Markenkids

Bücher zum Thema "Kind & Konsum"

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Playmobil-Piratenschiffe, DUPLO-Themenparks, Kisten mit Hörspielkassetten, Legionen von Barbie-Puppen, Gameboys, Diddl-Mäuse und Pokémon-Sammelkarten, so weit das Auge reicht. Dazwischen Strandgut aus Kindergeburtstagen und Relikte großelterlicher Spendierwut. Deutsche Kinderzimmer haben es in sich. Kinder und Jugendliche bewegen nicht nur beträchtliche Kapitalmengen - fast zehn Milliarden Euro im Jahr -, sie üben auch einen wachsenden Einfluss auf die Markenwahl der Erwachsenen aus. Schon die Kleinsten sind in das Fadenkreuz der Marktforscher und Werber geraten. Spezialisten forschen das Trendpotenzial der Kids aus, vermessen ihre Sehnsüchte, zerlegen ihre Lebensgewohnheiten und setzen die kindlichen Merkmale zu aussagekräftigen Statistiken wieder zusammen.

Infolge des wachsenden materiellen Wohlstands wird es für Eltern immer schwieriger, Konsumbarrieren aufrecht zu erhalten. Immer mehr Mütter und Väter tragen das finanzielle Joch, dass ihnen durch die unaufhörlich sprudelnden Wünsche und Ansprüche ihrer Sprösslinge auferlegt wird, sonderbar klaglos. Nur selten erkennen sie, dass das Verschenken und der Gebrauch von Konsumgütern kommunikative Aufgaben übernommen hat, die ihnen selbst und ihren Kindern Botschaften übermitteln. Waren werden zur Belohnung gewährt oder als Bestrafung vorenthalten. Eltern schenken aus Schuldgefühlen oder weil sie aus dem Akt des Gebens emotionalen Mehrwert schöpfen. Und oft ist hinter dem großzügigen Geldgeschenk oder dem generös bewilligten Handy ein geheimer Überbietungswettbewerb in Gang.

Überfluss verlangt nach Dosissteigerung, nach einem iterativen "Und jetzt". Es gibt kein Abwarten mehr, keine Vorfreude, kein genüssliches Erleben. Erst recht kein ruhiges Ausklingen des Konsums, das eine von Neugier und Experimentierfreude geprägte Beschäftigung mit dem erworbenen Gegenstand ermöglichen könnte. Spielzeug ist da, um es zu besitzen. Um es auszustellen und den Gleichaltrigen zu präsentieren. Zum Spielen taugt ohnehin nur das wenigste. Und so ist das Neue bald wieder das Alte. Nicht umsonst geht das Gespenst der Langeweile bevorzugt in voll gestopften Kinderzimmern um. Wertschätzung und Interesse sinken mit der Ubiquität des Verfügbaren. Wenn die Regale unter der Last des Gerümpels zu ächzen beginnen, ist eine Sättigungsschwelle erreicht. Wozu braucht man das alles? Irgendwann stehen fordernde Kinder und gebende Erwachsene enttäuscht da.

Kinder unterhalten eine leidenschaftliche Beziehung zu Marken. Denn die Marke versteht es, eine Vielzahl von Begehrlichkeiten auf sich zu konzentrieren. Wie eng und mit welchen Mitteln die Werbewirtschaft den Kindern auf den Leib rückt, zeigt die Studie "Marken-Kids". Beinahe ein Jahr lang haben die 500 Mitarbeiter von Millward Brown, einer führenden Agentur für Marken- und Unternehmenskommunikation, in elf Ländern Tausende von Kindern interviewt und sie in Hunderten von Gruppensitzungen über Marken diskutieren lassen. Das Ergebnis sind genaueste Kenntnisse darüber, welche Medien Kinder nutzen, welche Musik sie hören, über wie viel Geld sie verfügen, wofür sie es ausgeben und welchen Einflüssen sie dabei unterliegen. Kennwerte beziffern die kindliche Kaufkraft. Balkendiagramme wägen die Gründe für die Markenwahl ab. Grafiken erfassen das Netz der Medienaktivitäten. Und Tabellen variieren das Ganze noch einmal nach Geschlecht, Alter und Nationalität.

