Ein österreichisch-chinesischer Privatdetektiv in Stuttgart

Deutscher Krimipreis für Heinrich Steinfests zweiten Cheng-Roman

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Herrlich, was für ein verschrobenes und kauziges Buch! Da passt einfach alles. Das fängt beim Namen des Autoren schon an: Heinrich Steinfest. Unglaublich! Das Cover zeigt einen billigen Handspiegel mit gesplittertem Glas vor furniertem Hintergrund, der Titel gibt dem Ensemble aus Bild und Worten den Rest: "Ein sturer Hund".

Sowas muss man kaufen, sowas muss man lesen. Ganz klar.

Auf der Umschlagrückseite erfährt der ungeübte Steinfest-Leser, dass es sich um den zweiten Roman mit Privatdetektiv Cheng handelt. Umso verwirrter ist man dann, wenn genannter Held erst ab der 110. von insgesamt 312 Seiten in Erscheinung tritt. Was aber nicht heißt, dass das Buch bis zu Seite 109 langweilig ist. Ganz im Gegenteil. Es ist nur eben so, dass sich der Autor für die Darstellung und Beschreibung einführender Kapitel, Personen, Orte, Details etc. viel Zeit und Raum gegeben hat und diese virtuos nutzt und füllt.

Moritz Mortensen hat drei Bücher geschrieben, betitelt sich demnach selbst Schriftsteller, ist jedoch im höchsten Maße erfolglos, d. h. in dieser Berufssparte: ungelesen. Umso erfreulicher für ihn, dass er in einer Stuttgarter Bibliothek einen Mann entdeckt, der gleich alle drei seiner Werke ausleiht. Da Mortensen noch nie einen Leser seiner Werke gesehen oder getroffen hat, will er diesem möglichst lange folgen, um eventuell zu erfahren, warum er gerade seine Bücher ausgeliehen hat. Doch der Herr Schriftsteller wird es nie erfahren, da der junge Mann kurze Zeit später ermordet wird. Sein Kopf wurde ihm vom Rumpf getrennt und im Aquarium versenkt. Mortensen war Zeuge der Tat, vermied jedoch zur Polizei zu gehen, in der Sorge, selbst verdächtigt zu werden. Ein Kollege des Opfers wird schnell als vermeintlicher Täter ausgemacht, selbstverständlich ausschließlich auf Indiziengrundlage. Trotzdem scheint der Fall gelöst. An dieser Stelle entschließt sich der Schriftsteller, einen Privatdetektiv zu beauftragen, der die Unschuld des Verdächtigen beweisen soll, ohne dass er, der Schriftsteller, direkt in den Fall involviert wird. Soweit bis Seite 110.

Markus Cheng, einarmiger Privatdetektiv aus Österreich mit chinesischen Flecken in der Biografie, übernimmt den Fall, der ihn zunächst in "Tilanders Bar" führt, deren Barkeeper er kennt und dessen Spezialgetränk "Engel in der Landschaft" der Leser zu gerne probieren würde. In "Tilanders Bar" hat sich die vermeintliche Mörderin an jenem Abend aufgehalten, an dem auch der Mortensen-Leser sowie der ihn verfolgende Mortensen dort waren. Besagter Barkeeper händigt Cheng einen Bierdeckel aus, der ein künstlerisch eindeutig wertvolles Porträt des Enthaupteten zeigt. Der Bierdeckel stammt jedoch nicht von einer der landeshauptstädtischen Brauereien, sondern verweist auf den kleinen Ort Zweiffelsknot, wo sich u. a. eine bekannte psychiatrische Klinik befindet.

In der Folge geschieht eine Vielzahl fast nicht nacherzählbarer Episoden, in denen weitere Köpfe abgetrennt werden, die Polizei erst Cheng observiert, ihn dann in ihre Ermittlungen einbindet. Ein unantastbarer Klinikdirektor tritt auf, ebenso ein höchst verunsicherter Staatsanwalt und ein arroganter Mitarbeiter des BND. Berichtet wird u. a. von einer abenteuerlichen Agentenaustauschgeschichte, in welcher Agenten des BND und solche des britischen MI6, die seelisch deformiert sind, in Spezialkliniken des jeweils anderen Landes behandelt werden. Das bedeutet, dass man im vorliegenden Fall eine ausser Kontrolle geratene britische Topagentin mit Hang zu Porträts und abgeschnittenen Köpfen sucht.

Nur folgerichtig, dass dieser groteske und völlig gegen den Strich gebürstete Krimi am und im und um das Wahrzeichen Stuttgarts, dem Fernsehturm, seinen showdown finden muss. Der dritte Platz beim Deutschen Krimipreis 2003 für Heinrich Steinfest geht völlig in Ordnung. Für Originalität, für sprachliche Brillanz, für eine sympathische und angenehm eigensinnige Hauptfigur, für einen kuriosen Plot, für das wie beiläufig wirkende Umgehen des üblichen whodunit und für viele, viele fein und liebevoll gearbeitete Nebenfiguren, deren literarische Existenz ihrem Schöpfer so wichtig zu sein scheint, dass er ihnen allen weit mehr als nur eine billige Rolle und Funktion gibt.

Titelbild

Heinrich Steinfest: Ein sturer Hund. Roman.
Piper Verlag, München 2004.
314 Seiten, 8,90 EUR.
ISBN-10: 3492238327

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