Im Sturm des Lebens verloren gegangen

Louis Begleys Roman "Schiffbruch"

Von Katrin HartmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katrin Hartmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Mann steht an einer Bar und nimmt einen Drink zu sich. Ein weiterer Mann, John North, gesellt sich zu ihm und fragt ihn, ob er ihm seine Geschichte erzählen dürfe. Diese Geschichte, die sich als Lebens-, als Liebes- und als die Geschichte des Untergangs des Mannes entwickelt, dauert in der erzählten Zeit vier Abende und Nächte.

Louis Begley hat eine Geschichte gesponnen, die den Leser einwickelt, stellenweise fesselt und verwirrt, so wie North mit "seiner" Geschichte seinen Zuhörer in der Bar umgarnt.

John North ist ein erfolgreicher Schriftsteller aus New York, er lebt mit seiner Frau Lydia, einer Ärztin, in kinderlosen Ehe. Und es geht ihm gut dabei. Er liebt seine Frau, seine Arbeit, die mit vielen Reisen verbunden ist. In Paris gibt er Interviews, da er einen Literaturpreis für sein jüngstes Werk erhalten hat und dort trifft er auf eine Journalistin der Zeitschrift "Vogue", Lea, die North vom ersten Augenblick an in ihren Bann schlägt. Die beiden treffen sich immer öfter und beginnen eine Spielart der Liebesbeziehung zueinander. North sieht in Lea ein überirdisches Wesen, eine Nymphomanin, die ihm immer, wenn er möchte, zur Vefügung steht - sie ist eine Bestätigung für ihn. Doch bemerkt North nicht so recht den Augenblick, an dem sich das Abhängigkeitsverhältnis umkehrt und Lea ihn beherrscht. Aus dieser Situation heraus ensteht nicht nur eine obsessive Beziehung der Liebenden, sie stürtzt North auch in einen persönlichen Konflikt zwischen der Liebe zu seiner Frau, die er immer unangetastet wissen möchte, und der Liebe zu Lea, deren Künsten er verfallen ist. Niemals stellt North seine Frau in Frage, niemals zweifelt er an der Liebe zu ihr, und auch wenn er beginnt, sich aus Angst um seine Ehe und die Ehre seiner Frau beginnt selbst zu zerfleischen, so trifft er sich doch weiterhin mit Lea. Diese versucht sich immer mehr Platz in seinem Leben zu sichern, ohne dass North es bemerkt, der sich immer weiter in Selbstmitleid, Ich-Bezogenheit und Ängsten verstrickt. Begely führt den Leser so durch einen Roman, der sich immer weiter in Leidenschaft und Verderben steigert.

In kleinen Pausen, in denen North seine Geschichte unterbricht, um Whisky zu ordern oder um sich schlafen zu legen, kann der Leser durchatmen und erfährt durch kleine Gesprächsszenen zwischen North und dem Fremden Ich-Erzähler, wie es North im Jetzt gerade geht. Doch auch dies ist steigerungsfähig, da der Leser durch das Auge des Fremden im erzählenden North manchmal einen Verrückten zu sehen glaubt. Dieser gibt sich dem Alkohol hin, und sein Aussehen erinnert eher an einen Obdachlosen denn an einen von Erfolg verwöhnten Schriftsteller. Man beginnt sich beständig zu fragen, wann nun endlich die unterschwelligen Aggressionen und versteckten, vertuschten Emotionen in einer großen Explosion münden, aus der North als das, was er nun ist, hervorgegangen ist. Auch ahnt der Leser bereits, dass North, egal was noch passiert, nicht mehr aus seinen Fehlern und seiner Leidenschaft herausfindet - zu tief hat Lea ihn in seinen Bann gezogen. Denn auch noch im Erzählen der Geschichte erkennt man in Norths Verhalten, dass er all die Geschehnisse noch nicht verarbeitet hat und es vielleicht auch nie können wird.

Louis Begley hat in seinem vierten Roman, eine Figur erschaffen, die menschlicher nicht sein könnte. Man möchte als Leser fast Mitleid mit diesem Mann aufbringen, man möchte ihm helfen und man fühlt sich ihm nah, als würde man selbst mit einem Glas Whisky in der Hand an der Bar neben ihm sitzen und seinem Leben lauschen.

Titelbild

Louis Begley: Schiffbruch. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Christa Krüger.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2003.
279 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3518414755

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