"Kids-Träume zu verkaufen." - Was dem Außenstehenden kritisch anmutet, ist ernst gemeint. Erfolgreiche Marken und Spielwaren, das haben die Forscher herausgefunden, bedienen die kindlichen Grundbedürfnisse nach Liebe, Stabilität, Fantasie, Dominanz, Humor und Angstlust. Gute Markenkonzepte enthalten daher eine Vielzahl kombinierter Maßnahmen, mit denen sie sowohl den spielerischen Kriegshelden als auch das von der großen Liebe träumende Mädchen ansprechen können. Unter dem Raster der Strategen enttarnen sich spontane Wünsche als konditioniertes Verhalten. Es gibt keine Geheimnisse mehr, weder auf Seiten der Konsumforscher, noch auf Seiten des Kindes. Dank LEGOs "Vision Command" können die kontrollierten Kids ihr Bedürfnis nach Kontrolle ausleben. Heute beobachten zwölfjährige Jungen mit bewegungssensiblen Überwachungskameras heimlich ihre große Schwester, wie sie auf der Wohnzimmercoach mit dem Freund knutscht.

Je perfekter Marktforschung funktioniert, umso mehr bekommt sie es mit sich selbst zu tun. Im "Peer-to-Peer-Marketing" identifizieren die Planer Jugendliche als Gruppen. Um die Anführer herum bauen sie die Kampagne auf. Sodann bombardiert man die Kids mit "einzigartigen Initiativen" und verschafft ihnen "unvergessliche Erlebnisse". Oder man setzt "Virusmarketing"-Methoden ein, mit denen die Kids selbst als das Marketing übernehmen. Gewissermaßen als Saboteure in eigener Sache. Rebellentum und das Ignorieren von Regeln, mit dem Kinder früher gegen die Erwachsenenwelt aufbegehrten, wird heute von dieser inszeniert und zur Identifikation feilgeboten. Virtuelle Marken etablieren sich in virtuellen Welten. Die Markensprache ist ohnehin schon längst der "TweenSpeak" angepasst. Selbst Brüche und Schwächen einer Marke sind das Ergebnis strategischer Planung und Kontrolle. "Jede Marke trägt menschliche Züge", verkündet das unmenschliche Marketing.

Eine gute Übersicht über die Problemfelder des kindlichen Umgangs mit dem Konsum bietet Peter Strucks Ratgeber "Wie viel Marke braucht mein Kind?" Struck deutet das ausufernde Konsumverhalten von Kindern und Jugendlichen als Symptom einer maroden Gesellschaft. Der Nachwuchs ahmt nur die konsumorientierten Erwachsenen nach. Kinder lernen von den Eltern, aus den Medien und der Werbung, dass Geld die Welt regiert. "Shopping" wird immer mehr zur beliebten und sozial anerkannten Freizeitbeschäftigung. Wir leben in einer Ranking-Gesellschaft, in der der Kampf um Anerkennung und Aufstieg mit emotionaler Vernachlässigung einhergeht. Strucks Metier ist die Beschreibung, nicht die Analyse. Seine Antwort auf die Frage nach dem kindlichen Konsum lautet Kompensation: Materielle "Ersatzbefriedigungen" verschleiern nur die immateriellen Bedürfnisse. Geschenke und Geld ersetzen Liebe und Zeit. Geborgenheit innerhalb einer Gruppe ist nur durch den Konsum von Markenartikeln zu haben, durch Shoppen, Stylen und cool Aussehen. Dem ist nichts entgegenzusetzen. Aber solange die Motive nicht benannt werden, die die Kids in Richtung Konsum drängen, kratzen solche Erklärungen nur an der Oberfläche.

