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Ken Wilber versucht sich in "Das Wahre, Schöne, Gute" an einer Synthese

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer sich heute mit Wissenschaft und Philosophie beschäftigt, sieht sich rasch in Widersprüche verstrickt. Dutzende von Denkschulen bekämpfen sich, eine behauptet meist das Gegenteil der anderen. Hat nun die Psychoanalyse Recht oder die Soziologie? Die Biologie oder die Physik? Der Konstruktivismus oder doch der Dekonstruktivismus?

Wer da das Bedürfnis nach Integration und Harmonie verspürt, dem kann geholfen werden: Ken Wilber, geboren 1949, hat bereits in über einem Dutzend dicker Bücher eine große Synthese, eine "integrale Sicht" versucht. Schon in seinem Erstling "Das Spektrum des Bewusstseins" (1977) brachte er die verschiedenen psychologischen Richtungen und Therapieformen unter einen Hut. Vor drei Jahren trumpfte er mit "Kosmos, Eros, Logos", seinem Opus magnum, auf, der "Vision für das neue Jahrtausend". Im Unterschied zu seinen früheren Büchern kein billiges Taschenbuch einer obskuren Esoterik-Reihe, sondern ein gewichtiges Hardcover, das bereits äußerlich Wilbers Anspruch verkündet: In ihm soll sich gegenwärtig die Spitze der Philosophie verkörpern, Hegels Weltgeist sozusagen. Jetzt versucht er sich mit "Das Wahre, Schöne, Gute" an einer eigenen Ästhetik - ein müder Wiederaufguß seines Hauptwerkes.

Wilber geht davon aus, dass alle Denkschulen Recht haben. Aber jede nur in ihrem Teilbereich. Die Schulen widersprechen sich nicht, sie ergänzen einander. Wilbers Arbeit besteht im Entwurf eines holistischen Universums, dem Zeichnen von Landkarten und dem Ziehen von Grenzen verschiedener Geltungsansprüche, wobei er sich vor allem auf Habermas beruft. Was der von seinem eigenwilligen Fan hält, ist leider unbekannt. Wilber vereinigt alles mit allem: die modernen System- und Evolutionstheorien, Strukturalismus und Hermeneutik, Mystik, kognitive Entwicklungspsychologie und Psychoanalyse, Feminismus und Mythentheorien, Buddhismus und Idealismus. Freilich, wer wie Wilber im Großen denkt, muss dafür Widersprüche im Detail in Kauf nehmen.

"Nicht die Mächte der Finsternis, sondern die der Seichtheit bedrohen das Wahre, das Gute und das Schöne und stellen sich als tief und profund dar. Diese frisch-fröhliche Seichtheit ist allenthalben die Gefahr unserer Zeit und will sich uns als Heiland verkaufen." So löblich seine Versuche einer Zusammenschau sind, so erzwungen scheinen sie oftmals. Freilich läßt sich, sieht man nur oberflächlich genug hin, alles mit allem kombinieren. Würde Wilber aber nur einen einzigen der Denker, denen er einen Platz in seiner "integralen Theorie" zuweist, genau betrachten, stürzte alles zusammen. Noch schlimmer ist, dass Wilber, der den Wunsch der Romantiker nach Individualität als "unreif" bezeichnet, in einer so unpersönlichen Prosa schreibt, dass sich eher ein Computer als Urheber vermuten lässt. Was wiederum erklären würde, wieso er Jahr für Jahr einen 500-Seiten-Wälzer vorlegen kann. Dazu die ständige Berufung auf das Gute, Wahre und Schöne - man möchte mit dem Pfefferstreuer über die Seiten gehen. So hinterlässt Wilbers tour de force am Ende eine Menge toter Erde - alles, von Meister Eckhart bis Luhmann, hat seinen - banal scheinenden - Platz bekommen. Die viel beschworene Mystik kann einem nur noch ein Gähnen hervorlocken. Wer wie Wilber die "nonduale" höchste Mystikebene erreicht hat und solche Prosa schreibt, schreckt ab. Dabei verbirgt sich die Mystik gerade im Unvereinbaren, in den sich widersprechenden Wahrheiten, im Paradox. Ein Bild von M. C. Escher, Wittgensteins "Tractatus", ein Zen-Koan. Weniger ist mehr.

Titelbild

Ken Wilber: Das Wahre, Schöne, Gute. Geist und Kultur im 3. Jahrtausend.
Krüger Verlag, Frankfurt 1999.
608 Seiten, 29,70 EUR.
ISBN-10: 3810523305

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