"Ich kann und kann nicht verstehen..."

"Das dicht besetzte Leben" ist die eher dünne Sammlung von Briefen zwischen Christa Wolf und Anna Seghers

Von Hannelore PiehlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Hannelore Piehler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Interviewtermin im Jahr 1959: Eine Literaturredakteurin spricht mit der bekannten Autorin Anna Seghers über deren neues Buch "Die Entscheidung". Das Gespräch ist etwas hölzern, die Fragen der jungen "ndl"-Redakteurin ein wenig unbeholfen. Wenige Jahre später ist die junge Redakteurin Christa Wolf selbst eine bekannte Autorin. Und die beiden Frauen verbindet eine herzliche Freundschaft, trotz oder vielleicht auch wegen ihrer Differenzen. Dokumentiert wird die Beziehung der beiden Vorzeige-Schriftstellerinnen der DDR nun in einem Taschenbuch, das die Lektorin Angela Drescher herausgegeben hat. "Das dicht besetzte Leben" versammelt Briefe, Gespräche und Essays der zwei Autorinnen.

Nicht nur die Zugehörigkeit zu verschiedenen Generationen unterscheidet die beiden. Während Anna Seghers zu den Autoren zählt, die nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Exil bewusst in die DDR zurück gingen, um dort einen sozialistischen Staat aufzubauen, hat Christa Wolf das "Dritte Reich" als sehr junges Mädchen erlebt, durchaus verführbar durch die NS-Propaganda. Vor allem aber trennt sie ihr Schreib-Programm. "Was erzählbar ist, ist überwunden" - diesen Satz Anna Seghers' zitiert Christa Wolf in ihren Essays über die ältere Kollegin gleich mehrfach. Und beharrt doch auf ihrer eigenen - entgegengesetzten - Erfahrung, nämlich "erzählen zu müssen, um zu überwinden".

Dünnhäutig reagiert Wolf im Lauf ihrer Karriere auf Kritik an ihren Werken oder die Konfrontation mit der starren Partei-Doktrin. Anna Seghers hingegen empfiehlt der jungen Autorin, als sie mit ihrem Manuskript "Nachdenken über Christa T." in die Mühlen der DDR-Zensur gerät, lapidar: "Du darfst Dich nicht krank fühlen. Diese Gefühle mußt Du, so gut Du kannst, abschütteln." Und wenig später schreibt sie ihr: "Ich kann und kann nicht verstehen, warum Du, was man über Deine Arbeit sagt, immer so schrecklich wichtig nimmst. Das heißt, wichtig ist nicht das richtige Wort. Es ist schon gut, in der richtigen Art auf andere zu hören. Du aber, sei mir nicht bös, läßt es Dir ins Herz gehen. Meistens ist es für den Kopf gedacht, was man sagt."

Dieses Muster wiederholt sich: Beim elften Plenum, bei dem Christa Wolf sich öffentlich gegen die Angriffe der SED-Führung auf die progressiven Künstler der DDR wehrt, tröstet Anna Seghers die Kollegin und wirbt für Geduld mit der Partei. Nach der Biermann-Ausbürgerung, gegen die Christa Wolf mit anderen Intellektuellen protestiert, zeigt Seghers Unverständnis für die "radikale" Reaktion der Jüngeren. "Wir hätten", gibt Wolf Seghers Äußerungen wieder, "diesen Protest nicht einer westlichen Agentur übergeben dürfen, wir wüßten wohl gar nicht, was wir da angerichtet hätten." Da sprach die Präsidentin des Schriftstellerverbandes der DDR aus Anna Seghers. Christa Wolf erinnert sich in ihrem Essay zum 100. Geburtstag ihrer Kollegin weiter: "Beim Abschied sagte sie noch, ich solle doch bloß zu ihrem Geburtstag kommen, der wenige Tage später war, ich solle sie doch nicht mit diesen ganzen Schranzen allein lassen. Sie umarmte mich." Und Christa Wolf kam zum Geburtstag.

Dem spannungsreichen Verhältnis zum Trotz ist der Briefwechsel zwischen Christa Wolf und Anna Seghers, der hier erstmals veröffentlicht wird, dennoch eher unergiebig. Umfasst er zeitlich die große Spanne von 22 Jahren (1960 bis zum Tod von Anna Seghers 1982), so kommt er quantitativ gerade mal auf 50 Seiten Umfang. Vor allem aber bietet er inhaltlich, ganz im Gegensatz beispielsweise zu Wolfs Korrespondenzen mit Franz Fühmann oder Brigitte Reimann, nur wenige wirklich interessante Anekdoten oder Gedanken. Es überwiegen knappe, offenbar zwischen Telefonaten oder Treffen ausgetauschte Informationen zum jeweiligen Gesundheitszustand oder zu Manuskript-Arbeiten, kurze Geburtstags- oder Neujahrsgrüße oder auch gegenseitiges Sich-Mut-Machen. Allenfalls die Eindrücke von Anna Seghers bei der Lektüre von "Nachdenken über Christa T." oder ihr Glückwunsch-Brief zu Wolfs 50. Geburtstag - zu heiklen Fragen immer wieder ansetzend, aber sie nie aussprechend, wie Wolf amüsiert feststellt - fesseln. Anrührend erscheint hingegen die langsame Annäherung der beiden Frauen, vom ersten schüchternen Brief Wolfs an die "liebe Genossin Anna Seghers" bis zum herzlichen "Deine Netty (Anna)" der Seghers, die ja bürgerlich Netty Reiling hieß.

Die "Gespräche und Essays", die die zweite Hälfte des Bandes umfassen, sind für Wolf-Kenner altbekannt. Bis auf einen sehr kurzen, wenig aufschlussreichen Beitrag Wolfs zum 75. Geburtstag von Anna Seghers, sind alle Texte längst publiziert. Darüber hinaus liest sich diese Textsammlung natürlich einseitig - schließlich finden sich darin nur Essays von Wolf über ihre Kollegin, aber, abgesehen von den Briefen, keine Seghers-Materialien. Vor allem aber sind die Texte Wolfs unvollständig. "Anmerkungen zu Geschichten" (1970) und "Zeitschichten" (1983), beides Beiträge aus "Die Dimension des Autors", fehlen unverständlicherweise. Eine Begründung hierfür hat die Herausgeberin nicht für nötig befunden, ebenso wenig wie ein Vor- bzw. Nachwort. Angela Drescher will die Zeilen Wolfs über Anna Seghers offenbar für sich sprechen lassen. Die freilich sind nach wie vor lesenswert, zeigen sie doch ihre langsame und respektvolle Annäherung an ihre ältere Kollegin sowie ihre ganz persönliche Lesart der Bücher von Anna Seghers.

Dennoch bleibt das Fazit eher zwiespältig: "Das dicht besetzte Leben" ist wohl nur für echte "Fans" oder Literaturwissenschaftler empfehlenswert.

Titelbild

Angela Drescher (Hg.): Christa Wolf - Anna Seghers. Das dicht besetzte Leben. Briefe, Gespräche und Essays.
Aufbau Taschenbuch Verlag, Berlin 2003.
236 Seiten, 7,95 EUR.
ISBN-10: 3746614244

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