung mit den damals vorliegenden ,linken' Versuchen einer kritischen Fachgeschichte und lässt sich auch kaum auf die bisherige Forschungsliteratur zum Thema ein. Diese hatte er, sozusagen in einem vorweggenommenen Apparat, bereits in einem umfangreichen Forschungsbericht in der "Deutschen Vierteljahresschrift" (50/1976) eingehend diskutiert. Die "Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft" ist also das Werk eines Forschers und nicht (wie das bei ihren Vorgängern oft der Fall war) das Ergebnis der Recherchen eines Kollektivs oder einer Arbeitsgruppe. So naturgemäß wie programmatisch widerspiegelt sie deshalb die subjektive, manchmal idiosynkratische Sicht ihres Autors. Der eigenwillige Charakter der Studie wird schon allein daraus deutlich, dass Weimar sie überhaupt nicht in der bisherigen Forschungstradition verortet, sondern als Hommage an einen polnischen Germanisten verstanden wissen möchte: an den Warschauer Ordinarius Zygmunt Lempicki (1886-1943) und dessen "Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft bis zum Ende des 18. Jahrhunderts" (1920), auf die Weimar mit dem Titel seines Buches ja bereits unmissverständlich anspielt.

Will man die Herangehensweise Weimars besser verstehen, ist ein Blick auf eine seiner früheren Publikationen aufschlussreich. 1980 veröffentlichte er die brillante (und leider vergriffene) "Enzyklopädie der Literaturwissenschaft", einen der originellsten Versuche einer Systematik der literaturwissenschaftlichen Arbeit. Dabei handelt es sich dem Autor zufolge nicht um ein "Surrogat für Anfänger", sondern um nichts Geringeres als das Vorhaben, "die Wissenschaft selbst zu präsentieren" (§ 12), und zwar in der Tradition einzelwissenschaftlicher Enzyklopädien. In dieser "Enzyklopädie" wird eine grundsätzliche Unterscheidung getroffen, die dann auch für das vorliegende Buch von zentraler Wichtigkeit zu sein scheint: Der literarische Text ist sowohl Produkt des Schreibers als auch Objekt des Lesers. Gemeint ist, dass ein Text einerseits stets zwei getrennten Situationen zugehört (Schreiber und Leser sind nicht gleichzeitig), selbst aber von "situationsunabhängiger Dauer" ist (Leser und Text sind gleichzeitig). Erst durch interpretative Arbeit, so Weimar, wird ein Text mit seiner Bedeutung und seinem Sinn historisch (§ 337). Dieser Gedanke vom Doppelcharakter der Literatur hat nun schwerwiegende Folgen: Literaturgeschichte etwa will Weimar in der "Enzyklopädie" nicht als Geschichte literarischer Texte oder ihrer Autoren verstanden wissen, sondern als Geschichte des literarischen Schreibens, welcher die Interpretation der Texte vorangehen müsse. "Das wissenschaftliche Begreifen der Literaturgeschichte ist Interpretation zweiten Grades" (§ 386): "Interpretation nämlich verschiedener Schreibarten, die ihrerseits Ergebnisse von Textinterpretation sind." Literaturgeschichte ist für Weimar also weder Gegenpol noch Alternative zur Textinterpretation. Im Gegenteil, sie ist sogar in besonderem Maße auf interpretative Arbeit angewiesen - gleich zweifach sogar, weil die von der Literaturgeschichte zu interpretierenden Texte durch Interpretation allererst historisiert werden müssen. Das Ideal der Literaturwissenschaft besteht nun offenbar darin, diesem Doppelcharakter der literarischen Texte gerecht zu werden und die - unabdingbare - hermeneutische Arbeit offenzulegen und nachvollziehbar zu machen. Es wird sich zeigen, dass Weimar in der "Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft" implizit nach historischen Realisierungen dieses Idealbildes sucht.

