Schwindelanfall im Medienwandel
Ein Herausgeberband zu August Strindbergs und den Medien
Von Julia-Charlotte Brauch
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDie Strindberg-Forschung der vergangen Jahre hat sich mühsam von der Patina einer naiv biographischen Lesart befreit. Sie entlarvten Strindberg als notorischen Selbstinszenator und zeigte ihn so, wie er sich selbst nie wahrhaben wollte: Strindberg als Mensch seiner Zeit, geprägt von den verschiedensten Diskursen, strauchelnd mit den vielen Problemen, die der Umbruch der Epoche für alle mit sich brachte und sich auf unterschiedlichste Weise in den Zeugnissen der Geschichte wiederspiegelt. Der jüngste Herausgeberband zu Strindberg knüpft an dieser Stelle an: Der Autor stellt sich in seinen autobiographischen Schriften gerne als selbstbewusster Könner dar, nicht nur im Umgang mit der Literatur, sondern auch auf den Gebieten der Naturwissenschaften, der Psychiatrie, der Malerei und der Photographie. Verschiedene Wissenschaftler beleuchten Strindberg im Kontext dieser Gebiete und kommen zu teilweise erstaunlichen Ergebnissen.
Der Band "August Strindberg - Der Dichter und die Medien" entstand im Zusammenhang einer Tagung an der Universität Greifswald im Jahr 1999, die weitere Essays anregte. Alle Autoren operieren dabei im Spannungsfeld von Kunst und Wissenschaft. Genau das ist die Stärke dieses Bandes. Über Exkurse in fachfremde Gebiete, auf denen Literaturwissenschaftler sonst bestenfalls wildern, bietet er einen breiten Ausblick zu Strindbergs Umgang mit den Medien. Viele der Aufsätze sind erste Schritte auf weitgehend unbekannten Feldern, und so verstehen sie sich denn explizit als Aufforderung zum Weiterforschen.
Sehr erhellend sind die Essays von Thomas Götselius und Ulf Olsson, die die Entmystifizierung des Wahnsinns-Topos' bei Strindberg vorantreiben. Götselius ordnet den Wahnsinn in den zeitgeschichtlichen Zusammenhang ein und nimmt damit Strindberg die Aura des wahnsinnigen, weil unverstandenen Genies. Den Grund von Strindbergs Krise sieht Götselius in der Relativierung der Schrift als nur einem Darstellungsmodus von Wirklichkeit, verursacht durch den Aufstieg anderer Medien, vor allem der Photographie, die den Anspruch erhob, Realität vollständig speichern zu können. Strindberg also als Bruder des kantkriselnden Kleist? Ähnlich erklärt Olsson die Wahnsinnsbehauptungen bei Strindberg aus dem Aufstieg der Psychiatrie zum damals dominierenden Diskurs, in dem der Schriftsteller lediglich als ein besonders sensibler Seismograph einer Volkskrankheit erscheint.
Die Essays, die sich mit dem gegenseitigen Einfluss von Photographie und Schrift bei Strindberg befassen, machen etliche existierende Stereotype der Forschung nichtig, zum Beispiel die immer wieder behauptete Affinität Strindbergs zum Film. So wird Strindberg als ein Autor gezeigt, der die Photographie als ernsthaftes Experimentierfeld wahrnahm, was zu einem Synergieeffekt auf beiden Gebieten führte. Stephan Michael Schröder erklärt in Anlehnung an Bernd Stieglers Rekonstruktion einer Strindberg'schen Theorie der Photographie, warum Strindberg sich vielmehr für das einzelne, unbewegte Lichtbild denn für den Film interessierte. Wo der Schriftsteller dem heutigen Film mit seinen vielfältigen technischen Möglichkeiten dennoch mit dem gesprochenen oder geschriebenen Wort vorausgreift, zeigen Thomas Fechner-Smarsly und Vreni Hockenjos in Aufsätzen über Suggestion und Projektion mittels der Laterna Magica sowie über die visuelle Wahrnehmung vor allem in den späten Dramen "Nach Damaskus" und "Ein Traumspiel". Weitere Autoren sind Wolfgang Behschnitt, Erik Gloßmann, Sophie Grimal, András Masát, Grischka Petri, Michael Astroh und Egil Törnqvist.
In der Zusammenschau der verschiedenen Ausführungen deutet der Band Strindbergs Umgang mit den Medien als den Versuch, auch jenseits des geschriebenen Wortes den Dingen radikal auf den Grund zu gehen, Wahrheiten zu enthüllen und gewohnte Sehweisen zu brechen. Dabei übt die Verunsicherung, hervorgerufen durch die Konkurrenz verschiedener Medien, einen großen, bislang unbeachteten Einfluss auf den Künstler Strindberg aus, nicht nur auf den Schriftsteller. Diese allgemeine, zeitbedingte Verunsicherung erklärt nebenbei viele Unstimmigkeiten in Strindbergs Leben und Werk, die oftmals einfach deshalb so abstrus erscheinen, weil sie überhaupt wahrgenommen, weitergedacht, hinterfragt und verschriftlicht werden - ein Punkt, den die biographische Lesart völlig ignorierte. Getrübt wird diese Aufsatzsammlung von unnötig vielen Tipfehlern und durch die Tatsache, dass lediglich ein Autor seinen Essay mit einer Bibliographie versah.
Nun wünschte man sich nachfolgende Arbeiten, die diese Ergebnisse ausbauen und weiter auf das literarische Werk anwenden. Ganz besonders interessant zu erfahren wäre es, wie sich die Ergebnisse auf die praktische Kulturarbeit auf der Bühne und im Film auswirken können. Wie lässt sich die Spannung zwischen bestimmten Medien in Strindbergs Stücken mit den heutigen technischen Möglichkeiten des Theaters umsetzen? Dazu bräuchte es wieder mehr Strindberg auf den Spielplänen...