Clicks und Cuts

Markus S. Kleiner und Achim Szepanski über elektronische und digitale Musik

Von Peter ReichenbachRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Reichenbach

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Reader "Soundcultures" ist zunächst einmal für alle "de:Bug"-Leser, Nerds und sonstige Frickler, die sich für Musik im weitesten Sinne interessieren, für Klangcollagen, also Alltagsgeräusche, Clicks und Cuts und endlos wucherndes Unkraut. Unkraut? Zumindest an der rhizomatischen Struktur des Unkrauts, denn die davon abgeleitete Theorie "Rhizom" von Deleuze und Guattari durchzieht das gesamte Buch der Herausgeber und steht Pate für die Organisation des Readers: "Findet die Stellen in einem Buch, mit denen ihr etwas anfangen könnt. Wir lesen und schreiben nicht mehr in der gleichen Weise. [...] Das Buch ist kein Wurzelbaum, sondern Teil eines Rhizoms, Plateau eines Rhizoms für den Leser, zu dem es passt. [...] Ja, nehmt, was ihr wollt." Aber keine Sorge, ein Vorwissen ist nicht nötig. Bereits in der Einleitung von Marcus S. Kleiner werden für alle Einsteiger die Grundzüge der Theorie erklärt: Alles ist mit allem zu verbinden, es gibt kein Zentrum, nur noch Landkarten mit dem Ziel, "alles mit allem und allen zu vernetzen: High und Low, U und E, Sakrales und Profanes, und sie auf eine gemeinsame Oberfläche zu zwingen", wie Rudolf Maresch in einem der vertretenen Essays schreibt.

Auf diese Weise wird "Soundcultures" auch für alle diejenigen ein lesenswerter Reader, die sich nicht eindeutig den anfangs genannten Gruppen zuordnen, sich aber für theoretische Konzeptionen rund um elektronische Musik interessieren. Wegen all der "losen Enden" in diesem Buch ist es ratsam, Frank Ilschners Auftakt "Irgendwann nach dem Urknall hat es Click gemacht" sozusagen als erstes Plateaux und Sprungbrett in dieses Buch zu nutzen. Hierin findet sich eine vorbildliche Historie der elektronischen und digitalen Musik entlang der technischen Neuerungen. Denn genau dieses Moment, das elektronische Musik zunächst ausmacht, bestimmt es auch in seiner Fortführung: Der erste Synthesizer von Moog, die Stereophonie, der erste Sampler, um nur einige Stationen zu nennen.

Die Essays in "Soundcultures" aber versuchen weit mehr als lediglich eine historische Einordnung elektronischer Musik. Sie versuchen, immer auch die verwandten Techniken hinsichtlich ihrer medialen Funktion zu bestimmen. Insbesondere der Sampler, ein technisches Gerät zur Umwandlung von digitalen Sounds, wird mehrmals zu Recht thematisiert. Kann man doch feststellen, dass die Methode des Sampelns längst keine rein musikalische Angelegenheit mehr ist, sondern auch in anderen Bereichen der Kunst präsent. Ein Beispiel hierfür ist der Roman "Hellblau" von Thomas Meinecke, in dem unterschiedlichste Textfragmente rhizomatisch ineinander gewoben, also gesampelt werden. Auf diese Weise entsteht der Effekt, dass das Medium immer reflektiert werden muss und die "weiteste Entfernung von der medialen Täuschung" entsteht. Entsprechend weisen auch einige Artikel in diesem Buch über das Feld der elektronischen Musik hinaus. Hervorgehoben sei der Text "Wie sich alles erhellt und erhält. Von der Musik der tausend Plateaus oder ihrem Bau", in dem Norbert Schläbitz versucht, über die Begriffe "Intervall" und "Différance" die Geschlossenheit von Kunstwerken zu öffnen.

Am Ende des Buches findet sich eine CD, auf der Musikbeispiele von Künstlern des Frankfurter Labels Mille Plateaux (dessen Gründer Mitherausgeber Achim Szepanski ist) zu hören sind. Zweiundzwanzig Musiker wie Terre Thaemlitz, Vladislav Delay und Station Rose machen hörbar, was alles machbar ist, und vermitteln so dem Leser von "Soundcultures" ergänzend zu den theoretischen Konzepten eine mögliche Vision der "Clicks and Cuts".

Titelbild

Marcus S. Kleiner / Achim Szepanski (Hg.): Soundcultures. Über elektronische und digitale Musik. Mit einer CD.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2003.
240 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-10: 3518123033

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