Das skizzierte Grundproblem des doppelten Charakters des literarischen Textes wird in der "Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft" immer wieder thematisiert. Für Weimar ist die Geschichte der Literaturwissenschaft im Grunde eine Geschichte der verschiedenen Sichtweisen von Literatur (Wird der literarische Text als Schreiberprodukt oder als Leserobjekt betrachtet?). So entsteht keine Fachgeschichte im herkömmlichen Sinn, keine Aufstellung großer Namen oder Auflistung von Institutsgründungen. Ausgegangen wird vielmehr von ganz grundsätzlichen Fragestellungen: Wie sind die (noch heute gültigen) ,Komponenten' der deutschen Literaturwissenschaft überhaupt zusammengekommen? Das heißt: Seit wann gibt es deutsche Literatur als Gegenstand an der Universität; einen Lehrbetrieb in deutscher (und nicht mehr lateinischer) Sprache; die Institutionalisierung in Form eigener Professuren; eine generelle Ausbildung mit Studiengängen und Prüfungsordnungen? Und als Leitfaden durchzieht die Frage nach der jeweiligen Sicht auf die literarischen Texte den historischen Abriss. Weimar erzählt also nicht von den großen Taten und ,Eroberungen' der Urväter des Faches - etwa Karl Lachmanns, Jacob Grimms, Moritz Haupts, Wilhelm Wackernagels oder Wilhelm Diltheys -, sondern erforscht in akribischer Kleinarbeit die Vorlesungsverzeichnisse der deutschsprachigen Universitäten von der Mitte des 18. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts und wertet verschiedenste, zum Teil entlegenste Publikationen aus diesem Zeitraum aus, die sich auf irgendeine Weise mit deutscher Literatur befassen. Es liegt ihm daran, zu zeigen, auf welche Weise und mit welchen Erkenntnisinteressen "deutsche Literaturwissenschaft" avant la lettre betrieben wurde, bevor sich am Ende des 19. Jahrhunderts - der Name Wilhelm Scherers steht bei Weimar beispielhaft für diesen Abschluss - das ganze Fach in seiner mehr oder weniger heute noch üblichen Form formiert hatte. Keine ,Siegergeschichte' also, sondern eine gründliche Archäologie des Diskurses "Literaturwissenschaft" - des institutionalisierten Sprechens über Literatur - wird betrieben, oder anders gesagt: eine Nachzeichnung der Verschiebungen im großen "Supertext Literaturwissenschaft". (Eine ähnliche neue Richtung haben auch andere Arbeiten aus den achtziger Jahren zur Geschichte der Literaturwissenschaft eingeschlagen, etwa Jürgen Fohrmanns gleichzeitig mit Weimars Buch erschienene Studie zum "Projekt der deutschen Literaturgeschichte".) Weimars Geschichte des Faches läßt sich nun auf zwei Weisen lesen - als Erzählung und als Handbuch: Zum einen wird auf rund 500 Seiten eine weit bis ins 18. und sogar 17. Jahrhundert zurückgreifende, gut lesbare Ur- und Frühgeschichte des Faches ausgebreitet. Zum anderen findet sich ,unter dem Strich', in den 2256 Fußnoten nämlich, eine Fülle von Namen, Zahlen, Literaturhinweisen und anderen Daten aus teilweise raren und schwer zugänglichen Dokumenten. Ein nur an den großen Zusammenhängen interessierter Leser kann sie überschlagen; mit Hilfe des umfangreichen Registers jedoch wird das Buch zu einem nützlichen Nachschlagewerk, das nebst einem Anmerkungsapparat in zahlreichen Aufstellungen und Tabellen wertvolles statistisches Material liefert (etwa über Vorlesungen zu zeitgenössischen Texten im 18. Jahrhundert, Lektürekurse zum Nibelungenlied, Berufungen für Deutsche Philologie, die Etablierung Germanistischer Seminare u. v. m.). Es ist vor allem die Vielzahl hartnäckig recherchierter Detailstudien, aus denen die Vorliebe des Verfassers für Nebengeleise und bislang übersehene Namen deutlich wird, die ein zum Teil ganz neues Licht auf bestimmte Abschnitte der Fachgeschichte geworfen hat.

