Leberknödel- und Fritattensuppe

Über das Kulinarische in den Stücken Thomas Bernhards

Von Ernst GrabovszkiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ernst Grabovszki

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Thomas Bernhard ist nicht der erste Autor, in dessen Werk vom Essen gesprochen wird: Gegessen wird durch die gesamte Weltliteratur hindurch: Man denke nur an Günter Grass' Roman "Der Butt" oder Friedrich Dürrenmatts Erzählung "Die Panne". "Essen hat in der Geschichte des Theaters von der Antike bis in unsere Tage oft eine Hauptrolle gespielt. Es liefert komische Effekte, die in unserem Jahrhundert im Kinovergnügen der Tortenschlacht kulminieren" - so Hilde Haider-Pregler und Birgit Peter in ihrem Rezeptbuch von und über Thomas Bernhard. An festlich gedeckten Tafeln herrscht bei Bernhard freilich kein Mangel, aber nur allzu rasch kippt die Festlichkeit in die Katastrophe um: "Speisen lassen sich für Disziplinierungsmaßnahmen, Machtdemonstrationen und Demütigungsrituale gebrauchen, Lebensmittel ermöglichen Kommunikation und Interaktion. Essen ist immer sinnliche Erfahrung und bedeutet überdies die Auseinandersetzung mit der eigenen, zumeist beschädigten Physis. Genußvolle Sättigung beschert sinnliche Befriedigung, manchmal die einzig (noch) erfahrbare überhaupt. Essen ersetzt (oder kompensiert) Sexualität".

Den Kennern der Bernhardschen Theatertexte ist der Hang zum Kulinarischen gewiss nicht entgangen, mehr noch, die diversen (Wiener) Speisen können oft wesentlichen Einfluss auf Verhalten, Laune und Weltanschauung der Figuren haben. Der Theatermacher Bruscon etwa hat sich zwischen Leberknödel- und Frittatensuppe zu entscheiden (und wählt schließlich letztere als seine "Existenzsuppe") und Ludwig in "Ritter, Dene, Voss" nutzt die Gelegenheit seines Aufenthalts bei seinen Schwestern, um über die sonst sehr beliebten Brandteigkrapferl herzuziehen.

Die Herausgeberinnen haben das Bernhardsche Œuvre nach kulinarischen Passagen gesichtet und diese in einem reizvoll gestalteten Band versammelt. Begleitet werden die Ausflüge des streitbaren Autors durch Fotos aus den diversen Lebensstadien. Wer sich oberflächlichen Bernhard-Tourismus erwartet, wird zum Glück eines besseren belehrt. Die Autorinnen bieten eine spannend zu lesende Analyse, die Aspekte im Werk hervorhebt, die von der Forschung bisher marginalisiert worden sind. Haider-Preglers Erörterungen umfassen biographische und geographische Aspekte von Bernhards Theaterliteratur sowie eine Analyse seines "kulinarischen Vokabulars", das zur Ver(sinn)bildlichung des Bewußtseins der Figuren und ihrer Lage dient. Sie setzt die Stücke noch einmal in ihren historischen Entstehungs- und Aufführungskontext und rekapituliert die Rezeption bei der österreichischen und ausländischen Kritik. Birgit Peters "Kulinarischer Schauspielführer" zählt jene Stücke auf, in denen Essen eine Rolle spielt - und das sind beinahe alle Stücke Bernhards. Peters Darstellung wird dem analytischen Anspruch Haider-Preglers jedoch nicht mehr gerecht, sondern bietet lediglich Inhaltsangaben der Stücke.

Wer sich noch tiefer in die Gedankenwelt Bernhards versetzen möchte, kann die beschimpften, gelobten oder lediglich erwähnten Speisen nachkochen. Oder er kann im Kapitel über "Prominente kulinarische Orte in Wien" die Fakten und Hintergründe der Schauplätze nachlesen. Gelegenheit dazu gibt eine Reihe von Rezepten, die den Band abschließen: von der Einbrennsuppe über das Gulasch auf Wiener Art bis zum Erdäpfelsalat. Wohl bekomm's!

Titelbild

Hilde Haider- Pregler / Birgit Peter: Der Mittagesser. Das Thomas-Bernhard-Kochbuch.
Deuticke Verlag, München 1999.
210 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3216304590

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch