Was ist Faschismus?

Ergebnisse einer kontroversen Faschismusdiskussion

Von Hanna ChristiansenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hanna Christiansen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Welche Länder und Regimes sind oder waren faschistisch? Welchen Erkenntnisgewinn bringt ein umfassender Faschismusbegriff mit sich? Und wäre ein solcher tatsächlich den Totalitarismustheorien überlegen?

Laut Wolfgang Wippermann ist der Faschismus vom italienischen Realtypus her und damit phänomenologisch zu bestimmen. Dieser zeichne sich aus durch eine hierarchische Ordnung nach dem Führerprinzip, durch das Verfügen über uniformierte, bewaffnete Abteilungen, durch Massenkundgebungen und -aufmärsche zur Feier des neuen politischen Stils, der insbesondere den jugendlich-männlichen Charakter betone und Gewalt in den Mittelpunkt rücke. Kern der faschistischen Ideologie sei aber der Rassismus gewesen.

Der Band, ",Faschismus' - kontrovers", gibt die in der Zeitschrift "Erwägung Wissen Ethik" von 16 in- und ausländischen Wissenschaftlern geführte Debatte um Wolfgang Wippermanns generischen Faschismusbegriff wieder - erweitert um eine Einleitung zur Geschichte und Theoriegeschichte des Faschismus und die Fortsetzung der Debatte in Form von Repliken. Reizvoll daran ist die jeweilige fachspezifische Herangehensweise der Diskutierenden, gibt es doch zwischen sozial- (Politologie und Soziologie) und geisteswissenschaftlichen (Philosophie und Geschichte) Forschungsansätzen und -schwerpunkten anscheinend erhebliche Unterschiede. Bei aller Diskrepanz scheint es allerdings bei der Ausgangsfrage Wippermanns "Hat es Faschismus überhaupt gegeben?" keinerlei Streitigkeiten zu geben, stimmen dieser wohl auch eher rhetorischen Frage alle Beteiligten doch schnell zu. Polarisierend dagegen ist die methodische Bestimmung des Faschismusbegriffs und die daraus folgenden Zuschreibungen für verschiedene vergangene Systeme und aktuelle politische Gruppierungen.

Diese definitorische Bestimmung wird dann auch von den nachfolgenden Kritiken ins Zentrum gerückt. Zu Recht fragen Roger Griffin und Stanley Payne, inwiefern sich der faschistische Realtypus von einem Idealtypus unterscheide, sind doch Wippermanns Vergleiche faschistischer Regimes und Bewegungen (z. B. des faschistischen Italiens mit Deutschland, der belgischen Vlaamsch Nationaal Verband, der Danmarks Nationalsocialistike Arbejder Partei, den ungarischen Pfeilkreuzlern, der rumänischen Eisernen Garde, sowie einigen anderen) de facto idealtypische, indem er vor dem Hintergrund des italienischen Faschismus Übereinstimmungen und Differenzen zwischen ihnen herausarbeitet. Weiter sei der impliziten Reduktion Wippermanns von Rassismus auf Antisemitismus energisch zu widersprechen. Karin Priester betont, dass der Rassismus die gängige imperialistische Praxis nicht nur der italienischen Truppen in Afrika war, und dass der Antisemitismus für das faschistische Italien seit 1922 keineswegs konstitutiven Charakter hatte, wurden Rassengesetze dort doch erst 1938 und auf zunehmenden Druck Deutschlands eingeführt. Diese und andere Unschärfen erschweren es, den generischen Faschismus-Begriff als methodisches Instrument zu verwenden, insbesondere weil so nicht präzise bestimmt werden kann, welche Kriterien unabdingbar für die Klassifikation als faschistisch gegeben sein müssen und welche nicht. Sowohl Kühnl wie auch Priester kritisieren beispielsweise die Ausklammerung des aggressiven Antimarxismus, der von Beginn an Programm der Nationalsozialisten war; Fritzsche erkennt dem Faschismus zudem grundlegend revolutionäre und moderne Züge zu ("biologische Erneuerung des Volkskörpers"), welche sich auch in Griffins Palingenesis-Begriff wiederfinden; und Kraushaar sieht die Gefahr der Verharmlosung, die ein generischer Faschismusbegriff mit sich bringt, nivelliere ein solcher doch qualitative Differenzen zwischen dem exterministisch-antisemitischen deutschen System auf der einen und dem italienischen auf der anderen Seite.

Darüber hinaus diskutieren die Beiträger und Beiträgerinnen des Bandes, inwiefern Faschismustheorien den von Wippermann abgelehnten Totalitarismustheorien überlegen seien oder nicht; ob es heute noch faschistische Systeme und Gruppierungen oder doch "nur" rechtsextreme gäbe und ob die Verselbständigung der Exekutive zur Erklärung struktureller Voraussetzungen des Faschismus hinreichend oder ergänzungsbedürftig sei.

Äußerst produktiv ist die abschließende Stellungnahme zu der Diskussion von Klaus Holz und Jan Weyand. Sie greifen die verschiedenen Kritikpunkte auf und zeigen anhand erster Beispiele die Ergiebigkeit einer semantischen Faschismusanalyse auf. Mit Hilfe dieser gelingt es ihnen, die scheinbar unüberwindbaren Widersprüche zum Teil aufzulösen und miteinander in Beziehung zu setzen. Dabei legt die semantische Analyse zusehends die Verbindungen zwischen Nationalismus, Rassismus, Antimarxismus, Antisemitismus und nationalsozialistischer Ideologie frei, die Reichweite eines umfassenden, methodisch fundierten Faschismusbegriffs beginnt sich zu entfalten und weist zugleich auf noch zu leistende Forschungsarbeit voraus. Insofern haben die Herausgeber ihr Ziel erreicht, nämlich eine konstruktive Diskussion anzustoßen, verschiedene Perspektiven aufzuweisen, zu erwägen und in ihrer Unterschiedlichkeit zu verhandeln. Auf diese Weise ist eine neue Basis für nachfolgende wissenschaftlich Arbeiten zum Faschismus entstanden und insgesamt wurde ein Schritt in Richtung eines umfassenden, methodisch fundierten Faschismusbegriffs getan.

Titelbild

Werner Loh / Wolfgang Wippermann (Hg.): Faschismus kontrovers.
Lucius und Lucius Verlag, Stuttgart 2003.
256 Seiten, 29,00 EUR.
ISBN-10: 3828202381

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