Aus Weimars Darstellung entsteht, anders als etwa aus Lempickis Studie, nicht das Bild eines kontinuierlichen Entwicklungsprozesses ("von den Anfängen bis heute") - dies wäre auch gar nicht im Interesse des Verfassers. Zum Vorschein kommt vielmehr eine ungemein verästelte und komplexe Geschichte des Diskurses "Literaturwissenschaft", in der, wie sich zeigt, auch Zufälle, überraschende Konstellationen und philiströse Kleinkriege, vor allem aber viele unspektakuläre Transformationen und Verschiebungen im Gefüge der akademischen Institutionen den Weg zu einem eigenständigen Fachbereich säumen. Weimar beginnt mit der Geschichte des Deutschen als Universitäts- beziehungsweise Wissenschaftssprache (die dabei widerlegte Legende, dass Christian Thomasius als erster Vorlesungen in deutscher Sprache gehalten habe, hält sich allerdings noch in neuesten Darstellungen). Im Weiteren geht es um die Geschichte der Deutschen Rhetorik, die 1730 mit sieben Professuren an deutschsprachigen Universitäten vertreten war. Mit dem allmählichen Niedergang der Rhetorik im 18. Jahrhundert sank auch der Bedarf nach entsprechenden Ausbildungsmöglichkeiten; Theoretiker wie Gottsched, Breitinger, Baumgarten, Sulzer oder Gellert haben Weimar zufolge alle auf je verschiedene Weise versucht, die "alte Sicherheit" (die Integration von Schreiber und Leser) wiederzugewinnen: Aus der Rhetorik entwickelte sich die Ästhetik. Auf diese Transformationen, insbesondere bei Johann Georg Sulzer, legt Weimar großen Wert. Denn die beiden in der "Enzyklopädie" geschiedenen Thematisierungsweisen von Literatur - als Schreiberprodukt und als Leserobjekt - seien zum ersten Mal von Sulzer getrennt voneinander behandelt worden. Damit seien aber Poetik und Rhetorik (die "Schreiberseite") als Wissenschaften aus dem Universitätssystem ausgeschieden und für die Theorie und die Kritik nurmehr Gegenstände der Betrachtung ("Leserobjekte") geblieben. Aus den "Schönen Wissenschaften" ist die Ästhetik geworden, die "Theorie der schönen Wissenschaften".

Sulzers Unterscheidung gilt Weimar deshalb als modern, weil sie die Eigenständigkeit literarischer Texte respektiert beziehungsweise voraussetzt. Die weitere Geschichte der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Literatur wird nun als Problemgeschichte formuliert, das heißt vor allem danach beurteilt, inwiefern dem besonderen Doppelcharakter der Literatur Rechnung getragen wird. Weimar skizziert unter anderem die weniger bekannte Geschichte der "Litterärhistorie" (eines Christophorus Mylaeus oder Daniel Georg Morhof), welche die Systematik der Wissenschaften in eine fortlaufende Erzählung zu integrieren versucht. Mit zunehmender Spezialisierung seien aus diesen polyhistorischen Nachschlagewerken Propädeutiken einzelner Fächer mit Erzählungen von den ,Schicksalen' der Wissenschaft selbst geworden. Dabei begann sich ein Problem abzuzeichnen, welches das Fach im ganzen 19. Jahrhundert begleiten sollte (und das schon in Weimars "Enzyklopädie" diskutiert wurde): Wie verbindet man Aussagen über literarische Texte mit solchen über den Autor und die Entstehungszeit? Und vor allem: Wer ist das Subjekt der Literaturgeschichte - die Texte oder die Autoren? Ein eigenes Kapitel ist den "Erklärungen deutscher Klassiker" gewidmet, die am Ende des 18. Jahrhunderts mit Carl Leonhard Reinholds "Oberon"-Vorlesungen einsetzten. Nachdem Dichtung, verstanden als rhetorisches Handwerk, jahrhundertelang zusammen mit der Poetik als eine Wissenschaft begriffen worden war, die im Rahmen der Poetik ihren festen Platz in der universitären Lehre besaß, hat sie sich im Laufe des 18. Jahrhunderts offenbar immer mehr aus dem System der Wissenschaften gelöst. Um 1800, so lernt man, gab es zwar vier verschiedene akademische Zugänge zur deutschen Literatur: einen bibliographisch-litterärhistorischen, einen theoretisch-ästhetischen, einen literaturgeschichtlichen sowie einen interpretatorischen. Die bibliographische Herangehensweise ist jedoch in der Geschichte, die theoretisch-ästhetische in der Philosophie aufgegangen. Bleiben also zwei Ansätze: Literaturgeschichte versus Interpretation. Versuche am Beginn des 19. Jahrhunderts, die Literaturinterpretation an der Universität zu institutionalisieren, blieben allerdings Episode; die deutsche Philologie orientierte sich vielmehr an der klassischen Philologie oder ging in der Literaturgeschichtsschreibung auf.

