Geschenke statt Liebe
Eric-Emmanuel Schmitts "Oskar und die Dame in Rosa" ist eine spannende Geschichte für Jugendliche und ein Appell an verängstigte Eltern
Von Katja Köhne
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSeit Anfang der Neunzigerjahre ist Eric-Emmanuel Schmitt als Romancier und Dramatiker für Theater, Film und Fernsehen tätig und gehört inzwischen zu den renommiertesten Theaterautoren auf internationalen Bühnen. In Deutschland war er als Schriftsteller noch wenig bekannt. Als im Jahr 2002 sein erster Miniroman "Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran" in deutscher Übersetzung erschien, änderte sich das schlagartig. Elke Heidenreichs Lob im Fernsehen machte die überaus empfindsame und zugleich humorvolle Parabel zu einem großen Erfolg. Der Erzählung folgte in Deutschland der Roman "Oskar und die Dame in Rosa". Auch er ist nicht viel mehr als 100 Seiten lang und erzählt mit schlichter Feinheit eine glaubhafte Geschichte.
Oskar, ein zehnjähriger Junge, hat Leukämie und musste lange Zeit seines Lebens im Krankenhaus verbringen. Chemotherapie und Knochenmarktransplantation blieben erfolglos. Zufällig hört Oskar, wie sein Arzt den Eltern eröffnet, dass er nicht mehr lange leben wird. Für den Jungen ist die Tatsache, dass er sterben wird, weniger schlimm als das Verhalten der Menschen um ihn herum, besonders das seiner Eltern. Sie wissen nicht, wie sie mit ihrem Sohn umgehen sollen, und anstatt mit Gefühlen überhäufen sie ihn mit neuem Spielzeug. Niemand will mit ihm über seinen baldigen Tod sprechen - außer "Oma Rosa", eine alte Krankenschwester, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, Kinder im Krankenhaus zu besuchen. Sie nimmt ihn ernst und behandelt Oskar wie einen Erwachsenen, die Eltern nerven ihn dagegen mit ihrer gespielten Fröhlichkeit. "Oma Rosa" wird zur Vertrauensperson, mit der Oskar seine Ängste und Gedanken teilen kann.
So folgt der kleine Junge ihrem Ratschlag, sich mit seinen Sorgen an Gott zu wenden, und fängt an, ihm Briefe zu schreiben. Außerdem solle er sich jeden Tag einen anderen Abschnitt seines Lebens vorstellen: die Pubertät, die erste Liebe, Midlife-Crisis, das Altern... Am zwölften Tag verabschiedet er sich still mit den geschriebenen Worten: "Nur der liebe Gott darf mich wecken!"
Das kleine Büchlein schafft mit seinen gerade hundert Seiten eine eindrucksvolle Atmosphäre. Einfühlsam und ergreifend beschreibt der Autor die letzten Lebenstage des kleinen Oskar und mutet seinem Leser doch nie zu viel an Sentimentalitäten zu. Denn zwischen dem ganzen traurigen Geschehen kommt auch immer wieder sein Witz zum Vorschein. Die Ereignisse im Krankenhaus sind eine Art Brief-Tagebuch an Gott und geben genaue Einblicke in Oskars Gefühlswelt. Schmitt adaptiert die Sprache eines Zehnjährigen hervorragend, jedoch wird man manchmal auch erstaunt sein, zu was für klugen Gedanken ein Kind in diesem Alter imstande ist: "Machen Sie doch nicht so ein Gesicht, Doktor Düsseldorf. Hören Sie, ich will ganz offen mit Ihnen reden; ich war immer sehr gewissenhaft beim Schlucken meiner Pillen, und Sie waren immer sehr korrekt beim Behandeln meiner Krankheit. Hören Sie also auf, so schuldbewusst zu gucken. Es ist nicht Ihre Schuld, wenn Sie den Leuten schlechte Nachrichten überbringen müssen, Krankheiten mit lateinischen Namen, die nicht zu heilen sind. Sie müssen sich entspannen. Zur Ruhe kommen. Sie sind nicht Gottvater. Sie können nicht über die Natur bestimmen. Sie sind nur eine Art Mechaniker."
Die Erzählung hält für junge wie ältere Leser viele Lebensweisheiten parat, und sie ist einfach, aber dennoch geistreich, humorvoll und spannend. Wie schon in "Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran" bemüht sich der Autor in seinem zweiten Werk, Werte wie Toleranz, Güte und Verständnis zu vermitteln, und kleidet sie in wunderbare Geschichten. Nach der Lektüre wird man sich bereits auf das nächste Buch des Autors freuen.
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