Künstlichkeit und Zerstörung

Thomas Bernhard zum 15. Todestag

Von André SchwarzRSS-Newsfeed neuer Artikel von André Schwarz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Sich der Person Thomas Bernhard zu nähern ist nicht einfach, wenn nicht gar unmöglich. Zu sehr treffen bei ihm Dichtung und Wahrheit aufeinander, verzahnen sich. So schwierig es ist, sich der Person zu nähern, so schwierig ist es auch, sich ihr gegenüber neutral zu verhalten. Bernhard scheint entweder Zustimmung oder Ablehnung zu erfahren, etwas Anderes, etwas Dazwischenliegendes scheint es nicht zu geben. Deutlich wurde das etwa an Christa Fleischmanns Filmaufnahmen aus dem Burgtheater, kurz nach der Uraufführung seines letzten Stückes "Heldenplatz" im Jahr 1989. Der Dichter stand zu ersten Mal nach einer Premiere mit auf der Bühne, Claus Peymann hatte ihn geholt. Im Zuschauerraum prallten die Welten aufeinander, auf der einen Seite Bernhardenthusiasten, die dem Meister zujubelten, was dieser auch offensichtlich genoss. Auf der anderen Seite dagegen die Leute aus der Wiener Gesellschaft, der "Gesellschaftshölle", die sich bereits im Vorfeld - oft in offensichtlicher Unkenntnis des Textes - über das Stück maßlos ereiferten.

So zieht sich bis in die Forschung hinein die Front zwischen Bernhard-Jüngern, die sich in ihrer finstersten Ausprägung an Bernhardesken Sprachkaskaden versuchen, und Bernhard-Vernichtern, die ihn schlichtweg und pauschal für wahnsinnig erklären. Dass diese Polarisierung von Bernhard selbst gefördert wurde, spricht nicht gegen, sondern eher für ihn. Der "Künstlichkeit" der ihn umgebenden Welt den Spiegel vorzuhalten war sein erklärtes Ziel. Mit teilweise schamlosen Übertreibungen erreichte er dies nachhaltig: "Meine Übertreibungskunst habe ich so weit geschult, daß ich mich ohne weiteres den größten Übertreibungskünstler, der mir bekannt ist, nennen kann", so Bernhard. Mittels dieser Übertreibungskunst stilisierte er sich auch zum bodenständigen Landwirt, Besitzer mehrerer Bauernhöfe in Oberösterreich, der den Kaufvertrag seines Hauses mit der grandiosen Berufsbezeichnung "Landwirt und moderner Klassiker" zu einem Kleinod seines Genres machte. Diese Stilisierung birgt allerdings die Gefahr, ihn schlichtweg zu verkennen, ihn als knorrigen Grantler, als "Unterganghofer" zu sehen. Manche skurrile Neigung hatte er zweifellos. Doch lassen sich der Welthass, die Verachtung und Misanthropie immer mit einem Augenzwinkern betrachten. Die Komik ist in seinem Werk nie ganz absent, in einem Interview meinte er einmal lapidar, seine "Bücher wären doch zum totlachen"; er finde sie auf jeden Fall komisch.

Dem Phänomen Bernhard hat sich unlängst auch Gitta Honegger auf problematische Weise genähert. Ihre Biografie "Thomas Bernhard. ,Was ist das für ein Narr ?'", jüngst bei Propyläen veröffentlicht, erschien bereits 2001 unter dem Titel "The Making of an Austrian" und wurde von der Autorin selbst ins Deutsche übertragen. Der Klappentext preist die Biografie als "wegweisend" an, und die Autorin gilt dem Verlag als "Bernhard-Expertin". Dem Buch merkt man das keineswegs an. "The fool on the hill" ist schon eine grandiose Kapitelbezeichnung, damit fängt es bereits an. Anekdoten reihen sich an Anekdoten, von einem tragfähigen Aufbau findet sich nur eine geringe Spur. Spätestens nach der Hälfte hat man genug von den Plattitüden: "Die verstörend hässliche Sicht des menschlichen Körpers in Bernhards Werk steht in auffälligem Gegensatz zu seiner persönlichen Erscheinung. Er perfektionierte die salopp gepflegte Eleganz, die den geborenen Aristokraten von der angestrengten Perfektion des Möchtegerns unterscheidet". Den Satz könnte man ebenso in der "Gala" oder der "Bunten" finden. In diesem Stil geht es weiter, bis sich der Leser bis zum Epilog durchgeschlagen hat. Darin findet man unter dem nett bei Schopenhauer abgekupferten Titel "Das Testament als Wille und Vorstellung" einige Behauptungen, die dem Ganzen eine nicht zu leugnende Brisanz geben: Bernhard habe zwei Tage vor seinem Tod im Beisein seines Bruders sein Testament geändert und diesen als Alleinerben sowie - gemeinsam mit Unseld - zum Testamentsvollstrecker bestimmt. Ferner sei die Testamentsänderung Teil eines "Selbstmordplanes", Peter Fabjan, Bernhards Halbbruder, habe ihm "das Sterben erleichtert". Diese Behauptungen - die übrigens neben dem bemerkenswerten Hinweis stehen, dass er an seinem Todestag mit einer leibhaftigen "Gräfin" telefoniert hatte - rief eine Gegendarstellung Fabjans hervor. In einem Brief an die Mitglieder der Internationalen Thomas Bernhard-Gesellschaft widersprach er diesen "Tatsachen"-Behauptungen und gab "für diejenigen unter ihnen, denen es [das Buch, Anmerkung A. S.] in die Hände gefallen ist", eine Klarstellung ab: "Jedes Gespräch darüber mit mir wurde von der Autorin offensichtlich absichtlich vermieden, um der Fama und Spekulation freie Bahn zu lassen", so Fabjan. Was Dichtung und was Wahrheit ist, mögen andere entscheiden, doch wirft dieser Streit ein bezeichnendes Licht auf die Biografie.

