Nicht Subjekt, sondern Objekt des Traums

Antike Träume und Traumdeutungen

Von Christiane LeiteritzRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christiane Leiteritz

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die beiden Publikationen befassen sich mit dem gleichen Inhalt, der Bedeutung des Traums in der Antike, in höchst unterschiedlicher Weise. Während Hermes' populärwissenschaftliche Darstellung vor allem das antike Material selber in Nacherzählungen einem Laienpublikum nahebringt, besteht die Arbeit von Christine Walde aus einer wissenschaftlichen Abhandlung, die an neueste Ergebnisse der Traumforschung anschließt.

Bei Laura Hermes' "Träumen wie die alten Römer. Antike Traumsymbole von A-Z" handelt es sich um die Neuausgabe eines Buches, das bereits 1996 bei Artemis und Winkler unter dem Titel "Traum und Traumdeutung in der Antike" und 2000 im Königsfurt Verlag unter dem Titel "Aphrodites Traum. Traumdeutung in der Antike" erschienen ist. Laura Hermes bietet ein Lesebuch vergnüglicher Art. Sprachlich brillant formuliert entfaltet sie das Spektrum von Traumvorstellungen und -deutungen, das Gesellschaft und Kultur der antiken Welt wesentlich mitprägt. Der Traum, das zeigen ihre einführenden Bemerkungen in dem Kapitel über die "Bedeutung und Erklärung des Traumerlebens im Altertum", ist fest verankertes Erkenntnisinstrument im Bewusstsein der Bewohner der antiken Welt. Als Botschaft der Götter erfreut er sich höchsten Ansehens. Weil man ihm prophetische Qualitäten zubilligt, vermag er den Impuls zu wichtigen persönlichen Lebensentschlüssen, aber auch zu politischen Entscheidungen von enormer Tragweite zu stiften. Der Traum modelliert die gesellschaftliche Wirklichkeit, insofern er "allenthalben in das Leben der Menschen" eingreift. Infolgedessen entwickelt sich eine professionelle Traumdeutung, die Oneirokritik, die sich zu einem komplexen System der Interpretation von Traumsymbolik und Bildsprache ausdifferenziert. Laura Hermes stellt fest, dass nach antiker Auffassung der Träumende nicht, wie nach heutiger, Subjekt des Traumes war, sondern Objekt, denn "der Träumende hat nicht den Traum, sondern er erhält ihn". Die kontroverse Diskussion über die mantische Qualität der Träume referiert Hermes kursorisch an den Aussagen verschiedener Philosophen wie Aristoteles, der der Mantik skeptisch gegenübersteht und eher eine psychologische Deutung der Träume anbietet, an den Epikureern, die eine ähnliche Einstellung wie etwa Aristoteles vertreten, und an den Stoikern, den "eigentlichen Mantik-'Freaks' des Altertums". Ihre Ausführungen belegt sie mit einer Auswahl von spektakulären, weltverändernden 'historischen' Träumen, die sie aus den Quellen (u.a. Livius, Platon, Herodot) nacherzählt. Diese Träume seien - das fügt Hermes kritisch hinzu - zwar mit dem Anspruch der Authentizität überliefert, aber gleichwohl nicht unbedingt als historisch verbürgt einzuschätzen. Doch wenn sie ihre Entstehung auch pragmatischen Erwägungen, wie z. B. handfesten politischen Interessen, verdanken sollten, liefern sie gleichwohl einen informativen Einblick in den Status und die kulturelle Relevanz, die dem Traum nach antiker Überzeugung zukamen.

Die restlichen Kapitel des schmalen Bändchens folgen der gleichen Struktur: Eine kurze einführende Analyse über Darstellungsweise und Funktion des Traums geht der nacherzählenden Darbietung historischen Materials voran. Auf diese Weise erhält der Leser einen Überblick über die wesentlichen Sparten von Träumen und Traumdeutung der Antike. So informiert der nächste Abschnitt des Buches über die Klassifikation der Träume und über die gesellschaftliche Stellung der professionellen Traumdeuter. Träume, so erfährt man, teilten sich in unbedeutende und bedeutende auf. Letztere wiederum gliederten sich in die theorematischen Träume, d. h. in die Klartext-Träume, die ihre Botschaft direkt formulierten, und in die allegorischen Träume, die die Hilfe professioneller Ausleger erforderten. Diese, als zwielichtige Scharlatane verrufen, fristeten teilweise ein kümmerliches Auskommen, indem sie auf Marktplätzen und öffentlichen Festveranstaltungen den zumeist unteren sozialen Schichten ihre Seherkunst feilboten. Andere wiederum genossen höchstes Ansehen als Berater gesellschaftlich hochrangiger Personen. Als Beispiel für die Arbeit eines seriösen Traumdeuters mit höchstem Prestige gibt Hermes Passagen aus dem Traumbuch des Artemidor von Daldis wieder. Die weiteren Kapitel befassen sich mit literarischen Träumen bei Homer, Aischylos, Vergil, Horaz und Lucian, deren zentrale Szenen die Autorin nacherzählt, und mit den Inkubationsträumen, den sogenannten Heilträumen im Tempel des Gottes Asklepios. Diese bezeugen, so Hermes, die antike Einsicht in den psychosomatischen Charakter vieler Erkrankungen, wodurch sich auch die zahllosen Berichte über Spontanheilungen erklären lassen, die auf der autosuggestiven Wirkung eines festen, kulturell transsubjektiv verankerten, religiösen Glaubens beruhten. Im letzten Kapitel erteilt die Autorin im Sinne herzustellender Objektivität dem schärfsten Kritiker der Oneirokritik, Cicero, das Wort. Den Band beschließt eine Übersicht über die wichtigsten Quellen und ausgewählte Sekundärliteratur.

Die leicht fassliche Darbietung beansprucht sicherlich keinen wissenschaftlichen Status, doch liefert sie mit ihrer kommentierenden Präsentation historisch tradierter Aussagen dem interessierten Leser in angenehmer Weise einen ersten Einblick. Sehr negativ, weil den Leser verwirrend, nimmt sich lediglich das unübersichtliche Inhaltsverzeichnis aus, aus dem nicht hervorgeht, welche Kapitel Analysen der Autorin enthalten und welche Nacherzählungen von Quellenmaterial.

Demgegenüber richtet sich Christine Waldes Studie "Antike Traumdeutung und moderne Traumforschung" an ein wissenschaftliches, wenn auch nicht nur, wie die Autorin ausdrücklich vermerkt, an ein fachwissenschaftliche Publikum. Ihrer Arbeit legt sie eine kultur- und mentalitätsgeschichtliche Perspektive zugrunde, wenn sie betont, dass der Umgang mit Träumen, insbesondere in Berücksichtigung der "sekundären Bearbeitung", der Erzählstereotypen und der Deutungsziele, stets kultureller Prägung unterliegt und deshalb bei der Analyse der antiken Traumdeutungsdiskurse ein "Problembewusstsein für das Anders-Sein der antiken Vorstellungen zu wecken" sei. Der zweite Abschnitt des Buches untersucht die Praxis der Inkubation, des im Tempel des Asklepios empfangenen Heilschlafes, der mit spontanen Heilungen einherging oder aber dem Träumer im Schlaf Anweisungen zur Therapie übermittelte. Walde geht davon aus, dass sich an der Inkubationspraxis eine zunehmende Medizinalisierung des Traumes ablesen lasse, insofern die Kompetenz zur Auslegung des Traums sich mehr und mehr vom Träumer selbst auf die Tempeldiener verlagert. Wie die Inkubation konkret praktiziert und erlebt wurde, belegt Walde mit ihrem Kapitel über Aelius Aristides, dessen Leben und Werk sie zunächst referiert, um anschließend aus "seinen Träumen selbst, ihrer Erzählform und Symbolik" das "implizite Wissen über Traumbildung und Traumdeutung" abzulesen. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass seine Schriften bereits eine für die Zeit untypische Tendenz zur Individualisierung aufweisen, insofern er nicht nur seine Träume als Medium für die Heilung seines Körpers auffasst, sondern auch ihren Einfluss auf seine Psyche registriert. In dem Kapitel über das Verhältnis von Traum und Medizin analysiert Walde die Ansichten, die Hippokrates, Pseudo-Hippokrates und Galenos über Schlaf und Traum und ihren Zusammenhang mit Körper und Seele geäußert haben, und stellt sie in Beziehung zur modernen Traumforschung. Die in der antiken Wissenschaft erstellte "Typologie von Traumfunktionen und Traumerregern" kehrt, so Waldes Befund, in aktuellen Forschungen wieder, wo sie ihre Diagnose körperlicher Befindlichkeiten auf die Analyse von Trauminhalten stützen. Walde schließt nun in den folgenden Kapiteln ihre Analysen zu Artemidor an, den bedeutendsten Traumdeuter der Antike. Dessen Überlegungen zum Traum kontrastiert sie mit Thesen Freuds und kommt zu dem Ergebnis, dass auch Artemidor zentrale Prämissen der Traumanalyse, die Freud später postuliert hat, schon vertraut waren. So gehe auch Artemidor von der Notwendigkeit aus, bei der Traumdeutung neben anthropologisch-biologischen Faktoren auch das sozio-kulturelle Umfeld des Träumers zu berücksichtigen und erklärt gleichfalls die Assoziationsarbeit des Träumers, also die aktive Selbstauslegung, zu einen unverzichtbaren Bestandteil der Deutung, denn nur dadurch komme man dem "latenten" Traumgedanken auf die Spur. Anders als Freud, so Walde, kenne aber Artemidor keineswegs einen "rigiden Zensor", obzwar er wie Freud von einer "Verschlüsselungsinstanz" ausgehe. In ihrem abschließenden Kapitel stellt Walde dar, wie bereits Artemidor seine Traumdeutung als Textinterpretation und damit als "rhetorische Kunst" anlegt. Bei seiner Deutung muss er nämlich Analogien erkennen und interpretieren. Artemidor unterstelle "dabei der Seele des individuellen Träumers ähnliche Mechanismen, wie sie bei der Textverfertigung zur Schaffung von Metaphern oder anderen Tropen nötig sind. Der Unterschied bestehe darin, "dass der Traumdeuter nur das Bild kennt, zu dem er durch Intuition und professionelles Wissen den Sachverhalt finden muß, der durch 'uneigentliches' Sprechen ausgedrückt wird. Bei der Deutung eines Traumes wird dieser nicht isoliert bzw. aus sich heraus interpretiert, sondern mit Hilfe von Kontexterweiterungen, die außerhalb des Traumbildes liegen." Anstelle eine Resümees beschließt Walde ihre sehr erhellende Studie mit der Rekonstruktion einer Klientenberatung Artemidors".

Wer angesichts des Titels eine kontrastive Gegenüberstellung antiker Traumtheorie mit einer modernen Traumforschung erwartet, muss sich im Vorwort irritiert belehren lassen, dass die Autorin sich diese Herangehensweise wegen unzulässiger Übertragung moderner Rationalitätskriterien auf antike Gegenstände versagt. "Implizit" werde sie dagegen immer wieder die Verbindung zur Moderne herstellen. So nachvollziehbar dieses Argument im Sinne präziser wissenschaftlicher Darstellung erscheint, so wenig überzeugt es angesichts dieser impliziten Vermengung, die erst recht Trennschärfe vermissen lässt. Nicht nur überträgt die Autorin unkommentiert Freud'sche Terminologie auf antike Traumtexte, sondern sie qualifiziert streckenweise emphatisch - offensichtlich enthusiasmiert von ihrem Sujet, das sie gegen seine Denunziation als vorwissenschaftlichen "Humbug und üblen Aberglauben" verteidigen zu müssen glaubt - antike Traumdeutung als weitreichende Antizipation moderner psychologischer Erkenntnisse. Dies belegt als ein Beispiel unter mehreren das getroffene Werturteil, die "antiken Menschen hatten [...] ein reifes und ernstes Verhältnis zum Traum", dagegen sich unser heutiges "Reden über den Traum [...] als Marginalisierung" ausnehme. Verschiedene kleinere und größere Fehler bis hin zum logischen Widerspruch beeinträchtigen bisweilen die Lektüre, was mit einer gründlicheren Endredaktion durchaus hätte vermieden werden können. Dennoch sollen diese Einwände die unbestreitbaren Verdienste der Studie nicht nivellieren. Der ansprechend ausgestattete Band erfreut den interessierten Leser außerdem mit einer systematisch gut gegliederten Auswahlbibliographie sowie einem informativen Nachwort von Alfred Krovoza zum Thema "Die Stellung Freuds zur Vorgeschichte der Traumdeutung".

Titelbild

Christine Walde: Antike Traumdeutung und moderne Traumforschung.
Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf 2001.
240 Seiten, 26,00 EUR.
ISBN-10: 3538071179

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Titelbild

Laura Hermes: Träumen wie die alten Römer. Antike Traumsymbole von A-Z.
Königsfurt Verlag, Krummwisch 2002.
160 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3898750558

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