Der Nachlasser

Jean Etienne Aebi über "Werbung der vierten Art"

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Werbung wird von vielen Menschen als eine subtile Form des Hausfriedensbruchs wahrgenommen. Mit ähnlichem Unwillen wie auf TV-Commercials reagiert man auf Postwurfsendungen, Zeitschriftenreklame und Plakatwände. Laut einer Emnid-Umfrage verweigern 14% der Deutschen den Kauf eines Produkts, wenn ihnen die Werbung dazu missfällt.

Diesem Befund steht eine andere Beobachtung entgegen. Nämlich, dass Millionen gebannt in Kinosesseln kauern oder auf dem heimischen Sofa hocken, um sich Sendungen anzusehen, die ausschließlich Werbung zeigen. Hier wird Werbung als Hauptprogramm konsumiert. Eine klare Botschaft an die Werbetreibenden: Die Chancen, mit Werbung etwas zu erreichen, sind allen Untergangsprognosen zum Trotz groß. Werbung ja - aber bitte andere.

Um diese neue, originelle und faszinierende Werbung besser von ihren langweiligen Vorgängern abzugrenzen, unterscheidet Jean Etienne Aebi vier Grundformen der Werbung. Sie folgen chronologisch aufeinander, überschneiden sich in der heutigen Reklame aber noch teilweise.

Werbung der ersten Art kommuniziert den direkten Produktnutzen: Waschmittel macht die Wäsche sauber. Werbung der zweiten Art appelliert an den psychologischen Verbrauchernutzen: Das Auto ist nicht nur bloßes Fortbewegungsmittel, es verleiht auch Männlichkeit. Werbung der dritten Art aktiviert den Konsumenten und stimuliert ihn, eigene Schlussfolgerungen zu ziehen und eine gedankliche Lücke zu schließen. Zu Aebis Leidwesen existiert immer noch viel zu viele Werbung des Typs eins oder zwei: "Die ewige Liturgie bemühter Demonstrationen. Die unendliche Parade konstruierter Illusionen. Sie zementieren nur noch die Missachtung gegenüber der Werbung, die das frühere Misstrauen abgelöst hat."

Doch was kommt nach Information, Suggestion und Stimulation? In der modernen Warengeneration sind Produkte immer ununterscheidbarer geworden. Ein Waschmittel wäscht so gut wie jedes andere, die Jeanshosen sämtlicher Marken werden aus ein- und demselben Denimstoff gefertigt. Eigentlich ist es völlig gleichgültig, ob man sich in einen Audi, BMW oder Mercedes setzt. Mit der "Product Parity", der Nivellierung der Konsumartikel auf hohem Niveau, geht ein dramatischer Differenzierungsverlust für den Anbieter einher. Um Unterschiede zu erzeugen, wo in Wirklichkeit keine mehr sind, braucht es eine neue Form von Werbung.

Werbung der vierten Art wirbt mit - sich selbst. Sie unterhält in erster Linie und kommuniziert so neuartige Argumente für die Markenwahl: Spaß und Vergnügen. Großartige Werbung verheißt dem Konsumenten ein großartiges Produkt, Werbeattraktivität wird als zusätzliche mediale Kommunikationsleistung honoriert und verschafft den entscheidenden Wettbewerbsvorteil. Oder, noch einmal zugespitzt: Das eigentliche Produkt ist die Werbung.

Sobald sich das Produkt von seinem physischen Substrat abgekoppelt hat, entscheiden die Wahrnehmungen, Gefühle, Images und Fantasien über Markenpräferenzen - jenseits der faktisch nachweisbaren Leistung. Auch Werbung der vierten Art will gut konzipiert und sorgfältig ausgeführt sein. Also bitte keine austauschbaren Witzchen am laufenden Band, sondern Werbung als Ereignis und Exploration neuer Marken-Territorien! Doch "Einfall oder Abfall" enttäuscht auf halber Linie. Von der mageren Kost, die in den folgenden Kapiteln auf den Tisch kommt, kann man nur schwerlich bis zum Ende zehren.

Im praktischen Teil betätigt sich Aebi - an sich durchaus lobenswert - als Werbe-Kritiker. Allerdings ist das meiste davon bereits bekannt - angefangen von der Kritik der Input-Output-Reklame, die die Botschaft 1:1 in Werbung transformiert, über das Gebot, der Intelligenz des Konsumenten zu schmeicheln, bis hin zu den für kreative Werbung nahezu wirkungslosen Pretests.

Um die Optimierungsvorschläge steht es ähnlich. "Variation schlägt Repetition", heißt es dort, "Format ist Aussage" und "Gegen alle Regeln verstoßen". Hausmannskost, nichts Neues unter der Werbesonne. Es folgen Vorschläge zu Media-Strategien mit dem Tenor: Konzentration auf einzigartige Ideen, Bündelung von Aufmerksamkeit. Lieber ein unvergessliches Ergebnis schaffen als durch zahlreiche ineffiziente Kontakte langweilen. - Was sonst? Am Ende dieses Teils ein Kapitel mit der Überschrift "Je kreativer, desto effektiver". Inzwischen fast ein alter Hut.

Für Aebi genießt der außergewöhnliche, überraschende Einfall einen klaren Vorrang gegenüber allen Regeln, Denkmustern, Trendprognosen, Kennwerten und Gestaltungsrastern. In der Tat: eine bewegende Kommunikationsidee braucht Freiräume. Doch solche Autonomieverlautbarungen lösen nicht das Versprechen ein, die Kommunikation der "vierten Art" in ihren Grundzügen zu erschließen. So bleibt es bei einem bunten Strauß von Ideen und Vorschlägen, während die ambitionierte Idee eines Paradigmenwechsels in der Werbung traurig vor sich hinwelkt.

Der letzte Teil, der mit seinen Statements zu Marketing, Markenkommunikation, Corporate Identity und zum Verhältnis von Unternehmern und Werbern ebenfalls der drohenden Nivellierung und Gleichmacherei der Warenwelt entgegenwirken will, endet mit einem Kapitel über die Eitelkeiten der Kreativen. Wiederum begrüßenswert, aber kaum weiterführend. Am Ende der Durststrecke beginnt das Buch denn auch sprachlich zu holpern, dass es eine Last ist: "Eine einseitig eindeutige Charakterisierung der Werbeleute gibt es nicht. Alle Klischees treffen nicht zu."

Titelbild

Jean Etienne Aebi: Einfall oder Abfall. Was Werbug warum erfolgreicher macht.
Verlag Hermann Schmidt, Mainz 2003.
432 Seiten, 49,80 EUR.
ISBN-10: 387439638X

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