"Sound gibt es nur im Kopf" - Wenn man über Pop schreibt...

"Pop Sounds" thematisiert das Wechselspiel zwischen Text, Klang und Sound

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Über Musik lässt sich schreiben. Viele haben das getan: Friedrich Nietzsche, Theodor Wiesengrund Adorno oder Joachim Kaiser. Und scheinbar entstehen auch heute noch gute Texte über Musik - und eben auch über Popmusik!

Der Band vereinigt Texte von Musikwissenschaftlern und Musikjournalisten. Unter verschiedenen Perspektiven nähert man sich dem Phänomen "Sound", und es ist sicherlich hilfreich, sich den Begriff diskursiv zu erarbeiten. Dass der "Sound" oder das Gefühl von "Sound" unter dem Einfluss der Worte manchmal verloren geht, kann nicht verwundern: "Es bleibt festzuhalten, dass Sound über den rein klanglich-musikalischen Bereich hinauszuweisen vermag, weil er in vielen Fällen durch dieselben grundlegenden Image Schemas des Fühlsinns metaphorisch erfahren wird wie Gesellschaftliches, Zwischenmenschliches und Persönliches. Aufgrund der Fundierung im körperlichen Erleben lässt sich vielleicht auch die Personifizierung von Sounds verstehen. Nicht nur sprechen oder streiten Instrumente miteinander, sondern der Sound selbst erscheint uns aggressiv, lässt Nackenhaare sich sträuben, läuft kalt den Rücken herunter - oder streichelt und lullt behaglich ein. Womöglich liegt hierin ein Schlüssel zum Verständnis von 'persönlichem' Sound - einer Empfindung, die sich ähnlich wie viele andere Sound-Phänomene nur schwer in Worte fassen lässt."

Etwas treffender findet man es in dem Essay von Thomas Phelps: "Und bspw. ungeachtet der Tatsache, dass nicht nur die Rillen anders als die Silberlinge klingen, sondern jedes massenhaft distribuierte Speichermedium gleich welchen Materials immer und überall 'anders' klingt, da immer und überall andere Umstände, Befindlichkeiten, Empfindungen und 'Lebensgefühle' immer andere Kommunikations- und Beziehungssituationen, immer andere Lautstärke- und Klang-, Licht- und Raumverhältnisse, Wiedergabegeräte und Abspielfunktionen usf. gegeben sind - immer und überall, selbst am selben Ort und selbst zur gleichen Zeit - kurz, ein und dasselbe Ich hört immer und überall mit immer anderen Ohren und immer und überall mit anderen (Hör-)Erfahrungen. Sound gibt es weder auf Vinyl noch CD -: Sound gibt es nur im Kopf ."

Hier trifft er den neuralgischen Punkt. Die Beschreibung, die auch ein Fazit des Bandes sein könnte, lenkt auf das, was wirklich am "Sound" interessant ist, die emotionale, die persönliche Komponente. Er holt den Leser dort ab, wo er gerade steht, nimmt ihn mit auf eine Reise. Er zeigt das, was er bisher nicht kannte. Und diese Gefühle treffen - neben dem zitierten Text von Phelps - vor allem die kurzen Texte über Miles Davis, über Caruso und die Dire Straits, My Bloody Valentine, über Lo-Fi und die Tall Dwarfs aus Neuseeland, Vincent Gallo und Blumfeld.

Hier setzt dann der Beitrag von Dietrich Helms ein, der genau das anspricht, worum man sich allgemein bemüht: zu einem neuen Paradigma zu kommen, das zu erklären, was da mit dem Menschen geschieht, wenn er auf etwas "Neues" trifft, sei es beim normalen "Massenkonsumenten" von Musik, sei es beim Musiker und Remixer, beim Master des Soundsystems oder beim DJ im Club: System Sound oder Sound System?

Helms beginnt in dem Essay "Vom System Ton zum System Sound. Auf der Suche nach einem neuen Paradigma" mit einer offensichtlichen Diskrepanz: die explosionsartige Entwicklung der populären Musik gegen Ende der 50er Jahre und ihre Rezeption in der Musikwissenschaft und bei dem Fachpublikum. Musik konnte nach den herkömmlichen tradierten Verständnis nicht mehr als solche dechiffriert werden - populäre Musik war plötzlich im Spektrum der Stile nicht mehr vorhanden. Dies lag aber wohl weniger an der mangelnden Qualität der Musikaufnahmen als am mangelnden Instrumentarium der Musikkritik und Musikwissenschaft. Verschiedene "Umbruchszenarien" werden beschrieben, die auf neue Paradigmen für populäre Musik verweisen. "Sound" wird definiert als "Orientierung des Verhaltens zwischen Musikern und Hörern. Das Medium, das in diesem System den Erfolg der Kommunikation wahrscheinlich macht, nenne ich klingende Musik" - oder eben "Sound".

Und dass diese Herangehensweise an Musik über Pop und Sound auch auf die Texte abfärbt, wird einem beim Text von Klaus Walter durch ein unwillkürliches Lächeln beim Lesen deutlich - in seinem Text findet man das, was es sonst nur noch auf Vinyl gibt, die Endlosschleife, im Text zwar nur ein knappes halbes Dutzend mal wiederholt, mit drei Punkten ins Endlose getrieben und den Leser darauf aufmerksam machend, dass er ein Buch in der Hand hält, dem er mehr als nur ein paar Minuten wie einer Endlosschleife widmen sollte - und bei dem sich nichts endlos fortsetzt, noch wiederholt. Die vorliegende Sammlung kommt in der Einleitung lustig daher und findet sich selbst offenkundig originell. Der einleitende Text von Phelps spielt vielleicht ein wenig zu sehr mit Wortarabesken um den Begriff "Pop". Aber solche formalen Spielereien erfreuen sich an Kleinigkeiten und Nebensächlichkeiten und sind auch nicht mehr. Sie sollten einem Buch zum Thema Popmusik nicht grundsätzlich im Wege stehen.

Ein Buch wie eine "Klangtextur", nahe am "Sound" und ein gutes Stück Literatur zur Popmusik. Unbedingte Leseempfehlung für alle Pop-Interessierten - und wer zählt sich nicht dazu?

Titelbild

Thomas Phleps / Ralf von Appen (Hg.): Pop Sounds. Klangtexturen in der Pop- und Rockmusik Basics - Stories - Tracks.
Transcript Verlag, Bielefeld 2003.
231 Seiten, 23,80 EUR.
ISBN-10: 3899421507

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