Wer braucht eigentlich Zusammenfassungen?

Peter Nitschke und seine Politische Philosophie

Von Lennart LaberenzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lennart Laberenz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In einem kurzen Artikel in der Frankfurter Rundschau ("Jetzt wissen wir's", 4. März 2004) kommentiert Jürgen Roth die "aktuelle Performanz der Politikwissenschaften". Demnach geht es in dieser Disziplin um Plattitüden und überflüssige Kommentierung für die Massenmedien - Wahlen werden gedeutet und häppchenweise massenkompatibel vorverdaut. Der Autor hat nicht ganz unrecht, die Politikwissenschaft des Feuilletons funktioniert sehr häufig so. Unter dieser Ebene beschäftigen sich allerdings Kohorten von Wissenschaftlern mit der empirischen Analyse der Gesellschaft und der nomothetischen Perspektive ihrer Zukunft. Auffällig ist, dass Jahrtausende alte Diskussionen rhythmisch zurückkehren - so wird im Moment der gesellschaftlichen Krise gern über Bürgertugend gerätselt, wie dies schon der Historiker Titus Livius und der politische Denker Niccolò Machiavelli taten. Auch hier meldet sich eine auf das Feuilleton orientierte Politikwissenschaft gerne und häufig zu Wort. Originär politikwissenschaftliches Terrain ist dagegen das des Krieges, schließlich fußt eine starke englische Tradition der Politikwissenschaften in genau diesem Komplex. Auch hier gibt es viel Spreu und redlich Weizen - insgesamt scheint der Drang in die Verdauungsprozesse der politischen Weltgeschichte über das Massen-Leitmedium Fernsehen gelangen zu wollen, eine zwar altbekannte, aber deshalb nicht zu vernachlässigende Begründung für die latente Hinwendung einiger PolitikwissenschaftlerInnen zum Griffigen und Seichten eine wichtige Rolle zu spielen. Im Spiel der unterkomplexen Darstellung des sowieso schon Einsichtigen - und dies stellt Jürgen Roth zu Recht heraus - ist kaum eine Wissenschaft so anfällig wie die von der Politik. Dies scheint insbesondere der Fall zu sein, wenn kritische Betrachtung politischen Geschehens wieder zurück zu objektiven Beurteilungen will, wenn politische Philosophie einen affirmativen Charakter annimmt und eine kritische Gegenposition nicht mehr zu formulieren beansprucht. So ist die politische Wissenschaft nach dem Zusammenbruch des real-existierenden Sozialismus in eine schwierige Lage geraten, zwischen Entdogmatisierung und ideologischem Gewinnergeheul scharf trennen zu müssen - im Angesicht des sich stärker elitisierenden Hochschulbetriebs allerdings hat sich etwa eine kritische Revision gesellschaftlich progressiver System- und Theorieansätze eher in den Hinterzimmern derjenigen abgespielt, die dieses Gewerbe auch schon vor 1989 betrieben.

Gleichzeitig aber scheint die politische Philosophie als Teilbereich auch der Politikwissenschaften von einer sich politisch artikulierenden Theoriefeindlichkeit bedrängt. Diese lässt sich leicht als latenter Unterton der selbsternannten "Pragmatiker" ausmachen, welche gegenwärtig den Ton etwa der Regierungspolitik und den daran beteiligten Fraktionen im Sinne einer deutlich neoliberalen Umstrukturierung staatlichen Handelns ausmachen. Um mangelndes Echo muss sich dieser politische Kurs in den Publikationen und Hörsälen nicht beschweren. In diesem Sinne ist die von Peter Nitschke besorgte Zusammenfassung von Ecksteinen der politischen Philosophie durchaus positiv zu bewerten - es gelingt dem Hochschulprofessor der Universität Vechta, die klassischen Schriften von Thukydides bis Jürgen Habermas griffig zusammenzufassen und anschaulich zu ordnen. Nachdem Nitschke bereits eine ähnliche Fleißarbeit um die "Politische Theorie der Prämoderne" (Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2000) gelungen ist, wendet er sich nun der weiten Spanne der politischen Theoretiker zu Unter denen ist im übrigen nicht eine aufzufinden, was ebenfalls von einiger Aussagekraft ist.

Zunächst einmal definiert Nitschke geschickt den Rahmen seiner Arbeit: "Wenn die Philosophie nach dem Ganzen der Wahrheit (im Sinne der Ewigkeit) fragt, dann orientiert sich hierbei die Politische Philosophie auf den Aspekt der Ordnung des Ganzen." Es geht im um Antworten in den Schriften derjenigen zu finden, die sich der "Kunst der Organisation des Lebens für alle" zugewendet haben. Und das sind beileibe nicht wenige. Was einerseits als Flucht in die Ideengeschichte beurteilt werden kann und sich zu Recht fragen muss, warum klassische Schriften eines zusammenfassenden Überblicks bedürfen, steht andererseits als breitenwirksame Möglichkeit, einen einfachen Überblick zu gewährleisten. Grade eine solche, von Nitschke sauber vollbrachte Funktion des Überblicks aber wirft die generelle Frage auf, was eigentlich eine Zusammenfassung bedeutet? Die Kunst der Kürze und des Weglassens erzeugen eine unübersehbare Kanonisierung und ein Zusammenschmelzen ganzer Regalmeter zu wenigen Aussagen. Machiavelli rückt näher an den Machiavellismus, die Schriften von Karl Marx bekommen einen eigentümlich homogenen Fluss, und Carl Schmitt steht ganz für die Freund-Feind-Unterscheidung. Eine Antwort darauf liefert sicherlich die Adressierung, die im Titel den Begriff der Einleitung verdient hätte. Hier geht es nicht um kontroverse Diskussion und exemplarische Gegenüberstellung. Auch in der Ebene der Bewertung hält sich Nitschke sehr stark zurück, was ihn gegenüber den Ausführungen etwa von Klaus von Beymes "Theorie der Politik im 20. Jahrhundert" (1991) erheblich abfallen lässt. Nitschke will eine überblickende Darstellung für sich selbst sprechen lassen und einen Weg zum politischen Denken bahnen. Vielleicht krankt das Buch also weniger an den Ausführungen als an der Wahl des zu behandelnden Rahmens; dennoch ist dieser selbst eine zeitkontextuell zu verstehende Aussage: Im Zeitalter von Bachelor und Master wird der akademische Betrieb zunehmend auf intellektuelle Kompostierfunktionen umgestellt, und bald werden Seminare zur Politischen Philosophie von Thukydides bis Habermas erheblich häufiger in den Lehrplänen stehen. Dann wird Nitschkes Buch eine reiche Leserschaft finden.

Titelbild

Peter Nitschke: Politische Philosophie.
J. B. Metzler Verlag, Stuttgart 2002.
198 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3476103412

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