Das gleiche gilt für die als pädagogische Auswege angebotenen Maßnahmen. Aristoteles konnte seine Ethik noch auf einen Balanceakt zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig errichten. Seitdem geistert die Vorstellung der "goldenen Mitte" auch in den Köpfen von Pädagogen herum: Es komme eben alles auf das richtige Maß an. Keine Markenkleidung, kein Taschengeld, kein Fernseher im Zimmer des Jugendlichen und keine Kosmetika seien genauso falsch wie Geiz und das Vorenthalten von ansehnlicher Kleidung und aktuellem Trend-Spielzeug. Die von Struck und vielen anderen gebetsmühlenartig vorgetragene Beschwörung des "richtigen Maßes" ist so richtig wie falsch. Man muss dem Autor beipflichten, wenn er zum Dosieren von Reizen aufruft, zum Dialog mit konsumverwöhnten Kindern und zum Nein-Sagen-Können. Aber der Fokus auf die Restriktionen verdeckt das Kompensierte, das nur noch als Negativfolie nicht verwirklichter Bedürfnisse und Fähigkeiten hervor scheint. Eben dort wäre jenes anspruchsvollere Emanzipationskonzept aufzufinden, dass Kindheit konsequenter inmitten ihrer konsumistischen Verflechtungen beschreibt.

Es ist Realität, dass Kinder sich als Außenseiter fühlen, wenn sie nicht mit all dem Krempel aufwarten können, den sie von den Eltern so hartnäckig und manchmal flehentlich verlangen. Bei Skater-Hosen, Handys, Ohrringen und Sneaker-Schuhen handelt es sich um mit Bedeutung aufgeladene Erkennungszeichen. Nur das lässt das Verlangen nach ihnen so übermächtig werden. "Angesagte" Kleidermarken versprechen nicht nur Status und Prestige, sondern geben auch Sicherheit und Orientierung. Kompensatorisches Kaufen mildert Ängste und hilft über Enttäuschungen hinweg. Viele Jugendliche verbinden Konsum mit emotional besetzten Bedeutungen wie Liebe, Wärme und Geborgenheit. Hier und nur hier liegen auch die Gründe für die von Andrea Braun in "Weniger ist oft mehr" angeprangerte Kaufsucht, der Wunsch nach gesteigertem Konsum und der Verengung der Lebensperspektive auf bestimmte Objekte der Begierde.

Brauns populäres Buch versteht sich als Suchtprävention. Doch die Autorin verzichtet von Anfang an darauf, ihre Überlegungen methodisch einzubetten: "Wenn z. B. aus dem normalen Verbrauch von Süßigkeiten eines Kindes im Laufe der Zeit ein übermäßiger Konsum entsteht, dann kann dies schon zu einer Suchtgefährdung führen. Diese besteht immer dann, wenn man das Gefühl hat, auf etwas nicht mehr verzichten zu können." So einfach ist das? Demgegenüber, meint Braun, solle man sich besser an den "wahren Bedürfnissen" von Kindern und Jugendlichen orientieren. Was aber, wenn aus den "wahren Bedürfnissen" inzwischen Warenbedürfnisse geworden sind? Ohne Begründungszusammenhänge herzustellen oder transparent zu machen, nennt die Autorin Erkrankungen und Süchte wie Bulimie, Magersucht, Kaufsucht, Spielsucht, Alkohol, Nikotin und illegale Drogen als direkte Konsumfolgen. Genauso gut könnte sie dafür "die Gesellschaft" anschwärzen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Sucht kommt in vielen Büchern zum Thema Kind und Konsum vor, sie bedarf nur nachvollziehbarer Erklärungen.

"Unerfüllte Wünsche nach Geborgenheit, Liebe und Zuwendung", "zu wenig Platz und Freiräume", "Faktor Langeweile", "Medien- und Kommunikationslandschaften" - seriöse Ursachenforschung sieht anders aus. Braun wägt ihre Erklärungsangebote weder gegeneinander ab, noch belegt sie sie ausreichend. Sie schöpft sie aus diffuser Erfahrung. Ihre Ratschläge sind so unspezifisch, dass sie Lebenswirklichkeit von Kindern nur oberflächlich problematisieren: "Die Heranwachsenden werden überall mit den neuen Medien konfrontiert und sollten auch lernen, damit umzugehen. Nur sollte dieser Umgang eine Ergänzung zum sonstigen Leben sein und keinesfalls überhand nehmen." So geht es munter weiter - Braun brandmarkt "überzogene" Wünsche, geißelt den "Gruppenzwang", plädiert für einen "Selbstkochtag" statt Fast-Food oder beklagt die "erdrückende Fülle und Angebotsvielfalt" der sich in Kinderzimmern stapelnden Spielzeugkisten. Es folgen pragmatische Erziehungstipps, die - wen wundert's? - auch im Folgebuch "Müssen Kinder wirklich alles haben?" eine gewisse Beliebigkeit erkennen lassen: "Vor dem vierten Lebensjahr halte ich persönlich einen Computereinsatz für nicht angebracht."