Von einer ganz anderen Qualität ist dagegen die Thomas Bernhard-Werkausgabe bei Suhrkamp. Drei Bände sind mittlerweile erschienen, die ersten beiden enthalten die Romane "Frost" und "Verstörung", der dritte - vierzehnter Band der Ausgabe - versammelt die Kurzprosa. Dieser ist auch der interessanteste, enthält er doch einige bislang nur schwer zugängliche Texte wie die "Beruhigung" oder den schönen "Zeit"-Beitrag "Goethe schtirbt". In einer letzten Abteilung werden die frühen Erzählungen aus den 50er Jahren versammelt. Genauso erhellend ist der ausführliche Kommentar mit zwar kurzen, aber sehr informativen Anmerkungen zur Publikationsgeschichte, Textgenese und Rezeption der Kurzprosa. Ergänzt wird der Anhang durch einige faksimilierte Seiten, die den Arbeitsprozess Bernhards an seinen Texten darstellen. Besonders bei den ersten beiden Bänden zeigt sich da, dass Bernhard kontinuierlich und unermüdlich an den Texten feilte, bis er selbst einigermaßen zufrieden war. Dadurch versteht es der Kommentar, mit dem von Bernhard selbst verbreiteten Mythos aufzuräumen, er habe seine Werke in "unermüdlicher Geistesarbeit" in "einem Stück" heruntergeschrieben.

Das einzige, was an der verdienstvollen, von Hans Höller, Martin Huber und Manfred Mittermayer herausgegebenen Ausgabe obskur erscheint, ist der kleine, aber kaum zu übersehende Vermerk auf der letzten Seite, dass die Ausgabe von "der Republik Österreich, Bundeskanzleramt" gefördert wurde. Die selben, die Bernhard zu Lebzeiten als elenden "Nestbeschmutzer" ansahen und sein Werk am liebsten verboten hätten, spielen sich nun als Bewahrer des Bernhard´schen Werkes auf. Aus dem Nestbeschmutzer wird ein Hofdichter; eine Entwicklung, die nicht nur in Österreich, aber gerade dort offenbar die übliche ist.

So zeigt sich - um mit Bernhard zu sprechen - die "Verkommenheit" des Staates, der angetreten ist zu vereinnahmen, was sich nicht vereinnahmen lässt. Vereinnahmen soll und kann man Bernhard nicht, verkennen kann man ihn aber schon.

So zeigt sich aber auch, dass Bernhards Werk 15 Jahre nach seinem Tod nichts von seiner Aktualität eingebüßt hat und heute noch der "Künstlichkeit" den wohlverdienten Spiegel vorhält.

Titelbild

Gitta Honegger: Thomas Bernhard. Was ist das für ein Narr?
Propyläen Verlag, Berlin 2002.
455 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-10: 354907168X

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Thomas Bernhard: Frost. Werke in 22 Bänden. Band 1.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2003.
380 Seiten, 34,90 EUR.
ISBN-10: 3518415018

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Titelbild

Thomas Bernhard: Kurzprosa. Werke in 22 Bänden. Band 14.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2003.
320 Seiten, 32,90 EUR.
ISBN-10: 351841514X

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Titelbild

Thomas Bernhard: Verstörung. Werke in 22 Bänden. Band 2.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2003.
250 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-10: 3518415026

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