Buckel bilden
Nora Iuga ist eine Entdeckung für den deutschsprachigen Raum
Von Ron Winkler
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie Bücher der Edition Solitude sind Kleinodien in verschwindend niedriger Auflage. Sie fangen die Literatur der Stipendiaten ein, die hoch über Stuttgart im Schloss der Akademie Solitude residieren. Im vergangenen Jahr war dort die rumänische Lyrikerin Nora Iuga zu Gast, die - gleichwohl bereits 1931 geboren und auf 15 in ihrem Heimatland publizierte Gedichtbände zurückblickend - im deutschsprachigen Raum immer noch weitgehend unbekannt ist.
Es ist zu wünschen, dass sich dies ändert. Denn zumindest der in der Edition Solitude erschienene "Autobus mit den Buckligen" ist große Literatur - großartige Lyrik, die sich in der Genese eines kleinen Universums bildet.
Das Universum setzt sich aus den skurrilen Nahaufnahmen eigenartiger Charaktere zusammen. Da ist zunächst und vor allem Sam ("der liebe sam/ der virile sam"), dann seine Gattin Minodora und Sohn Benedict; es folgen Istovitu der Erschöpfte und Terente: Freunde der Familie. Sie bilden die seltsame Personnage eines spielend leicht gesetzten, ironisch ausgekleideten Zyklus, dessen Sprache oft sanft prosaisch ist und dessen Bilder trotzdem verwegen sind: träumend sind und zugleich burschikos gegen dies Träumen vorgehen.
In den Versen Nora Iugas liegt so etwas wie eine zauberhafte, subtile Zwietracht. Man ist aufeinander angewiesen oder zumindest eingestellt, was sich gelegentlich in störrischer, gelegentlich in gütiger Weise ausdrückt. Oder eben gleichzeitig. So meint Sam über Terente:
terente kümmert sich um mich
betrachtet mich als sein kind
läßt mich nicht fernsehen
nicht alleine über die straße gehen
und gibt mir kein taschengeld
morgens bloß
muß ich seine schuhe putzen
dann liebe ich ihn
weil er mich braucht
wie die kirchentür die bettler
In "Der Autobus mit den Buckligen" findet sich das Leben in dezent absonderliche Bilder gestochen. Die Buckel, Zeichen eines unbestimmten Gezeichnetseins, sind Wanderbuckel: Buckel, die gegen Trübsal verliehen werden. Und für groteske Perspektiven, in denen das Merkwürdige die dahinter verborgene Wirklichkeit reflektiert.
Es sind Gedichte zu einem bizarren, aber nie fragwürdigem Dramolett. Trotz der dramatischen Momente überwiegt jedoch das visionäre Spiel. Überdecken die Visionen, die Ersehungen das vordergründig zu Sehende.
Diese Gedichte schürfen eifrig, das Poetische im Alltäglichen zu entdecken. Aus diesem hervor. Poesie als Folge des Gewohnten. Poesie als quer verstrebende Absicherung. Poesie als gutartiger Tumor, der durch die Ebenen der Normalität wuchert.
ein autobus voller buckliger fährt vorbei
mein finger möchte
in den buckel des nachbarn eindringen
wie die kerze in den opferbrei
ich bin ein geiler sam
doch minodora ist als köder zu klein
für solch einen gewaltigen fisch
die zunge streckt sich
wischt vom fenster zwei titten weg
wie zwei altare
da kommt die grüne fliege
klopft mir auf die schulter und sagt
sam liebster
komm mit ins spinnennetz
dort läßt sich's himmlisch schaukeln
Nora Iuga schließt mittels einer verschmitzt flunkernden, manchmal auch frivolen oder herben Narration die Wirklichkeit an die Kabel des Phantastischen an. Ihre Figuren sind offensiv und drastisch. Aber sie bleiben immer auch sympathetisch. Hinter dem skurrilen Ornat ist etwas wie euphorischer Pragmatismus verborgen. In den Neurosen liegt immer auch neben der Verstörung ein lichtes Interesse an der umgebenden Welt. Dass dieses Interesse an sich oft absurd ist, muss nicht erklärt werden.
aber ich habe vergessen mitzuteilen
daß das eis vom flugzeug aus gesehen
die haut der welt ist
am anfang war die pappel
gottes zuchthengst
schließlich das wasser
wartend zwischen den ufern
wie die möse einer kaiserin
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