Kinder, darauf weisen Gerlinde Unverzagt und Klaus Hurrelmann in ihrem instruktiven Buch "Konsum-Kinder" hin, werden als "erwachsene" Konsumenten beworben, besitzen aber nicht die Kompetenzen, um mit dem größeren Spielraum an Freiheiten und Geld umzugehen. Kommen Einschränkung und Verzicht im Alltag nicht mehr vor, so schwächt dies die Möglichkeit des Heranwachsenden, Selbstwertgefühl und Unabhängigkeit aufzubauen: "Wenn sich jeder Wunsch gebären darf wie ein lebensnotwendiges Bedürfnis, das auf Erfüllung dringt, und, sekundiert von der Werbung, die dazu anhält, alles Überflüssige notwendig zu finden, wird es zur entscheidenden Herausforderung für das Kind, seine echten Bedürfnisse spüren und ausdrücken zu lernen. Da liegt ein Schlüssel für die Entwicklung eines selbständigen, individuellen, kreativen Menschen. Erfüllte Bedürfnisse nach Geborgenheit, Liebe und Aufmerksamkeit stärken Kinder, um auch einmal gegen den Strom zu schwimmen, und können sie überdies ganz gut imprägnieren gegenüber den Verheißungen der Warenwelt. Unerfüllte Bedürfnisse hingegen stimulieren den Konsum von Ersatzbefriedigungen schon ganz früh."

Eltern können ihren Kindern Gestaltungsspielräume eröffnen und wirtschaftliche Bewegungsfreiheit zugestehen, zum Beispiel durch die Auszahlung des Kindergeldes. Sie können einen Beitrag zur Gelderziehung leisten, um die emotionalen und materiellen Beziehungen innerhalb der Familie wenn nicht zu entkoppeln, so doch rational nachvollziehbar machen. Sie können Kindern dabei behilflich zu sein, Prioritäten zu setzen, Wünsche aufzuschieben oder auch zu erfüllen. Was dokumentiert sich im lässigen Gebrauch des Handys anderes, als der unbändige Wunsch, erwachsen zu werden und ernst genommen zu werden? Es braucht ein klar konturiertes Konzept von Kindheit und die Anerkennung kindlicher Sorgen und Nöte, um dem Würgegriff des Konsums zu entkommen. Erst Unverzagt und Hurrelmann verstehen es, hinter dem, was sich Kinder wünschen, das zu erkennen, was sie brauchen. Und sie zeigen Wege auf, wie man die Kids in ihrem Bedürfnis nach Zuwendung, Anerkennung, Abwechselung, Spaß und Teilhabe unterstützt. Der Weg dazu führt über Widerstände, die das Scharnier zwischen Anleitung und Unterstützung einerseits und Ablösung und Freisetzung andererseits bilden. Für Eltern ist es immer leichter, den Wunsch des Kindes nach immer neuen Konsumreizen zu bedienen, als Missmut und schlechte Stimmung auszuhalten.

Sofortige Bedürfnisbefriedigung, Erfolg ohne Mühe, Inkonsequenz und Maßlosigkeit bei Geschenken tragen nicht nur für Struck, Unverzagt und Hurrelmann dazu bei, die natürliche Neugier des Kindes bei der Erkundung seines Lebensumfeldes zu bremsen und es in seiner Aktivität zu hemmen. "Eigene Interessen", heißt es in Albert Wunschs "Die Verwöhnungsfalle", "haben keine Chance zur Verwirklichung, Willens- und Persönlichkeitsbildung finden nicht statt. Der postmoderne Asoziale steht vor uns." Verständnisloses Kopfschütteln anstatt Kommunikation auf Augenhöhe wie bei Unverzagt und Hurrelmann. Das süße Gift der Verwöhnung, meint Wunsch, fessele das Kind an die Erwartungen des überlegenen Verwöhners und lähme die eigenständige Entwicklung. Ob vom verwöhnten Kind eine direkte Linie zum "nicht arbeitswilligen Sozialhilfeempfänger" und persönliches Engagement vehement ablehnenden "Schein-Arbeitslosen" führt, ist allerdings zu bezweifeln. Auch kriminelle Karrieren lassen sich kaum umstandslos den "Verwöhnungsschäden" zurechnen.

