Immer noch böse?

Wolfgang Müllers Islandbegeisterung in Schrift und Ton

Von Alexander MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexander Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Annette Humpe, in den 80er Jahren Sängerin und Keyboarderin der "Neonbabies" und "Ideal", sagte in dem vor drei Jahren erschienenen, vielgelobten Doku-Roman "Verschwende Deine Jugend" über die Bandmitglieder von "Die tödliche Doris", die "trauten sich, wirklich böse zu sein." Einer dieser Bösen war damals der bildende Künstler Wolfgang Müller, der inzwischen auch als Schriftsteller reüssierte. 1997 erschien sein wundervolles deutsch-isländisches Blaumeisenbuch "Blue tit", dessen Entstehung sich wiederum einer äußerst boshaften Unterstellung verdankt. Ein Artikel der "tageszeitung" berichtete, der Künstler Wolfgang Müller züchte Blaumeisen vor dem Fenster seiner Wohnung in Kreuzberg und verkaufe sie an italienische Feinkostgeschäfte. Auf Anzeigen folgen Dementi, auf eine Einladung als "Opfer der Medien" in die Sendung von Jürgen Fliege folgt eine von Nan Goldin angeregte Recherche nach der Etymologie der englischen Bezeichnung für Blaumeise, die scheinbar vulgär "blue tit" heißt. Die Spur führt ihn nach Island, wo der 1957 in Wolfsburg geborene Müller schließlich das Material für sein deutsch-isländisches Blaumeisenbuch zusammenstellt.

Das reich bebilderte "Blue tit" führt ein herrlich skurriles Sammelsurium an Geschichten über islandspezifische Themen auf, die in einer seltsamen Mischung aus Ernsthaftigkeit und Ironie aufbereitet werden. Es geht äußerst kenntnisreich um Elfenkarten, die Entfernung des Buchstaben Z aus dem isländischen Alphabet, den schwulen Popstar Páll Óskar Hjálmtysson, Fehler auf dem Falk-Plan, Islands einzig bekannten Transvestiten, Meisenknödel, Orchideen, den Riesenalk, die Eiderente, eine Liebeserklärung an eine weibliche Blaumeise namens Yvonne vom häufig unterschätzten Andreas Dorau und noch vieles mehr. Das Ganze wird des öfteren in Kunstwerken und Erzählungen des fiktiven Úlfur Hróðólfsson präsentiert, der z. B. auch als Autor des Hörspiels "Das Thrymlied - Island Noten" verantwortlich zeichnet, eine mythische Travestie um Thor, Thrym, Loki und weitere Gottheiten. Zu hören ist sie schließlich auf einer Doppel-CD, die 2002 im Martin Schmitz Verlag, der sich auch sonst bewundernswert um das Werk der "Tödlichen Doris" kümmert, publiziert wurde.

Die Hörspiele wurden von Müller gemeinsam mit dem Bayerischen Rundfunk inszeniert, der durch seine verdienstvolle Reihe der "intermedium records" die so genannte "audio art" ja seit Jahren auch einem Publikum fern des Radios zugänglich macht. Die "Islandhörspiele" versammeln wiederum Geschichten aus "Blue tit" und setzen sie in absurden und vergnüglichen Szenerien akustisch um. Dabei werden einige Fußnoten des Buches um ganze Hörspielsequenzen erweitert. So erfährt der Hörer endlich, was mit dem Geologen Walther von Knebel geschah, der 1907 mit dem Maler Max Rudloff bei Forschungsarbeiten im Öskjuvatn, dem tiefsten See Islands, spurlos verschwand. Das Hörspiel liefert dafür gleich drei Thesen, eine schöner oder schrecklicher als die andere. So findet sich vieles, was im Buch eher nebensächlich war, im Hörspiel als weitergesponnene Inszenierung wieder. Seien es die Gespräche mit der Elfenbeauftragten des Baustadtamtes Reykjavík, die Frage nach der isländischen Eisenbahn oder der Nachtigallengesang aus Berlin im privaten Goethe-Institut der isländischen Hauptstadt. Letzteres hatte Müller übrigens 1998 gegründet, als das hiesige staatliche Goethe-Institut seine Pforten schloss. Die wegen drohender rechtlicher Konsequenzen nach Walther von Goethe benannte "Foundation" bietet neben Elfen- und Zwergenkunde auch Musikunterricht an. Klingt alles verrückt? Na und, wenn dabei Kunst herauskommt! Und allzu böse ist das auch nicht mehr.

Titelbild

Wolfgang Müller: Blue tit. Das deutsch-isländische Blaumeisenbuch, ins Isländische übertragen von Veturliði Guðnason.
Martin Schmitz Verlag, Berlin 1997.
288 Seiten, 28,90 EUR.
ISBN-10: 3927795194

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Titelbild

Wolfgang Müller: Islandhörspiele.
Martin Schmitz Verlag, Berlin 2002.
127min, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3927795224

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