Nicht zu hoch gestimmt

Ein Gedenkband zu Malwida von Meysenbugs zum 100. Todestag

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Eine Oktave tiefer", mahnte Christine Brückner nicht ganz zu Unrecht das "Fräulein von Meisenbug" in ihrer Sammlung "ungehaltene[r] Reden ungehaltener" Frauen und bat die 1903 verstorbene Verfasserin der "Memoiren einer Idealistin", nicht immer "mit Pedal" zu spielen.

An dem anlässlich des 100. Todestages der mütterlichen Nietzsche-Freundin erschienenen Sammelband der Malwida von Meysenbug-Gesellschaft, lässt sich eine zu hochgestimmte Tonart nicht monieren. Vielmehr unternehmen es die Essays und Aufsätze, der nicht nur an einen engeren Kreis wissenschaftlicher Rezipienten, sondern ebenso sehr an ein breites Publikum gerichteten Festschrift, den "Facettenreichtum der Themen und Forschungsansätze" vorzustellen, ohne sich dabei auch nur in irgend einer Weise hagiographischer Neigungen schuldig zu machen.

Ruth Stummann-Bowert, zusammen mit Vera Leuschner, Herausgeberin des vorliegenden Bandes, erweist sich mit nicht weniger als fünf Beiträgen nicht nur als eifrigste Verfasserin, sondern liefert mit ihrem Aufsatz zu Malwida von Meisenbugs Verhältnis zum "[p]ersönliche[n] und politisch[en] Kampf um die Gleichberechtigung der Frau" auch einen der lesenswertesten Texte der Festschrift. "Bei flüchtiger Lektüre", so stellt Stummann-Bowert fest, scheine Malwida von Meysenbug der nach 1850 einsetzenden "konservativen Lobby" nahe zu stehen, "die mit Frontstellung gegen Frauenemanzipation, Frauenbildung und insbesondere gegen die überwundene Gefahr der Demokratiebewegung von 1848 und die Deutschkatholiken polemisiert". Eine genauere Lektüre rückt jedoch die zahlreichen emanzipatorischen Momente im Werk Meysenbugs in den Blick. So zitiert Stummann-Bowert etwa aus deren weithin unbekannter Schrift "Die Reise nach Ostende" die Forderung, "dass von vornherein der Mensch, d. i. das zu entwickelnde Bewusstsein in uns mehr berücksichtigt werde, als das Weib, d. h. das wie in dem gewöhnlichen Sinne: seine Begrenzung von Frau und Mutter".

Während Stummann-Bowert in einem weiteren Beitrag die zwar im Schatten des Wohngemeinschaftsprojektes von Paul Rée, Friedrich Nietzsche und Lou-Andreas-Salomé stehende, im Unterschied zu dieser allerdings realisierte Wohngemeinschaft zwischen wiederum Friedrich Nietzsche und Paul Rée, diesmal aber ergänzt um Malwida von Meysenbug und Albert Brenner beleuchtet, widmen sich Karl-Hermann Wegner "Malwidas Vater" und Vera Leuschner Meysenbugs Verhältnis zur bildenden Kunst. Annegret Tegtmeier-Breit spürt den Korrespondenzen Meysenbugs nach und Sabine Arndt bläst den Staub von deren Nachlass im "Weimarer Goethe- und Schiller-Archiv".

Debbie Pinfold wendet sich hingegen einer antiken Figur zu, von der Meysenbug sagte, sie sei der "ideale Mensch, der illegal handelt" und der "allen Gefahren Trotz bietet". Die Rede ist von Antigone. Pinfold zufolge hat Meysenbug sie nicht nur hoch geschätzt, sondern sich mit ihr identifiziert und sich selbst als "gescheiterte Antigone" dargestellt. Das mag wohl so sein. Dass Antigone jedoch nicht einfach als "Inbegriff der Schwesterlichkeit" gelten kann, wie die Autorin meint, hat die Gender-Theoretikerin Judith Butler unlängst gezeigt, indem sie auf die komplexe Verworrenheit der Verwandtschaftsbeziehungen in Sophokles' Stück aufmerksam machte. (Vgl. literaturkritik.de 10/2001)

Ergänzt werden die Originalbeiträge der Festschrift durch Auszüge aus einigen historischen Dokumenten, so etwa aus Romain Rollands "Hommage an Malwida von Meysenbug" sowie durch zahlreiche Abschnitte aus den "Memoiren" der Geehrten.

Titelbild

Vera Leuschner / Ruth Stummann-Bowert (Hg.): Malwida von Meysenbug zum 100. Todestag.
Winfried Jenior Verlag, Kassel 2003.
286 Seiten, 15,00 EUR.
ISBN-10: 3934377688

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