Auch in seinem später erschienen Buch "Abschied von der Spaßpädagogik" ist etwas von dieser Ideosynkrasie gegenüber Leistungsverweigerung, Anspruchsdenken und Überfluss spürbar. Plausibler als die teilweise naiven soziologischen Folgerungen Wunschs sind denn auch seine an Alfred Adler ("Das verwöhnte Kind", 1926) geschulten Thesen zu den Absichten und Bedürfnissen des Verwöhners. Der überfürsorgliche Erwachsene frönt einer versteckten Form des Egoismus. Wunsch nach Sympathie, Konfliktvermeidung oder ein unerfüllter Lebensalltag lassen Eltern immer wieder Zuwendungsangebote aussprechen, bei denen sie insgeheim selbst die Hand aufhalten. Der pädagogische Zugang steckt diesem Thema enge Grenzen, umreißt dabei aber zugleich ein noch zu bestellendes Terrain psychoanalytischer Forschung. Wünschenswert wären Studien zum Habitus überfürsorglicher Eltern und zur Pathogenese überversorgter Kinder mit Fokus auf dem Konsum.

Nicht fehlende Herausforderung und ausbleibende Ermutigung, sondern die pädagogische Demaskierung der Werbe-Scheinwelt steht im Mittelpunkt des vom Verbraucherinstituts Berlin herausgegebenen Hefts "Jugend, Werbung und Konsum". Der Autor Heiko Gauert sieht die Werbung wie ein "Trommelfeuer" auf Kinder einprasseln: Steigende Werbeinvestitionen, steigender Fernsehkonsum, begleitet von einem sinkenden Problembewusstsein der Bildungsbeauftragten. Für Vorschulkinder steht das Werbefernsehen an zweiter Stelle der Beliebtheitsskala für Sendungen überhaupt, wobei es schon längst nicht mehr als Verkaufsangebot wahrgenommen wird. Werbung, meint Gauert, verändere die Sehgewohnheiten, sie verforme die Kommunikation zur Bildkommunikation - weg von der Konzentration auf Strukturen und Sinneinheiten hin zu punktuellen Erlebnissen. Die Folge seien drastisch zunehmende Konzentrations- und Lernschwächen in Kindergarten und Schule.

Auch die Frage "Werbung - Manipulation oder Teil der Kultur?" wird von Gauert mit der wünschenswerten Klarheit beantwortet: Unter der ästhetischen Oberfläche tönt die Propaganda und prägt das kognitive und kommunikative Verhalten jedes Einzelnen. Werbung ist nicht nur Lüge und Verblendung, sie deformiert nach Gauerts Dafürhalten auch das Subjekt in seiner Wahrnehmung, seinen Kenntnissen und Fähigkeiten. Gerade deswegen dürfen Erzieher und Lehrer den massiven "Frontalangriff" der Werbewirtschaft auf den Nachwuchs nicht nur mit einem bedauernden Achselzucken quittieren. Sie sollten aktiv Medienerziehung leisten. Im Mittelpunkt des Heftes steht darum ein Schulprojekt zum Thema "Werbekampagne". Indem sie sich selbst in die Rolle von Werbemachern versetzten, lernen die Schüler und Schülerinnen eine kritische Distanz zu den Scheinwelten der Werbung einzunehmen. Im Anhang des Hefts finden sich Beispiele für weitere Projekte. Eine insbesondere für Schulpädagogen empfehlenswerte Publikation.

Während Pädagogen und Medientheoretiker im allgemeinen dazu neigen, die Kinder vor den Mechanismen der Werbung zu schützen, sehen Kindheitstheoretiker im Zugriff des Marktes auf die Kinder eher die Befreiung der Kinder aus traditionellen Kontrollmechanismen und die Chance, das Selbstbestimmungsrecht der Kinder im Kindheitsbild der Gesellschaft zu etablieren. Aber worin besteht diese zunehmende Autonomie und auf welchen Grundlagen beruht sie? In "Kinder, Geld und Konsum" untersucht Christine Feil die Rahmenbedingungen, die es Kindern ermöglichen, am Marktgeschehen zu partizipieren. Dazu gehört vor allem das Taschengeld, das sich nach der Ächtung der industriellen Kinderarbeit aus dem illegal gezahlten Lohn des Arbeiterkindes entwickelte. Heute ist Taschengeld im Idealfall Geld, das den Kindern vorbehaltlos und regelmäßig zur exklusiven Verfügung gezahlt wird.