Die "Deutsche Philologie" als eine eigenständige Disziplin ging schließlich aus dem Zusammenschluss der beiden Teilgebiete hervor: der deutschen Literaturgeschichte und der deutschen Philologie. Mit neuer Literatur wollte sich die Deutsche Philologie jedoch nicht befassen; mit der Zeit spaltete sich deshalb die "Neudeutsche Philologie" von ihr ab. Die "Neuphilologen" brachten (zum Teil bis heute) maßgebliche Editionen, Kommentare und Monographien hervor - auf der Strecke blieb jedoch jener hermeneutisch-interpretative Zugang, der für Weimar zur Beschäftigung mit Literatur unabdingbar dazugehört. Erst - beziehungsweise ausgerechnet - in den Arbeiten Wilhelm Scherers, des wichtigsten Repräsentanten des "literaturwissenschaftlichen Positivismus", sieht Weimar die Integration des literarischen Textes als Schreiberprodukt und Leserobjekt als gelungen an. Im Hintergrund der Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft, wie Weimar sie zeichnet - von der Konstituierung des Gegenstands über die Etablierung der Methoden bis zu ihrer Institutionalisierung -, steht also immer die Grundfrage nach dem Doppelcharakter des literarischen Textes. Die deutsche Literaturwissenschaft war Weimar zufolge in dem Moment ,bei sich angekommen', als sie sich dieses Problems des literarischen Textes bewusst wurde und auf überzeugende Weise zu integrieren verstand. Weimar misst also die Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft durchaus an einem bestimmten - seinem eigenen - Ideal von Literaturwissenschaft, das vielleicht nicht jeder bejahen mag (und dem in der Kritik und Forschung auch nicht jeder zugestimmt hat). Faszinierend bleibt aber, dass diese idealtypische Literaturwissenschaft mit ihrer besonderen Gewichtung der interpretativen und hermeneutischen Seite in Weimars Darstellung als gleichsam geschichtliche Notwendigkeit aus dem Material hervorzugehen scheint - dies natürlich auch deswegen, weil das Material ja seinerseits anhand dieses Ideals vorstrukturiert und bewertet worden ist (welche Ansätze tragen dem Doppelcharakter Rechnung und welche nicht?). Da es sich aber um eine Geschichte der Literaturwissenschaft handelt, führt dies zu vertrackten Problemen: Die verschiedenen historischen literaturwissenschaftlichen Konzepte werden anhand eines Ideals beurteilt, das selbst aus ebendiesen historischen Formationen hervorgegangen ist.

Dass dieser heikle Spagat zwischen historischer Betrachtung und theoretischer Reflexion überzeugend gelingt, hängt mit dem wohldurchdachten Aufbau der "Geschichte" zusammen: Die theoretischen Vorüberlegungen werden nicht eigens erklärt und dann auf die historischen Gegebenheiten angewandt, sondern die Problemstellungen ergeben sich aus der Präsentation des Materials. Dabei wird anschaulich gezeigt, wie ein Gegenstand - die deutsche Literatur - zu einem ,akademiewürdigen' Thema geworden ist, das sich seine Methoden gleichsam hat suchen müssen. Insgesamt handelt es sich bei Weimars Darstellung also um ein Beispiel einer umfangreichen "Diskursgeschichte", bei der einzelne, auch große, Namen nur noch Platzhalter in einem institutionellen Geflecht von Diskursen darstellen (wobei nicht immer klar wird, wer eigentlich für die Verschiebungen in dem diskursiven System verantwortlich sein soll). Die immense Recherchearbeit und die theoretische Durchdringung des Materials machen die Studie zu einem außergewöhnlichen Buch, das noch für lange Zeit das grundlegende Werk zum Thema bleiben wird. Kommt hinzu, dass der Autor einen in der deutschsprachigen Germanistik seltenen Stil beherrscht, der die Balance zwischen philologischer Präzision, gedanklicher Schärfe und eleganter, manchmal ironischer Nonchalance perfekt zu wahren versteht. Sollte der Verlag sich dazu entschließen, auch die "Enzyklopädie der Literaturwissenschaft" neu aufzulegen, wäre allerdings ein etwas weniger hoher Preis als bei der vorliegenden Ausgabe wünschenswert.

Titelbild

Klaus Weimar: Geschichte der deutschen Literaturwissenschaft. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts.
UTB für Wissenschaft, Stuttgart 2003.
512 Seiten, 32,90 EUR.
ISBN-10: 3825282481

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