Vielleicht lachte auch nur sein Husten

Lieblingsstellen in Friedrich Anis Roman "Gottes Tochter"

Von Doris BetzlRSS-Newsfeed neuer Artikel von Doris Betzl

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Wie immer bin ich der Wirklichkeit für ihre nützliche Präsenz dankbar, meine Figuren aber existieren in ihrer eigenen Welt, sie sind Zimmerlinge, hinter den Wänden, die sie umgeben, vermuten sie das Glück." Das schreibt der Autor in seinen Anmerkungen, und in diesen Zeilen findet sich, was seine Romane auszeichnet. Friedrich Anis aktueller Roman "Gottes Tochter" hat wieder den spröden Münchener Hauptkommissar Tabor Süden zum Protagonisten. Die jüngsten 400 Seiten sind einmal mehr Zeugnis von Anis Gabe der genauen Beobachtung: Der Transport von Alltagsdetails in die fiktive Geschichte macht selbige glaubwürdig. Ein feiner Sinn für Ironie stellt das Gegengewicht zu einer wehmütigen, unbestimmten Sehnsucht, die diesen Roman, weniger Krimi als die früheren, mehr als die anderen durchzieht.

Es geht um Tabor Süden, der sich der vermissten Julika wegen mit Polizistenkollegen in den neuen Bundesländern auseinandersetzt. Es geht um die 18-jährige Julika, die niemand versteht, ihre Eltern nicht und Rico, mit dem sie in Rostock untertaucht, eigentlich auch nicht. Es geht um den ungelösten Todesfall eines Vietnamesen beim Brand in einem Asylantenheim. Es geht um Jugendliche ohne Perspektiven, um einen Kommissar, der am Verstehenwollen verzweifelt.

Situationen, die auch gerade noch glimpflich ausgehen könnten, ziehen in diesem Roman die größtmögliche Konsequenz nach sich: Als auf einer Feier auf einem Boot Feuer ausbricht, stirbt ein Mädchen auf der Toilette. Ein Kind zeugen Rico und Julika ungewollt in ihrer ersten Liebesnacht. Rico schlägt unvermittelt einem Bekannten eine Flasche ins Gesicht - und der Mann stirbt. Schließlich dient der berühmteste aller literarischen Fälle von schlechtem Timing und tödlichem Missgeschick zum Vorbild, und zwar (und das ist ein Kunststück) in einer unaufdringlichen Selbstverständlichkeit: der finale Tod der Liebenden nach Romeo-und-Julia-Art.

Ein eremitenhaftes Ich in einer ihm unverständlichen Welt, das ist nicht nur der die Züge seines Schöpfers tragende Protagonist (das ungewöhnlich große Autorenfoto auf der Rückseite des Buchumschlags setzt ins Bild, wie man sich den ,einsamen Wolf' in den Häuserschluchten vorstellen könnte). Süden begegnet Figuren, die ähnlich verloren sind wie er selbst: ",Die müssen hier raus', sagte Gottow. ,Die haben noch eine Zukunft, die muss jetzt losgehen. Ich bleib hier und verwalte die Vergangenheit. Und Sie? Zurück in die goldene Gegenwart?' Er lachte. Vielleicht lachte auch nur sein Husten." Die Welt, die Süden und die ihm Gleichen befremdet, sieht so aus: "In das mexikanische Restaurant strömten um diese Zeit, kurz nach halb sieben Uhr abends, die Gäste, die meisten waren um die dreißig und hatten bunte Getränke in der Hand. [...] Ein groß gewachsener Mann drängte sich an Süden vorbei, an der Hand eine blonde Frau mit einer Ray-Ban-Geschwulst auf dem Kopf. An einem der Tische an der Fensterfront klopfte der Mann einem Freund, der genauso aussah wie er, überschwänglich auf die Schulter, und die Frau verabreichte einer Frau, die genauso aussah wie sie, pro Wange ein spitzes Bussi."

Figuren, die "anders ticken", die dem Leser einen fremden Blick auf die so vertraut geglaubte Umgebung ermöglichen - ihnen gilt Anis Interesse. Während im Roman "German Angst" aber Kriminalgeschichte und Münchener Milieustudie im Vordergrund stehen und in "Verzeihen" der aufgespannte Kontrast zu einer etwas grellen Täter-Opfer-Studie gerät, hat Ani in seiner jüngsten Veröffentlichung alle Facetten seines Könnens wunderbar ausbalanciert. Was diesen Roman außergewöhnlich macht, ist eine ungemein flinkfüßige Gratwanderung zwischen Nüchternheit und unbändigen Gefühlen, Hass, Verzweiflung und Liebe. Seine Figuren zitieren Hölderlin und Shakespeare, Gedichte scheinen den Zweifelnden Halt zu geben, scheinen geeignet, um zu benennen, was sie bewegt. Doch noch zauberhafter sind Szenen, die Ani selbst schafft, romantische Momente, frei von Kitsch. In zurückhaltender Sprache, mit wenigen Worten breitet er Bilder in emotional aufgeladener, fragiler Dichte vor dem Leser aus, angesichts derer man den Atem anhalten möchte.

Es ist eine Freude, auf solch kleine Sprach-Schätze zu stoßen und manche Zeile mehr als einmal zu lesen, um ihre unaufdringliche Kunstfertigkeit auszukosten. "Gottes Tochter" ist einer jener Romane, in denen der Leser Lieblingsszenen findet.

Titelbild

Friedrich Ani: Gottes Tochter. Roman.
Droemersche Verlagsanstalt, München 2003.
352 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3426196042

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