Feil analysiert die empirischen Daten, die auf Entwicklungen hin zur Markintegration von Kindern und zur Aufhebung der ökonomisch geprägten Statusdifferenz zwischen Kindern und Erwachsenen deuten. In ihren Augen diskreditiert nicht nur die Markforschung das überkommene bürgerliche Ideal vom Kind, das "den Kindern die Anerkennung ihrer Handlungsfähigkeit aus Gründen des Schutzes vor den Konsequenzen ihres Handelns versagt." Auch die Rechtswirklichkeit, die im deutlichen Widerspruch zu den Rechtsnormen zur Geschäftstätigkeit stehe, trage dazu bei, dass Minderjährige als Wirtschaftssubjekte anerkannt werden. Durch selbstverdientes Geld erhalten Kinder gegenüber ihren Eltern eine größere partielle Selbständigkeit. Anders als früher werde Kinderarbeit "nicht mehr in ihrem Verhältnis zur Produktion, sondern zur Sphäre der Konsumption beurteilt". Ob sich in diesem "Eigeninteresse der Kinder am Geldverdienen" wirklich eine größere Selbstständigkeit abzeichnet, bleibt allerdings fraglich. Bedeutet die größere ökonomische Macht doch, den Verlockungen des Konsums nur noch tiefer zu erliegen. Kritisch und als der Autonomie des Kindes hinderlich betrachtet Feil die Dienstleistungspflicht des Heranwachsenden im Haushalt, ein blinder Fleck des Familienrechts. Mitarbeit sei wünschenswert und wichtig, solle aber entrechtlicht werden.

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Albert Wunsch: Die Verwöhnungsfalle. Für eine Erziehung zu mehr Eigenverantwortlichkeit.
Kösel Verlag, München 2000.
238 Seiten, 15,95 EUR.
ISBN-10: 3466305195

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Heiko Gauert: Jugend, Werbung und Konsum.
Stiftung Verbraucherinstitut, Berlin 2000.
88 Seiten, 12,27 EUR.
ISBN-10: 3936350337

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Gerlinde Unverzagt / Klaus Hurrelmann: Konsum-Kinder.
Herder Verlag, Freiburg 2001.
192 Seiten, 18,50 EUR.
ISBN-10: 3451275813

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Andrea Braun: Weniger ist oft mehr. Wie wir mit kindlichem Konsum umgehen und Suchtgefahren vorbeugen können.
Kösel Verlag, München 2001.
217 Seiten, 12,95 EUR.
ISBN-10: 3466304474

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Andrea Braun: Müssen Kinder wirklich alles haben? Wege aus der Konsumspirale.
Kösel Verlag, München 2002.
125 Seiten, 12,95 EUR.
ISBN-10: 3466305748

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Peter Struck: Wie viel Marke braucht mein Kind? So gehen Sie mit dem Konsumverhalten Ihrer Kinder um.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2002.
141 Seiten, 13,90 EUR.
ISBN-10: 3821839198

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Albert Wunsch: Abschied von der Spaßpädagogik. Für einen Kurswechsel in der Erziehung.
Kösel Verlag, München 2003.
230 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-10: 3466306191
ISBN-13: 9783466306190

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Christine Feil: Kinder, Geld, Konsum. Die Kommezialisierung der Kindheit.
Juventa Verlag, München 2003.
288 Seiten, 23,00 EUR.
ISBN-10: 3779902265

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Martin Lindstrom / Patricia B. Seybold: Marken-Kids. Neues über die Erlebniswelt und das Markenbewußtsein der 8- bis 14-Jährigen.
Übersetzt aus dem Englischen von Sabine Schilasky.
Verlag Moderne Industrie, Landsberg am Lech 2003.
350 Seiten, 49,90 EUR.
ISBN-10: 3478210704
ISBN-13: 9783478210706

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