Der Frankfurter Auschwitz-Prozess in einer Dokumentation des Fritz-Bauer-Institutes

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es war der bis dato größte Schwurgerichtsprozess der bundesdeutschen Justizgeschichte: In 20 Monaten (von 1963 bis 1965) wurde über 20 SS-Verbrecher, die den Völkermord an den Juden in führender Position geplant und/oder im schlimmsten Vernichtungslager des Terrorsystems der Nazis vollzogen hatten, zu Gericht gesessen. Mit Hilfe von über 200 Zeugen, fast Ausnahmslos Überlebende von Auschwitz, gelang es, ein wirklichkeitsgetreues Bild des Entsetzens zu zeichnen.

Der Prozessablauf im Frankfurter Gallus-Haus war wesentlich durch Generalstaatsanwalt Fritz Bauer geprägt, der selber 1933 neun Monate inhaftiert war - erst in dem deutschen Straf- und Konzentrationslager Heuberg, später in der Strafanstalt Ulm. Die nationalsozialistische Machtübernahme brachte ihm, dem jüngsten Amtsrichter Deutschlands, die Entlassung aus dem Staatsdienst und 1936 Emigration und Exil. 1949 kehrte er nach Deutschland zurück, 1952 führte er seinen ersten Prozess gegen eine Nazi-Größe: Otto-Ernst Remer, den Kommandeur des Berliner Wachbataillons. 1960 gab er dem israelischen Geheimdienst den entscheidenden Hinweis auf Aufenthaltsort Adolf Eichmanns, 1968 wurde er in seiner Wohnung tot aufgefunden - möglicherweise von ehemaligen SS-Leuten ermordet.

Die Ausstellung im Frankfurter Gallus-Haus, dort also, wo vor 40 Jahren der Auschwitz-Prozess durchgeführt wurde, ist auch ihm zu Gedenken konzipiert worden. Denn Bauer war es, der verhindern wollte, dass in der noch jungen Bundesrepublik alte Kräfte Einfluss hatten, die sich im "Dritten Reich" schwerster Verbrechen schuldig gemacht hatten. Das deutsche Volk brauche eine "Lektion im geltenden Völkerrecht", und deshalb seien Prozesse gegen Kriegsverbrecher wegweisend.

Das Konzept der Ausstellung ist auf Nüchternheit und Sachlichkeit bedacht: Nackte Zahlen, schlichte Schautafeln und spartanisch eingerichtete Originalton-Kabinen auf einer sanft ansteigenden Rampe bestimmen das Bild. Informiert wird über das Lagersystem von Auschwitz (mit Birkenau und Monowitz), über die Systematik der Selektionen, über Krematorien und Gaskammern und - in hier erstmals präsentierten Ton-Dokumenten - die "Banalität des Bösen", die in den Zeugenaussagen von Mulka und anderen zum Ausdruck kam.

Besonders aufschlussreich für Literatur- und Geisteswissenschaftler: Das Kapitel, das von den Nachwirkungen des Auschwitz-Prozesses in Publizistik, Philosophie und Literatur handelt. Marcel Atze stellt unter anderem dar, wie die Autoren unter den Prozessbeobachtern - darunter Marieluise Kaschnitz, Horst Krüger, Robert Neumann, Wolfdietrich Schnurre, Martin Walser und Peter Weiss - auf den Prozess reagiert haben. Weitere Kapitel des Verfassers erinnern an H. G. Adler, Günther Anders, Heimrad Bäcker, Horst Bienek, Axel Eggebrecht, Günter Grass, Karl Jaspers, Hannah Arendt und Thilo Koch.

Der Katalog, der auch der Forschung wertvolles Material liefert, präsentiert Ankläger und Angeklagte in Wort und Bild, ferner Zeugenaussagen und Plädoyers der Verteidiger. Er druckt zahllose faksimilierte Quellen ab, darunter Briefe und Artikel aus der zeitgenössischen Berichterstattung. Kurze, straffe Überleitungstexte erläutern die Positionen, Strategien und persönlichen Umstände der hier jeweils zu Wort kommenden Personen. Die Ausstellung soll auf Wanderschaft gehen - in Frankfurt ist sie noch bis zum 23. Mai 2004 zu sehen (Haus Gallus, Frankenallee 111, täglich 10 bis 18 Uhr).

L. H.

Titelbild

Auschwitz Prozess 4 Ks 2/63 Frankfurt am Main. Katalog zur Ausstellung des Fritz-Bauer-Institutes im Gallus-Haus Frankfurt.
Snoeck Verlagsgesellschaft, Köln 2004.
872 Seiten, 45,00 EUR.
ISBN-10: 3936859086

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