Wie sich Mut in Unmut verwandelt

Adam Thirlwells Roman "Strategie"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Werbung ist zwar in der Literatur (noch) nicht alles, aber ohne die augenfällige Vorabkampagne des S. Fischer Verlages wäre man kaum auf den Debütroman eines 25-jährigen englischen Autors gestoßen. Adam Thirlwells Erstling ist bereits in 18 Sprachen übersetzt worden, hat in der britischen Presse ein nachhaltiges, aber zwiespältiges Echo entfacht und startet nun mit einer Auflage von 50.000 Exemplaren auf dem deutschsprachigen Buchmarkt. So weit die durchaus imponierenden Fakten.

Was sich dem Leser zwischen den Buchdeckeln offenbart, ist weit weniger beeindruckend. Wir werden hin- und hergezerrt zwischen einer narrativen Erzählebene, bedeutungsschwangeren Reflexionen, eingeflochtenen Exkursen in die jüngere Kulturgeschichte und einer störenden Stimme aus dem Off, die uns als Kommentator durch den Roman begleitet.

Wir begegnen drei Twens, die das Ausleben ihrer sexuellen Fantasien gleichermaßen als eine Art Selbstverwirklichung und Grenzerkundung erleben. Dieses Handlungsentree um das Paar Moshe (der über eine Rolle als Lustknabe von Queen Mum grübelt) und Nana, zu dem sich die bisexuelle Anjali gesellt, gestaltet Thirlwell in einer geradezu barbarischen Sprache. Sex hat hier nichts mit Erotik zu tun, sondern eher mit Schmerzen. Die können sich auch beim Leser einstellen, wenn er den "Sexspielen" des Trios folgt.

Der Autor treibt ein plattes und leicht durchschaubares Verwirrspiel - immer wenn sich die Stimme aus dem Off meldet, sollen Zweifel gesät werden. So heißt es schon zu Beginn des Romans: "In diesem Buch geht es nicht um Sex. Nein. Es geht um Integrität, Anstand und Güte."

Durch diese albernen Intermezzi fühlt man sich auf den Arm genommen, von Thirlwell bewusst in die Irre geleitet. Doch damit nicht genug. Der Autor versucht, einen Bogen von seinem verschrobenen Twen-Dreier zur Kulturgeschichte zu schlagen. So erhalten wir als freundlichen Bonus des Autors auch noch einen literarischen Nachhilfeunterricht, werden mit Bulgakow, Stendhal, Wilde, Mandelstam, immer wieder mit Milan Kundera und vielen anderen Größen konfrontiert.

Das ist hilfloses Imponiergehabe eines jungen Autors, der mit seinem Erstling bestrebt war, den Lesern den Lauf der Welt erklären zu wollen und hanebüchene Zusammenhänge konstruiert. "Dieses Buch soll Mut machen. Dieses Buch ist universell", raunt das Über-Ich des Autors aus dem imaginären Handlungsdunkel. Doch diese komödiantisch vorgetragene Form der Selbstironie lässt den Unmut über das vorliegende Konglomerat rasant anwachsen. Wenn dies (wie vom Verlag annonciert) der "erste große Liebesroman des 21. Jahrhunderts" sein soll, dann (aber wirklich nur dann) scheint die Zeit der Liebe abgelaufen zu sein. Nicht Gefühle, sondern Mechanismen, nicht Sinnlichkeit, sondern ausgeprägte, lustbetonte Egoismen dominieren die Szenerie. Als (fragwürdige) Romanessenz ebenso wenig profund wie die stets herbei zitierte "Universalität".

Um die zeitgenössische englische Literatur scheint es nicht gut bestellt zu sein, wenn Adam Thirlwell, Mitherausgeber der Zeitschrift "Arrete", mit diesem Buch den Sprung in die Top 20 der Nachwuchsautoren geschafft hat, denn selbst für ein "Skandälchen" taugt dieser postpubertäre Verbalerguss nicht. "Als Moshe behutsam die pinkfarbenen, plüschbesetzten Handschellen um die Handgelenke seiner Freundin schließen wollte, bemerkte er eine winzige Falte auf ihrer Stirn." Nach diesem Romaneinstieg haben sich auf der Stirn des Lesers während der Lektüre die winzigen Falten in riesige Furchen verwandelt.

Titelbild

Adam Thirlwell: Strategie.
Übersetzt aus dem Englischen von Clara Drechsler und Harald Hellmann.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2004.
320 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-10: 3100800486

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch